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New Work

Maßnahmen gegen Technostress

Digitale Technologien können den Arbeitsalltag erleichtern, aber auch Technostress und in der Folge psychische Probleme verursachen. Wie sich digitale Arbeit gesundheitsförderlich gestalten lässt, wurde von einem Forscher:innenteam um Prof. Dr. Nico Dragano von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf untersucht.

Ein Mann sitzt an einem Schreibtisch vor einem Laptop, reibt sich die Augen und wirkt erschöpft. Neben ihm steht eine Tasse, und im Hintergrund sind unscharfe Büromöbel zu erkennen.
© Adobe Stock / Jadon Bester

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt grundlegend, nahezu jeder Arbeitsplatz ist davon betroffen. Der Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), künstlicher Intelligenz (KI) und fortgeschrittener Robotik kann Technostress verursachen, der Wohlbefinden und Leistung beeinträchtigt und die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen erhöht. Für Unternehmen wird es daher immer wichtiger, auch die gesundheitlichen Aspekte des Einsatzes neuer Technologien zu berücksichtigen.

Mit den Fragen, wie sich digitale Technologien auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken, wer dem Technostress besonders ausgesetzt ist und welche unterstützenden Maßnahmen Unternehmen treffen können, befassten sich Wissenschafter:innen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Im Rahmen des Projekts „Digitale Arbeit gesundheitsförderlich gestalten“ untersuchte ein interdisziplinäres Team den Zusammenhang zwischen digitaler Arbeit und Technostress. Aufbauend auf dem Review wissenschaftlicher Artikel führten die Forscher:innen qualitative Interviews mit Vorgesetzten und Beschäftigten sowie mit Vertretern:Vertreterinnen der Arbeitnehmer:innen durch und erhoben in zwei quantitativen Studien die Belastungen durch digitale Arbeit.

Einer der beiden Projektleiter, Dr. Nico Dragano, Professor für Medizinische Soziologie an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, fasst die Ergebnisse des Projektendberichts, der demnächst veröffentlicht wird, zusammen: „Digitale Technologien sind in der Arbeitswelt weit verbreitet, die Anzahl der belasteten Personen ist hoch. Es gibt kaum Bereiche, in denen Informations- und Kommunikationstechnologien, künstliche Intelligenz oder elaborierte Technologien wie Robotik und Exoskelette nicht verwendet werden.“ Wie stark Beschäftigte von Technostress betroffen sind, hängt von der jeweiligen Konstellation be- bzw. entlastender Faktoren ab.

Porträt Nico Dragano
Nico Dragano © Privat

Digitale Technologien sind mit dem Versprechen eingeführt worden, dass sie die Arbeit erleichtern, tatsächlich bekommt man oft Arbeit dazu.

Nico Dragano

Stress durch digitale Technologien

Laut Dragano ist davon auszugehen, dass die Arbeit mit digitalen Technologien zu einer kognitiven oder emotionalen Belastung führen kann, die im schlimmsten Fall gesundheitliche Folgen wie affektive Störungen, aber auch körperliche Erkrankungen nach sich zieht. Fühlt sich jemand im Umgang mit digitalen Technologien herausgefordert oder bedroht, ohne über die Ressourcen für den Umgang mit dieser Situation zu verfügen, kommt es zu einer Stressreaktion.

Monideepa Tarafdar, Ph.D., Professorin für Informationssysteme und Management an der britischen Lancaster University Management School, hat ein Technostress-Modell entwickelt. Es unterteilt Technostress anhand seiner Auslöser in fünf Dimensionen.

Unter Techno-Overload versteht Tarafdar die Überlastung durch Technologie, etwa infolge häufiger Unterbrechungen und kurzer Reaktionszeiten. Stress entsteht z. B., wenn laufend E-Mails und Nachrichten über Messengerdienste eintreffen und man sich verpflichtet fühlt, sofort zu antworten. Auch das erhöhte Arbeitstempo kann zu Überlastung führen. „Digitale Technologien sind mit dem Versprechen eingeführt worden, dass sie die Arbeit erleichtern, tatsächlich bekommt man oft Arbeit dazu“, spricht Dragano die Arbeitsverdichtung an, die entsteht, wenn die eingesparte Zeit mit zusätzlichen Aufgaben gefüllt wird.

Techno-Complexity, technische Komplexität, führt zu einer hohen kognitiven Belastung. Vor allem nicht ausreichend geschulte Beschäftigte fühlen sich schwierig zu bedienenden Programmen nicht gewachsen. Herausforderungen, die früher etwa Piloten:Pilotinnen vorbehalten waren, finden sich jetzt unter anderem in der Industrie, wenn Mitarbeiter:innen Maschinen überwachen und bei unerwarteten Ereignissen sofort komplexe Prozesse in Gang setzen müssen.

Unsicherheit, als Techno-Uncertainty bezeichnet, entsteht in einem instabilen, sich ständig ändernden Arbeitsumfeld. Die Mitarbeitenden sind andauernd mit Neuerungen konfrontiert. Kaum haben sie sich an ein Programm oder System gewöhnt, wird es bereits durch ein anderes ersetzt. Ein derartiger Arbeitskontext müsse nicht per se schlecht sein, erklärt Dragano, es komme darauf an, ob die Belegschaft ein so rasantes Tempo gewohnt sei, das insbesondere für die Tech-Branche typisch ist.

