Good Practice – Diversität
Gelobte Diversität
„Good Practice in der Arbeitswelt“ – bei dieser Formulierung ist man versucht, die eigene Praxis besonders gut und lobend darzustellen, insbesondere als Organisation bzw. Hochschule, die sich schon seit vielen Jahren mit Diversitätsmanagement befasst. Nimmt man aber eine eher kritische als lobende Perspektive ein, muss man eingestehen: Von Diversität und guter Praxis in der Arbeitswelt sind wir alle leider noch entfernt. Nicht wegen mangelnden Willens oder gar aktiven Widerstands, sondern einfach, weil das eben nicht so einfach ist. Der Artikel liefert eine kritische Betrachtung von Umsetzungsmöglichkeiten in Organisationen.
Was ist denn Diversität? Wenn wir ein gutes Frauenförderprogramm haben, leben wir dann Diversität? Wenn unsere Informationen alle in drei Sprachen angeboten werden? Wenn wir einen Gebetsraum haben, Altersteilzeit anbieten, den Pride Month feiern? Wenn wir unsere Kinder und unsere Eltern mit in die Arbeit bringen dürfen oder im Homeoffice arbeiten können, wenn selbige Versorgung zu Hause brauchen? Mindestens alles davon? Meistens beginnt alles erst einmal mit einer Analyse. Man möchte herausfinden, welche Diversität in der Organisation gegeben ist. Aber welche Kategorien frage ich ab? Und ist es nicht auch relevant, wie diese verbunden sind? Wir wissen, dass in diesen intersektionalen Überschneidungen von Diversitätsdimensionen je nach Kontext andere Kategorien relevant, förderlich oder hinderlich sein können. Und dann stellt sich als nächste Frage: Ab welcher Anzahl, ab welchem Anteil, ist eine Gruppe denn relevant für mein weiteres Diversitätsmanagement? Wenn zum Beispiel nur 10 von 100 Mitarbeitern:Mitarbeiterinnen Kinderbetreuung brauchen, sollte ich das als relevante Gruppe (Familie) betrachten und Angebote setzen? Ab welchem Anteil von Mitarbeitern:Mitarbeiterinnen mit einer anderen Sprache sollte ich die offiziellen Sitzungen auf Englisch abhalten? So viele Fragen aus der guten Praxis.
Natürlich machen das viele Institutionen sehr gut, auch wir als Med-Uni Graz bieten ein vielfältiges Programm. Bei uns sind tatsächlich wissenschaftliche Karrieren von Frauen ein großes Thema, wie aus vielen und langjährigen Analysen bekannt ist. Neben der individuellen, aber auch der strukturellen Unterstützung durch Stipendien, Weiterbildungen, Netzwerke und Kinderbetreuung arbeiten wir an unserer Organisationskultur. In Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf / Studium dürfen wir auch stolz auf uns sein – von Beratungsstellen über eigene Kinderbetreuung und Dual-Career-Service haben wir uns hier sehr familienfreundlich entwickelt. Dabei handelt es sich aber auch um sehr greifbare Kategorien, meistens auch mit einer klaren Überschneidung, weil
nach wie vor der Hauptteil der Care-Arbeit von Frauen verrichtet wird. Auch im Bereich Mitarbeiter:innen mit Behinderung bzw. barrierefreier Hochschule können wir erfolgreiche Initiativen vorweisen. Nicht ganz zufällig sind das auch die Gebiete, die gesetzlich geregelt sind und somit auch gewissen Vorgaben und Zielen unterliegen. Was mich zu dem Punkt bringt: Erfolge stellen sich ein, wenn es Vorgaben gibt, vom Gesetzgeber oder auch von der Organisation selbst, Diversität muss ein Anliegen von „ganz oben“ sein. Aber auch eine kritische Masse kann bottom-up etwas erreichen: Dass sich mittlerweile die meisten Organisationen Gedanken über Familienfreundlichkeit machen, ist auch einem veränderten Bewusstsein von Arbeitnehmern:Arbeitnehmerinnen geschuldet. Es braucht also Unterstützer:innen, am besten in allen Bereichen. Neben dieser Unterstützung sind Ressourcen essenziell – auch im Sinne von Expertise. Diversität sollte ein Querschnittsthema sein, aber genauso wichtig sind eine klare Zuständigkeit und gebündeltes Wissen. Sind diese Voraussetzungen geschaffen, ist ein Bekenntnis zu Diversität ein guter erster Schritt, der nach innen wie nach außen hilft, das Thema sichtbar zu machen.
Und dann sind wir wieder bei dem Punkt: Was geht man nun konkret an, in diesem vielfältigen Bereich der Vielfalt? Denn eigentlich geht es um Individualität und die Vielfalt der Menschen innerhalb von Organisationen – gleichzeitig hat man den Impuls, Diversität als Kategorien oder Diversitätsdimensionen zu adressieren. Genau aus diesem Grund das provokante Statement zu Beginn, dass wir alle noch nicht in der guten Praxis der Diversität angekommen sind. Denn neben den genannten Startbedingungen wäre der nächste Schritt, sich bei allen Vorgängen, Regeln, Gepflogenheiten etc. zu überlegen: Wie ist das für wen in unserer Organisation? Die Realität stellt sich nicht für alle gleich dar und oft werden Gegebenheiten dazu führen, dass nicht alle Mitarbeiter:innen dieselben Möglichkeiten haben. Zumindest für Organisationen in einer bestimmten Größe ist das ein herausfordernder Auftrag. Deshalb darf man natürlich lobend auf Erfolge blicken, aber es braucht weiterhin auch die kritische Perspektive auf unsere gute Praxis.
Zusammenfassung
Diversität muss ein Anliegen von „ganz oben“ sein. Die Realität stellt sich nicht für alle gleich dar und oft werden Gegebenheiten dazu führen, dass nicht alle Mitarbeiter:innen dieselben Möglichkeiten haben. Zumindest für Organisationen in einer bestimmten Größe ist das ein herausfordernder Auftrag. Die Med-Uni Graz hat dazu bereits ein vielfältiges Programm.