Rechtliche Aspekte
Neue Technologien, alte Gesetze
Die fortschreitende Digitalisierung ist mit zahlreichen Chancen, aber auch neuen Herausforderungen für den Schutz von Arbeitnehmern:Arbeitnehmerinnen verbunden. Von automatisierten Systemen bis hin zum Einsatz von künstlicher Intelligenz – Unternehmen müssen sich anpassen und rechtliche Rahmenbedingungen neu bewerten. Welche Regelungen gelten aktuell, und wo besteht dringender Handlungsbedarf, um die Sicherheit und Rechte der Beschäftigten auch in der digitalen Arbeitswelt zu gewährleisten?
Es ist mittlerweile mehr als ein Allgemeinplatz, darauf hinzuweisen, dass die digitale Transformation alle Gesellschafts- und Lebensbereiche erfasst hat. „Transformation“ bedeutet freilich Veränderung und diese Veränderung findet direkt in den österreichischen Betrieben statt. Nun steht außer Streit, dass diese Entwicklung für Arbeitnehmer:innen (AN) positive Effekte haben kann: Sie ermöglicht ortsunabhängiges Arbeiten, beschleunigt Arbeitsprozesse, erleichtert die Zusammenarbeit und erhöht die Autonomie. Gleichzeitig birgt die Digitalisierung aber auch erhebliche Risiken. Neben dem permanenten Weiterbildungsdruck, um mit dem technologischen Fortschritt Schritt zu halten, führt die zunehmende digitale Vernetzung zu einer Entgrenzung von Arbeit und Freizeit sowie zu einer Intensivierung und Verdichtung des Arbeitsalltags. Zuletzt ermöglicht der Einsatz moderner Technologien eine umfassende Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten, die letztlich zu einem ebenso gesundheitsschädlichen Anpassungs- und Leistungsdruck führen kann.
Rechtliche Dimension
Wie bereits dieser kurze Problemaufriss zeigt, betrifft die digitale Transformation ganz unterschiedliche Bereiche des Arbeitslebens. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass Arbeitgeber:innen (AG) nicht ein „Digitalisierungsgesetz“ zu beachten haben, in dem sämtliche relevanten Bestimmungen enthalten wären. Vielmehr handelt es sich beim bestehenden (arbeits-)rechtlichen Rahmen um ein Mosaik an Bausteinen, die zusammengenommen ein gutes Schutzniveau sicherstellen sollen. Diese mosaikartige Zusammensetzung führt in der Praxis allerdings dazu, dass die verschiedensten Gesetze auf ihre Anwendbarkeit überprüft werden müssen. Auf die wichtigsten Bereiche wird im Folgenden kurz eingegangen.
Das Arbeitnehmerinnenschutzgesetz
Einschlägig sind in Zusammenhang mit der Digitalisierung in den österreichischen Betrieben zunächst die allgemeinen Regelungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG). So sieht zum Beispiel § 4 ASchG eine verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung vor. Dabei müssen etwa die Gestaltung der Arbeitsverfahren und Arbeitsvorgänge und deren Zusammenwirken oder die Gestaltung und der Einsatz von Arbeitsmitteln sowie die Arbeitsorganisation evaluiert werden. Diese Evaluationspflicht betrifft selbstverständlich auch Digitalisierungsmaßnahmen in den Betrieben.
AG sind weiters verpflichtet, die Ergebnisse der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren schriftlich festzuhalten (§ 5 ASchG Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente). Darüber hinaus gelten auch die Grundsätze der Gefahrenverhütung (§ 7 ASchG), weshalb AG bei der Gestaltung der Arbeitsstätten, Arbeitsplätze und Arbeitsvorgänge etc. Risiken, die sich aus der Digitalisierung ergeben, vermeiden bzw. nicht vermeidbare Risiken abzuschätzen und vermindern müssen. Dieser Evaluierungs- und Maßnahmenpflicht unterliegen auch arbeitsbedingte psychische und physische Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen (§ 2 Z 7 ASchG).
Neben den sehr offenen und vagen Formulierungen, die einen weiten Interpretationsspielraum hinsichtlich ihres Anwendungsbereiches zulassen, finden sich im ASchG auch sehr detaillierte Bestimmungen, wie dies insbesondere bei den verschiedenen Arten der Bildschirmarbeit i.S.d. §§ 67 f ASchG sowie der Bildschirmarbeitsverordnung (BS-V) der Fall ist. Gerade im Bereich der Bildschirmarbeit ist die Regelungsdichte so hoch, dass es nur schwer möglich ist, tatsächlich festzustellen, welche rechtlichen Vorgaben im konkreten Fall letztlich anzuwenden sind. Hier wäre eine Überarbeitung der bestehenden Regelungen angezeigt.