Ein verbreitetes Problem stellt Techno-Invasion dar. Digitale Geräte ermöglichen zeit- und ortsunabhängige Erreichbarkeit, wodurch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Man kann nie richtig „abschalten“, das Familienleben leidet. Technische Flexibilität an sich hält Dragano aber nicht generell für schlecht. Haben die Beschäftigten die Freiheit, sie so zu nutzen, dass Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben vermieden werden, könnte Flexibilität sogar gesundheitsförderlich sein.

Techno-Insecurity, Arbeitsplatzunsicherheit, hat es bereits vor der Digitalisierung gegeben. In der Vergangenheit waren es meist körperliche Tätigkeiten, die von Maschinen übernommen wurden, während durch die Digitalisierung und insbesondere durch KI auch Jobs im kognitiven und im kreativen Bereich gefährdet sind. Beschäftigte, die sich bisher keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz gemacht haben, fürchten nun, durch Technologien oder technisch besser qualifizierte Personen ersetzt zu werden.

Ein Mann mit Brille sitzt in einem modernen Büro vor einem Laptop und hält zwei Blätter Papier in den Händen. Er blickt konzentriert auf die Dokumente, die auf dem Schreibtisch verteilt sind. Im Hintergrund ist eine Glaswand zu sehen, durch die ein helles Büro erkennbar ist.
© Adobe Stock / Liubomir

Weitere Technostress-Dimensionen

Diese von Tarafdar formulierten Technostress-Dimensionen wurden später durch weitere ergänzt. Neben Techno-Overload spielt auch Tool-Overload als Stressor eine Rolle. „Es werden zu viele Werkzeuge und Kommunikationskanäle verwendet: E-Mail, Messengerdienste, Videokonferenzen, Kollaborationstools. Oft finden die Nutzer:innen benötigte Informationen nicht, weil sie sich nicht erinnern können, über welches Tool sie eine Information erhalten haben“, so Dragano.

Von Techno-Unreliability spricht man, wenn die eingesetzten Technologien nicht verlässlich sind. Laut Dragano wurden in Betriebsbefragungen technische Probleme als häufige Verursacher von Technostress genannt: Die Geräte sind zu langsam, die Netze instabil, Programme stürzen ab. Im Homeoffice verfügen viele Beschäftigte über keine adäquate IT-Ausstattung, die Übertragungsrate ist gering. Derartige technische Probleme belasten nicht nur die Arbeitnehmer:innen, sondern vermindern auch die Produktivität.

Besonders viel Stress entsteht, wenn Hard- oder Software nicht so funktionieren, wie sie sollten, und der:die Nutzer:in gleichzeitig durch Techno-Dependency unter Druck steht. Der Begriff der technologischen Abhängigkeit bezeichnet das Gefühl, ohne Technik nicht handlungsfähig bzw. produktiv zu sein.

Eine Frau arbeitet spätabends allein in einem Büro. Sie sitzt an einem Schreibtisch mit zwei Monitoren und ist in ihre Arbeit vertieft. Der Arbeitsplatz ist mit einer Schreibtischlampe beleuchtet, während das restliche Büro in Dunkelheit liegt. Im Hintergrund sind leere Stühle und der Fußboden zu sehen.
Um Druck durch digitale Technologien zu verhindern, sind klare Regeln notwendig, vor allem in der Kommunikation: nach Feierabend und am Wochenende sollen keine beruflichen E-Mails verschickt werden. Auch sollte fest­gelegt werden, welcher Kommunikationskanal für wirklich wichtige Informationen genutzt wird. © Adobe Stock / Gorodenkoff

Stressoren erheben

Um gezielte Maßnahmen zur Reduktion von Technostress setzen zu können, muss zuerst geklärt werden, wer von welcher Art Technostress betroffen ist. In größeren Unternehmen sollten zur Vorbereitung einer Erhebung Experten:Expertinnen, z. B. Arbeitsmediziner:innen, Arbeitspsychologen:-psychologinnen oder Sicherheitsfachkräfte einbezogen werden. Den Verantwortlichen kleiner Unternehmen empfiehlt Dragano, sich zuerst mit dem Thema Technostress vertraut zu machen und dann im direkten Gespräch mit den Beschäftigten auf jene Stress-Dimensionen einzugehen, die für das Unternehmen relevant sind.

Verbreitete Vorstellungen darüber, welche Personengruppen sich durch die Arbeit mit digitalen Technologien besonders belastet fühlen, können mit Forschungsergebnissen nicht belegt werden, so Dragano: „Ältere Menschen nutzen digitale Technologien im Beruf genauso oft wie junge und sind dadurch nicht häufiger gestresst. Da sie Computer von der Pike auf mitbekommen haben und die technischen Grundlagen kennen, weisen sie in manchen Bereichen sogar eine höhere Lösungskompetenz auf.“ Auch bezüglich des Geschlechts kann man keinen substanziellen Unterschied feststellen, was die Belastung durch Technostress angeht.

