New Work
Mehr als Homeoffice
Von der Sozialutopie bis zur Arbeitsverdichtung durch zeit- und ortsungebundenes Arbeiten – was der Begriff „New Work“ bedeutet und welche Konsequenzen diese Art der Arbeit für die Beschäftigten mit sich bringen kann, hat sich verändert. Die New-Work- Forscherin Dr.in Patricia Tegtmeier gibt Tipps, wie sich neue Arbeitsformen und digitale Technologien positiv für Unternehmen und Mitarbeiter:innen nutzen lassen.
Mit der Corona-Pandemie haben neue Formen des Arbeitens in viele Büros Einzug gehalten, die von den Unternehmen mit dem Etikett „New Work“ versehen werden. Aber was versteht man tatsächlich unter diesem Begriff? Dipl.-Psych.in Dr.in Patricia Tegtmeier, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) mit den Forschungsschwerpunkten Human Factors und Ergonomie, klärt auf: „Es ist nicht New Work, wenn die Arbeitnehmer:innen nur Autonomie über Arbeitszeit und -ort haben, oder im Homeoffice arbeiten.“
„New Work“ habe sich zu einem Containerbegriff entwickelt, den einzelne Akteure:Akteurinnen mit unterschiedlichen Arbeitskonzepten und Technologien in Verbindung bringen, so Tegtmeier. Zu verorten ist diese neue Art des Arbeitens hauptsächlich im Bereich der Büro- und Wissensarbeit. Nicht jede Arbeit wird zu New Work, wenn fortschrittliche Technologien zum Einsatz kommen – etwa, wenn man Beschäftigte im Lager mit Exoskeletten ausstattet.
Definitionen und New-Work-Barometer
Eine allgemeingültige Definition von New Work gibt es nicht. Die Bedeutung des Begriffs, der vom Philosophieprofessor Frithjof Bergmann in den 1980er-Jahren geprägt wurde, hat sich gewandelt. „Bergmanns New-Work-Konzept ist eine soziale Utopie, in der neue Technologien den Menschen ermöglichen sollen, die Arbeit zu tun, die sie wirklich, wirklich wollen“, erläutert Tegtmeier. Wesentlich sind Sinn, Selbstbestimmung und die Reduktion der Arbeitszeit.
Elemente von Bergmanns Vision finden sich auch in der 2019 vom deutschen Psychologen Markus Väth verfassten New-Work-Charta. Laut dieser basiert die neue Art des Arbeitens auf fünf aufeinander aufbauenden Prinzipien: Freiheit, Selbstverantwortung, Sinn, Entwicklung und soziale Verantwortung.
Die US-amerikanische Organisationspsychologin und Universitätsprofessorin Gretchen Spreitzer veröffentlichte in den 1990er-Jahren das Konzept des psychologischen Empowerments, das Ähnlichkeiten mit der New-Work-Charta aufweist. Für das Empowerment der Beschäftigten sind demnach vier Faktoren essenziell: Bedeutsamkeit der Arbeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss.
Wesentlich enger gefasst ist ein New-Work-Begriff, der die neue Art des Arbeitens bereits durch Arbeitszeit- und Arbeitsortautonomie verwirklicht sieht. Zentrale Maßnahmen dieses Konzepts sind mobiles Arbeiten und Homeoffice, während soziale Aspekte kaum eine Rolle spielen.
Was Praktiker:innen aus verschiedenen Unternehmen unter New Work verstehen, zeigt das „New-Work-Barometer“ (NWB). Für dieses führt das Institute for New Work and Coaching (INWOC) der SRH Berlin University of Applied Sciences gemeinsam mit Partnern jährlich eine Unternehmensbefragung durch. Das NWB 2023 weist die höchsten Zustimmungswerte für die New-Work-Charta und das Konzept des psychologischen Empowerments auf, gefolgt von Arbeitszeit- und Arbeitsortautonomie. Bergmanns New-Work-Konzept liegt abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Entwicklung von New Work
Laut Tegtmeier lässt sich New Work nicht an einzelnen Maßnahmen festmachen. Die Voraussetzung dafür besteht darin, dass das Konzept von der Unternehmensführung getragen wird. Nur dann kommt auch der partizipative Aspekt zum Tragen. „Es gilt, so zu führen, dass Selbstorganisation und selbstbestimmtes Lernen möglich sind. In Zusammenhang damit kann die Autonomie von Arbeitszeit und Arbeitsort umgesetzt werden“, so die Psychologin.