Fürsorgepflicht
Im Arbeitsverhältnis sieht das ABGB (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch) eine Fürsorgepflicht der AG vor (§ 1157 ABGB). Demnach sind AG verpflichtet, auf die gesundheitlichen, religiösen, sittlichen, persönlichen und vermögensrechtlichen Interessen der Arbeitnehmer:innen (AN) in zumutbarer Weise Rücksicht zu nehmen. Diese generalklauselartige Formulierung ermöglicht den Gerichten, die individuellen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und gerechte Lösungen zu finden. Dies ist die große Stärke, aber gleichzeitig auch ihre Schwäche: Da die Fürsorgepflicht unbestimmt bleibt, ist es oft schwer zu sagen, wann und in welchem Umfang sie genau greift. Diese Offenheit ermöglicht zwar Flexibilität, schafft aber auch eine gewisse Rechtsunsicherheit – sowohl für AG als auch für AN.
Aus AN-Perspektive kommt hinzu, dass die Fürsorgepflicht nach herrschender Meinung nicht unmittelbar einklagbar ist. AN haben daher keinen Anspruch auf Erfüllung, Unterlassung oder Beseitigung. Sie können bei Pflichtverletzungen lediglich die Arbeitsleistung verweigern, Schadenersatz verlangen oder – bei schwerwiegenden Verstößen – das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden. Die Beweislast und das Risiko eines Rechtsstreits liegen dabei jedoch bei den AN, was angesichts der unklaren Rechtslage ein erhebliches Risiko darstellt.
Entgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit
Nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung ist in der Arbeitswelt eine zunehmende Entgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit zu beobachten, die nachweislich negative gesundheitliche Folgen haben kann. Einerseits legen AG oft Zeiten für eine (dauerhafte) Erreichbarkeit der Mitarbeiter:innen fest. Andererseits sind es häufig die AN selbst, die aus eigenen Beweggründen die gesetzlich vorgesehenen Ruhezeiten verletzen, um (oft, aber nicht immer) geringfügige Arbeitsleistungen zu erbringen. Die Motive dafür sind vielfältig: Sie reichen vom Wunsch, den Arbeitsplatz zu sichern, über Karriereambitionen bis hin zur Aussicht auf vertragliche Vorteile oder ein höheres Einkommen. Häufig liegt dies freilich im Interesse der AG, da es sich dabei – pointiert formuliert – um eine wesentlich elegantere Form des Unterlaufens des unbeliebten Arbeitszeitrechts handelt als die alte, vergleichsweise brachiale Methode der Verletzung des Arbeitszeitrechts per Weisungen und Aufträge aller Art.
Aus rechtlicher Sicht ist diese Entgrenzung insofern problematisch, als sich sowohl aus den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und des Arbeitsruhegesetzes (ARG) als auch der oben erwähnten Fürsorgepflicht ableiten lässt, dass AG verpflichtet sind, die (ungestörte) Freizeit der AN zu gewährleisten. Dazu zählt, die AN vor sich selbst zu schützen. Entsprechende Maßnahmen der AG könnten z. B. die Information und der Hinweis sein, dass während der Ruhezeit nicht gearbeitet werden darf oder dass solche Tätigkeiten auch nicht vergütet werden, bis hin zur technischen Verhinderung der Nutzung der Infrastruktur oder dem Löschen / Vernichten von Arbeitsergebnissen, die während der Ruhezeit erstellt wurden.
Derzeit wird an einem Recht auf Nichterreichbarkeit gearbeitet. Entsprechende vorbereitende Rechtsakte des Europäischen Parlaments sowie der Europäischen Kommission liegen bereits vor.
Kollektive Sphäre
Eine zentrale Rolle beim Schutz der AN spielt der Betriebsrat (BR), insbesondere im Kontext der Einführung neuer Technologien. So räumt das Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) den Belegschaftsvertretern:-vertreterinnen umfassende Mitwirkungsrechte in Form von Informations-, Überwachungs-, Interventions-, Beratungs- und Anhörungsrechten ein. Der BR ist bspw. bereits in den Planungsprozess hinsichtlich der Einführung neuer Technologien miteinzubeziehen und anzuhören (vgl. § 92a Z 1 ArbVG).
Kernelement der Mitbestimmung ist freilich der Abschluss von Betriebsvereinbarungen (BV). Unter bestimmten Voraussetzungen sieht das ArbVG eine Verpflichtung zum Abschluss von BV vor. Dies betrifft z. B. Kontrollsysteme, die die Menschenwürde berühren, die Einführung von Personaldatensystemen oder die Einführung von Personalbeurteilungssystemen. Darüber hinaus können häufig auch freiwillige BV geschlossen werden. In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass BV von AG-Seite nicht als Innovationshemmer gesehen werden sollten, sondern als flexibles Rechtsinstrument, mit dem nachgewiesenermaßen die Akzeptanz moderner Arbeitsmittel oder innovativer Systeme in der Belegschaft erhöht werden kann.