Maßnahmen zur Stressreduktion

Die Basis für effiziente Maßnahmen zur Reduktion von Technostress bildet ein entsprechendes Bewusstsein der Führungskräfte. Sie sollten sich laut Dragano im Klaren darüber sein, dass die Einführung digitaler Technologien nicht ausschließlich eine technische Frage ist. Bei der Implementierung empfiehlt es sich, Arbeitsmediziner:innen, Arbeitspsychologen:-psychologinnen und den Betriebsrat beizuziehen. Auf der technischen Seite muss sichergestellt werden, dass die verwendeten Geräte und Netze verlässlich funktionieren.

Im Rahmen des Projekts „Digitale Arbeit gesundheitsförderlich gestalten“ wurden vier wesentliche Aspekte für die gesundheitsförderliche Gestaltung digitaler Arbeit identifiziert: die Einbindung der Endnutzer:innen in die Gestaltung digitaler Arbeit, klare Regeln für digitale Arbeit, Schulungen und IT-Support sowie fachliche und soziale Unterstützung durch Kollegen:Kolleginnen und Vorgesetzte.

Einbeziehung und klare Regeln

Mitarbeiter:innen sollten bereits vor der Anschaffung neuer Hard- und Software einbezogen werden, damit ihre Anliegen bei der Auswahl von Technologien und Schulungskonzepten Berücksichtigung finden. Im Vordergrund stehen dabei Benutzer:innenfreundlichkeit und eine adäquate Vermittlung des nötigen Know-how. Mitbestimmung ist auch gefragt, wenn es darum geht, wann und wie lange jemand im Homeoffice arbeitet. Diese Maßnahmen erhöhen die Akzeptanz neuer Technologien.

Um zu verhindern, dass sich die Mitarbeiter:innen durch digitale Technologien unter Druck gesetzt fühlen, sind klare Regeln notwendig. Das betrifft vor allem die Kommunikation, so Dragano: „Es muss klar sein, zu welchen Zeiten und bis wann eine Antwort erwartet wird. Das kann auch bedeuten, dass nach Feierabend und am Wochenende keine beruflichen E-Mails verschickt werden.“ Auch die Anzahl der Kommunikationskanäle ist zu begrenzen. Es sollte festgelegt werden, welcher Kanal für wirklich wichtige Informationen genutzt wird.

Schulung und Unterstützung

Es ist zwischen allgemeinen und speziellen Schulungen zu unterscheiden. Soll generell die technische Kompetenz der Belegschaft erhöht werden, eignet sich ein breiterer Ansatz. Wird ein neues System oder Programm eingeführt, müssen die Nutzer:innen im Umgang damit geschult werden. Wenn Tätigkeiten, die ein:e Mitarbeiter:in bisher ausgeführt hat, durch den Einsatz neuer Technologien wegfallen, benötigt der:die Betroffene eine Schulung, um andere bzw. höher qualifizierte Aufgaben übernehmen zu können.

Eine optimale Unterstützung der Beschäftigten bei der digitalen Arbeit umfasst mehrere Maßnahmen. Der klassische IT-Support sollte jedem:jeder Mitarbeiter:in während der gesamten Arbeitszeit zur Verfügung stehen, auch im Homeoffice. Dragano sieht bei der Auslagerung des Supports an einen Helpdesk, der sich oft nicht im selben Land befindet, das Problem der Erreichbarkeit. Außerdem können externe IT-Fachleute häufig nicht alle technischen Fragen beantworten, die sich in einem Unternehmen stellen.

Umso wichtiger ist es, dass im Unternehmen zumindest einige Personen anwesend sind, die sich mit den verwendeten Technologien gut auskennen. Bei neuer Software können Mitarbeitende, die mit dem Programm schon vertraut sind, Peer-Support leisten. Die Hilfestellungen sollten sich aber nicht allein auf technische Probleme beschränken, rät Dragano: „Für die Mitarbeiter:innen sind direkte Vorgesetzte wichtig, die das Thema Technostress ernst nehmen und auch psychologische Unterstützung leisten.“

Quellen:

Dragano, Nico: Gesundheitsrisiken und Prävention in der digitalen Arbeitswelt. Technostress, Ergonomie und Unfallsicherheit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Gesundheit und Digitalisierung, 74. Jg., 36-37/2024

Dragano, Nico; Lunau, Thorsten: Technostress at work and mental health: concepts and research results. In: Current Opinion in Psychiatry 33(4): 407-413, Juli 2020

Monideepa Tarafdar et al.: The Impact of Technostress on Role Stress and Productivity. In: Journal of Management Information Systems 1/2007, S. 301–328

Zusammenfassung

Digitale Technologien können unterschiedliche Arten von Technostress verursachen. Im Rahmen eines Projekts der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wurde erhoben, wie sich digitale Technologien auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken und wer dem Technostress besonders ausgesetzt ist. Die Wissenschafter:innen erarbeiteten Vorschläge für Maßnahmen zur Stress­reduktion.


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