Sie zeichnet die Entwicklung von New Work anhand wesentlicher Elemente nach: Bereits in den 1970er-Jahren erhielten Arbeitnehmer:innen vereinzelt die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. In den 1980ern begannen Unternehmen, soziale Aspekte wie lernförderliches Arbeiten vermehrt zu berücksichtigen. Derzeit genutzte Kommunikationskanäle, etwa Videokonferenzen, stehen seit den 1990er-Jahren zur Verfügung. Den Unterschied der aktuellen Situation zu früheren Ansätzen sieht Tegtmeier in technischer Hinsicht im mobilen Arbeiten statt eines bloßen Wechsels zwischen Büro und Homeoffice. Neu sind auch das breite Interesse für das Thema New Work und der Wunsch, diese Form des Arbeitens praktisch anzuwenden.
Vom Konzept zur Umsetzung
Um New Work sinnvoll umsetzen zu können, ist ein Konzept erforderlich, das die individuellen Bedingungen im Unternehmen berücksichtigt. Tegtmeier rät, Arbeitsmediziner:innen, Arbeitspsychologen:-psychologinnen, Sicherheitsfachkräfte und den Betriebsrat von Anfang an einzubeziehen, bei Bedarf auch externe Experten:Expertinnen. Die Arbeitnehmer:innen verfügen ebenfalls über eine wertvolle Expertise in ihrem Bereich. Sie kennen die Workaround-Prozesse, die sich – abweichend von der ursprünglichen Planung – eingebürgert haben, um Tätigkeiten einfacher oder schneller erledigen zu können. Hat sich eine Praktik als nicht geeignet erwiesen, sollte sie zuerst optimiert werden, bevor man sie digitalisiert.
Im Rahmen einer Tätigkeitsanalyse werden die von den einzelnen Beschäftigten ausgeübten Tätigkeiten erhoben. Dann prüft man, für welche davon andere Arbeitsweisen sinnvoll sein könnten und welche technischen Möglichkeiten sich dafür anbieten. Dabei geht es nicht darum, die neuesten technischen Tools und Anwendungen einzusetzen, sondern um eine optimale Unterstützung der Mitarbeiter:innen.
Die Umsetzung des Konzepts sollte von Personen, die für den Arbeitnehmer:innenschutz verantwortlich sind, begleitet werden. Hat man während der Planungsphase auch Mitarbeiter:innen befragt, erwarten diese, dass ihr Input bei der Implementierung berücksichtigt wird. Ist das nicht möglich, muss man ihnen erklären, warum – etwa wegen fehlender Räumlichkeiten oder eines nicht ausreichenden Budgets. In diesem Fall empfiehlt es sich, zu versuchen, die Ideen aus der Belegschaft in einer anderen Form zu verwirklichen, um dem partizipativen Ansatz von New Work gerecht zu werden.
Virtuelle Kommunikation
Kommen Technologien zum Einsatz, mit denen nur ein Teil der Betroffenen vertraut ist, eignen sich am besten getrennte Schulungen, die sich an den unterschiedlichen Kompetenzniveaus orientieren. Gefragt sind insbesondere Schulungen, die den Mitgliedern eines Teams die erforderlichen Kenntnisse vermitteln, um virtuell zusammenarbeiten zu können.
Tegtmeier macht auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Meetings in Präsenz und online aufmerksam: „Virtuelle Meetings sind schneller getaktet, es gibt weniger Möglichkeiten für einen informellen Austausch. Das lässt sich zum Teil ausgleichen, indem man eine gewisse Vorlaufzeit einplant, in der sich die Teilnehmenden unterhalten können.“ Erst dann sollten die auf der Tagesordnung stehenden Punkte abgearbeitet werden. Bei der für ein Online-Meeting vorgesehenen Zeit ist auch einzukalkulieren, dass technische Probleme auftreten und zu einer Verzögerung führen können.
Virtuelle Zusammenarbeit eignet sich nicht für alle Prozesse. Sie funktioniert dann, wenn die Teilnehmer:innen einander gut kennen und die zu bearbeitende Aufgabe allen bekannt ist. In der Phase der Teambildung, beim Start eines neuen Projekts, wenn sensible Informationen ausgetauscht werden oder Konfliktmanagement gefragt ist, empfiehlt Tegtmeier persönliche Interaktion in Präsenz. Ob ein Meeting bzw. eine gemeinsam zu erledigende Arbeit physische Anwesenheit erforderlich macht, weiß in der Regel das Team, das auch über die jeweilige Arbeitsform entscheiden sollte.
Evaluierung neuer Maßnahmen
Wie jede tiefgreifende Veränderung sollte auch der Umstieg auf New Work evaluiert werden. Dabei handelt es sich um keine leichte Aufgabe, betont Tegtmeier: „Die Evaluierung von New Work als Intervention ist sehr komplex. Wenn man bereits vor der Einführung eine Ist-Erhebung durchführt, hat man eine Vergleichsbasis.“ Werden einzelne Maßnahmen nicht gleichzeitig umgesetzt, sondern nacheinander, lassen sich die Effekte leichter einer konkreten Maßnahme zuordnen.
