Psychologische Aspekte
Diversität und digitale Technologien
Digitale Technologien können den beruflichen Alltag erleichtern, aber auch zu psychischen Belastungen führen. Welche Chancen und Risiken die Digitalisierung birgt, ist von Person zu Person verschieden. Will man die gesundheitliche Situation an einem Arbeitsplatz beurteilen, sollten die Diversitätsgruppen, denen die Beschäftigten angehören, berücksichtigt werden.
Die Arbeitswelt verändert sich. Einerseits schreitet die Digitalisierung immer weiter voran, andererseits wird das zur Verfügung stehende Angebot an Arbeitskräften diverser. Beide Entwicklungen können für Unternehmen von Vorteil sein, stellen sie aber auch vor Herausforderungen. Eine davon besteht darin, für unterschiedliche Personengruppen Arbeitsbedingungen zu schaffen, in denen möglichst wenige psychische Belastungen auftreten.
Nicht jede:r empfindet die gleichen Arbeitsbedingungen auch als gleich belastend, erklärt die Universitätslektorin, Arbeitspsychologin, Klinische und Gesundheitspsychologin Mag.a Dr.in Elisabeth Ponocny-Seliger: „Die Belastung hängt davon ab, welchen Diversitätsgruppen man angehört.“ Während im alltagssprachlichen Verständnis „divers“ meist eine Abweichung von dem bezeichnet, was als „normal“ angesehen wird, ist die sozialpsychologische Definition weiter gefasst. Als charakteristische Merkmale von Diversitätsgruppen gelten z. B. auch Betreuungspflichten, Alter und Qualifikation.
Menschen mit Betreuungspflichten
Eine Errungenschaft der Informations- und Kommunikationstechnologie ist die Arbeit im Homeoffice. Diese wird von Menschen mit jüngeren Kindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen gern in Anspruch genommen, da sich Job und Betreuungspflichten dadurch leichter vereinbaren lassen. Meist sind es Frauen, die neben ihrem Beruf Betreuungstätigkeiten übernehmen.
Wer im Homeoffice tätig ist, neigt dazu, mehr zu arbeiten als im Büro. Pausen werden oft ausgelassen, Abende und Wochenenden zum Arbeiten genutzt. Eltern kleiner Kinder müssen berufliche Tätigkeiten in die Nachtstunden verlagern, wenn davor die Zeit dafür fehlt.
Die Ausstattung des Arbeitsplatzes zu Hause lässt oft zu wünschen übrig. Der Stand-PC oder das Notebook, häufig ein privates Gerät, ist zu langsam, Programme arbeiten nicht einwandfrei oder stürzen ab, die Internetverbindung weist nicht die erforderliche Bandbreite auf. Auch die Büromöbel entsprechen in vielen Fällen nicht den ergonomischen Anforderungen.
Ein weiterer Faktor, der die psychische Belastung im Homeoffice erhöht, sind laut Ponocny-Seliger fehlende direkte Kontakte: „Man kann nicht mit den Kollegen:Kolleginnen plaudern, z. B. in der Mittagspause in der Kantine. Es besteht die Gefahr der Vereinsamung.“ Wenn der Zeitpunkt ungünstig ist, um für ein Meeting ins Büro zu kommen, besteht bestenfalls die Möglichkeit, online teilzunehmen. Im Homeoffice wird man von Vorgesetzten auch leichter „übersehen“, was sich negativ auf die beruflichen Aufstiegschancen auswirkt.
Wichtige Meetings sollten so angesetzt werden, dass auch im Homeoffice tätige Beschäftigte in Präsenz teilnehmen können. Der:Die Arbeitgeber:in muss Arbeitsmittel wie Computer oder Mobiltelefon für die Arbeit im Homeoffice zur Verfügung stellen oder bei der Verwendung privater Geräte einen Kostenersatz leisten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Ausstattung die technischen Anforderungen erfüllt und sich der:die Mitarbeiter:in bei Problemen an einen IT-Support wenden kann. Durch ständige Erreichbarkeit verursachter Stress lässt sich vermeiden, indem Telefonate und E-Mails auf vereinbarte Zeiten beschränkt werden.
Alter und Qualifikation
Ältere Beschäftigte haben eine langjährige Berufserfahrung und verfügen meist über ein für das Unternehmen wertvolles Wissen. Manche der früher geschätzten Fertigkeiten sind heute allerdings nicht mehr gefragt – etwa das Mitschreiben eines diktierten Texts. Diktierfunktion und Spracherkennungssoftware bieten hier bereits einen vollwertigen Ersatz. Übersetzungen und Buchhaltung werden ebenfalls zunehmend von KI-Anwendungen übernommen. Das Gefühl betroffener Arbeitnehmer:innen, „überflüssig“ geworden zu sein, beeinträchtigt den Selbstwert, dazu kommt die Angst vor Arbeitsplatzverlust.
Beschäftigte, deren Job durch die Digitalisierung wegfällt, müssen sich umschulen lassen – und das oft in einem Alter, in dem das Lernen nicht mehr so leicht fällt. Für Personen mit Lernschwierigkeiten, Prüfungsangst oder besonders negativen Erinnerungen an die Schulzeit stellt Lernen eine psychische Belastung dar. Dem könne man mit der Art der Vermittlung entgegenwirken, so Ponocny-Seliger: „Erwachsene werden oft wie Kinder unterrichtet, sie haben aber andere Fähigkeiten und Fertigkeiten. Digitalisierung bietet hier eine Chance: Der Lehrstoff lässt sich individuell anpassen, man kann in unterschiedlichem Tempo lernen und einzelne Module mehrmals wiederholen.“
Zusammenfassung
Die Chancen und Risiken der Digitalisierung unterscheiden sich je nach Diversitätsgruppe. Digitale Geräte und Anwendungen ermöglichen z. B. durch Homeoffice die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und individualisiertes Lernen. Gleichzeitig besteht die Gefahr von Vereinsamung, Entgrenzung der Arbeit und zusätzlicher psychischer Belastung.