Kommt trotz entsprechender Verpflichtung keine BV mit dem BR zustande, so hat der BR Unterlassungs-, Beseitigungs- oder Feststellungsansprüche. Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht auf Antrag auch eine einstweilige Verfügung erlassen. Dies gilt allerdings nur insoweit, als der BR seinen Unterlassungsanspruch auf eine Verletzung von Bestimmungen des ArbVG stützen kann. Der BR hat jedoch keine Möglichkeit, individuelle Ansprüche der AN durchzusetzen. Er ist auch nicht berechtigt, selbst Maßnahmen zur Beseitigung von Missständen zu ergreifen. Allenfalls hat der BR das Recht, bei den zuständigen Stellen (Arbeitsinspektorat, Datenschutzbehörde etc.) entsprechende Maßnahmen zu beantragen und die Beseitigung von Mängeln zu verlangen.
Datenschutz
Beim Schutz der Persönlichkeitsrechte der AN rückt zunehmend das Datenschutzrecht in den Fokus. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass das Datenschutzrecht – entgegen einer weit verbreiteten, aber falschen Auffassung – nicht nur die Privatsphäre der Beschäftigten schützt, sondern sämtliche Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der Beschäftigten. Wird beispielsweise ein Algorithmus so programmiert, dass Fahrradkuriere aufgrund strikter Zeitvorgaben mit einer nachweislich signifikant erhöhten Unfallwahrscheinlichkeit rechnen müssen, ist dies unter Verweis auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen (Art. 31 Grundrechtecharta) unabhängig von allfälligen arbeitsrechtlichen Fragestellungen schon datenschutzrechtlich problematisch.
Darüber hinaus sind die allgemeinen Vorgaben des Datenschutzrechts für die Verarbeitung personenbezogener Daten (Transparenz, Rechtmäßigkeit, Zweckbindung oder Datenminimierung, Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung etc.) einzuhalten.
Künstliche Intelligenz und Plattformarbeit
Trotz der Anwendbarkeit bestehender Regelungssysteme werden sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene neue Regelungsmaterien vorbereitet bzw. beschlossen, die häufig explizit auf bestimmte neue Technologien ausgerichtet sind. So wurde etwa neben der Richtlinie zur Plattformarbeit mit dem kürzlich verabschiedeten AI-Act der EU (Artificial Intelligence Act [VO (EU) 2024/1689]) eine (äußerst komplexe) Verordnung beschlossen, die auf Systeme mit künstlicher Intelligenz (KI) abzielt. Kern ist eine risikobasierte Einstufung, die an die jeweilige Risikoklasse auch konkrete Rechtsfolgen knüpft. Um Arbeitsrecht geht es dabei nur am Rande: Allerdings haben Hersteller:innen bzw. Betreiber:innen „Gesundheit, Sicherheit und Grundrechte“ zu berücksichtigen, weshalb – analog zum Datenschutzrecht – die (arbeitsbezogenen) Grundrechte der Charta der Europäischen Union zu berücksichtigen sind.
Dank des Zusammenspiels verschiedener Schutzgesetze besteht im Grunde ein flächendeckender AN-Schutz, der auch mit den Herausforderungen neuer Technologien Schritt halten kann. Die rechtlichen Regelungen sind in weiten Teilen durchaus „zukunftsfähig“, da sie bewusst allgemein und technikneutral formuliert sind und somit flexibel auf unterschiedliche Innovationen angewendet werden können. Anwendung und Inhalt bleiben jedoch eine Herausforderung, da sie oft mühsam durch Interpretation und Auslegung ermittelt werden müssen. Klare Anweisungen fehlen meist, was zu Rechtsunsicherheit führt. Gleichwohl ist auf europäischer Ebene erkennbar, dass spezifische Entwicklungen wie KI oder Plattformarbeit gezielt adressiert werden – was einerseits ein wichtiger Schritt hin zu mehr Rechtssicherheit und Anpassungsfähigkeit ist, andererseits aber neue Fragestellungen, Auslegungsprobleme und zusätzliche Komplexität mit sich bringt.
Zusammenfassung
Die gesetzlichen Regelungen zum Schutz der AN sind umfassend und anpassungsfähig. Durch ihre allgemeine und technikneutrale Formulierung gelten sie auch in modernen Arbeitsumgebungen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang das ASchG, AZG/ARG und das ArbVG. Ergänzt werden diese durch den Datenschutz sowie zunehmend auch durch spezifische Vorgaben wie den AI-Act der EU (Artificial Intelligence Act [VO (EU) 2024/1689]) oder die Plattformarbeit-Richtlinie.