Für die Evaluierung von Gesundheitsgefährdungen können Checklisten der Unfallversicherungsträger, z. B. zur Ausstattung eines Arbeitsplatzes im Homeoffice, herangezogen werden. Um den Benefit neuer Technologien zu überprüfen, sollten laut Tegtmeier konkrete Fragen gestellt werden – etwa, ob die Technologie bei der Informationsgewinnung oder bei vertraulicher Arbeit unterstützt. Nach einer Umstellung dauert es immer ein Zeit lang, bis sich die Mitarbeiter:innen an die Veränderungen gewöhnt haben und, falls nötig, in den Gebrauch der neuen Technologien eingeschult worden sind. Diese Phase muss abgewartet werden, bevor man eine Evaluierung durchführt.
Veränderungen durch New Work
Nicht alle Veränderungen durch den Umstieg auf New Work sind offensichtlich. So ergibt sich als Auswirkung vermehrt eingesetzter mobiler Technologien eine Förderung papierloser Prozesse, was neue Anforderungen an das Ablagesystem stellt. Unterlagen, die früher in Aktenordnern archiviert worden sind, müssen jetzt in elektronischer Form sicher verwahrt werden. Speziell bei vertraulichen Dokumenten ist dabei auf Datenschutz zu achten, ohne die mobilen Zugriffsmöglichkeiten einzuschränken.
Eine soziale Komponente von New Work besteht darin, dass die Mitarbeiter:innen mehr Handlungsspielräume erhalten, um ihre Arbeit selbst zu gestalten. Dieses auf der eigenen Motivation beruhende „Job Crafting“ ist prinzipiell positiv, kann sich aber ins Negative verkehren, Arbeitszufriedenheit und Wohlbefinden beeinträchtigen. Das sogenannte Autonomieparadoxon wird laut Tegtmeier durch Studien belegt: Wenn viel Autonomie besteht, gleichzeitig aber keine Maßnahmen gesetzt werden, um einer Arbeitsverdichtung vorzubeugen, kann das zu Selbstausbeutung führen.
Die Arbeit im Homeoffice hat zweifellos Vorteile, insbesondere freie Zeiteinteilung und damit auch eine bessere Vereinbarkeit mit Betreuungspflichten. Als Nachteil zu nennen ist vor allem die Gefahr von Vereinsamung durch mangelnden Kontakt zu Vorgesetzten und Kollegen:Kolleginnen. Dazu kommen körperliche Beschwerden durch einen ergonomisch ungünstigen Arbeitsplatz und zu wenig Bewegung, da der Arbeitsweg wegfällt und man mehr Zeit im Sitzen verbringt. Wer unterwegs arbeitet, z. B. bei Zugfahrten, nimmt dabei nicht nur eine ungünstige Körperhaltung ein, sondern muss bei Online-Tätigkeiten auch mit häufigeren Ausfällen und einer schlechteren Verbindung rechnen, was Stress verursacht.
Herausforderungen und Chancen
Bei New Work besteht eine besondere Herausforderung darin, für unterschiedliche Tätigkeiten die richtigen Arbeitsformen und Tools zu finden. Wird die Präsenzzeit im Büro zu stark reduziert, kann das bei bestimmten Prozessen Probleme verursachen. Tegtmeier nennt ein Beispiel: „Onboarding online durchzuführen ist schwierig, das hat man während der Lockdowns gesehen. Neue Mitarbeiter:innen können nicht schnell zwischendurch etwas fragen, wie im Büro.“ Hier müsse man einen Ausgleich finden zwischen den Interessen der Neuen, die ein Onboarding in Präsenz bevorzugen, und der Einschulenden, die lieber im Homeoffice arbeiten wollen.
Richtig umgesetzt bringt New Work sowohl den Beschäftigten als auch dem Unternehmen Vorteile. Erlaubt ein Job zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten, steht ein größerer Pool an Bewerbern:Bewerberinnen zur Verfügung. Sinnstiftende Arbeit und Autonomie sprechen insbesondere Jüngere an und verstärken deren Bindung an das Unternehmen. Wichtig ist laut Tegtmeier, den Umstieg auf New Work nicht als etwas Abgeschlossenes zu betrachten. Es handelt sich um einen Prozess, der sich mit neuen Technologien und organisatorischen Möglichkeiten stetig weiterentwickelt.
Zusammenfassung
New Work ist durch sinnstiftende Arbeit, Selbstbestimmung der Mitarbeiter:innen sowie zeit- und ortsabhängiges Arbeiten unter Einsatz digitaler Technologien gekennzeichnet. Für die Umsetzung sollte man erheben, welche Tätigkeiten durch neue Arbeitsformen und Technologien verbessert werden können. Wichtig sind dabei die Einbeziehung der Belegschaft und die Evaluierung der Maßnahmen.