Inklusion & Diversität
Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz
Unsere Gesellschaft wird immer vielfältiger, das zeigt sich auch am Arbeitsplatz. Unternehmen und Präventivfachkräfte stehen vor der Herausforderung, entsprechende betriebliche Strategien und Leitlinien zu entwickeln, um Vorurteile und Diskriminierung aktiv und nachhaltig zu bekämpfen und so faire Arbeitsbedingungen sowie Chancengleichheit für alle Beschäftigten zu schaffen.
Durch die Globalisierung, die demografische Entwicklung und die fortschreitende Digitalisierung hat sich die Arbeitswelt grundlegend verändert. Diversität bezieht sich dabei auf die Vielfalt der Menschen in Bezug auf ihre individuellen Merkmale und Hintergründe wie Geschlecht und sexuelle Orientierung, Alter, Herkunft, Religion und mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen. Vor allem jüngere Arbeitnehmer:innen und Berufseinsteiger:innen erwarten eine vielfältige und inklusive Unternehmenswelt und fordern diese aktiv ein. Das kann oft den entscheidenden Faktor bei der Arbeitgeber:innenwahl ausmachen.
2006 wurde die Charta für Vielfalt erstmalig veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine Selbstverpflichtung von Unternehmen, besonderes Augenmerk auf die Verteilung von Ressourcen und Belastungen zwischen den Beschäftigtengruppen zu legen.
Als Voraussetzung gilt das Hinterfragen und Aufbrechen von stereotypen Annahmen, Vorurteilen und klassischen Rollenzuweisungen wie zum Beispiel, Frauen seien sozial kompetenter, ältere Mitarbeiter:innen seien mit digitalen Technologien überfordert oder jüngere Beschäftigte flexibler.
Gemeinsamkeit mit bewusster Wahrnehmung und Wertschätzung von Unterschieden steht im Vordergrund. Nicht mögliche Defizite, sondern individuelle Fähigkeiten und Ressourcen der Beschäftigten stehen im Fokus und werden bei betrieblichen Entscheidungen und in der Präventionsarbeit berücksichtigt. Je vielfältiger eine Belegschaft ist, desto wichtiger sind individuelle Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention.
Eine nachhaltige Umsetzung von Diversität und Inklusion erfordert geeignete Rahmenbedingungen bzw. ein Diversitäts-Management, um eine gleichberechtigte Teilhabe aller Beschäftigten am Arbeitsleben zu ermöglichen. Es geht um Chancengleichheit, aber auch um Chancenausgleich (korrektive Gerechtigkeit).
Dimensionen der Diversität und ihre Bedeutung für die Arbeitswelt
Mit dem 4-stufigen Modell „The Four Layers of Diversity“ lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Beschäftigten eines Unternehmens veranschaulichen.
Alter & alter(n)sgerechtes Arbeiten
Aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch des in vielen Branchen bestehenden Fachkräftemangels müssen gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen sowie abgestimmte Präventionsmaßnahmen und betriebliche Gesundheitsförderung für ältere Beschäftigte stärker in den Vordergrund rücken, um einen längeren Verbleib am Arbeitsplatz zu ermöglichen.
Die betriebliche Etablierung von „mixed-generation teams“ hat sich in diesem Zusammenhang bewährt. Junge Mitarbeiter:innen und Berufseinsteiger:innen können von der langjährigen Berufserfahrung und dem Know-how älterer Kollegen:Kolleginnen profitieren. Gemeinsames Arbeiten und Lernen erhöht erwiesenermaßen die Arbeitszufriedenheit. Diskriminierendes Verhalten kann so verhindert werden, da Vorurteile als hinfällig erlebt werden.
Tipp: Die Durchführung einer Altersstrukturanalyse ermöglicht es, den Ist-Stand der Altersverteilung im Betrieb zu erheben, betriebsspezifischen Handlungsbedarf zu erkennen und passgenaue Maßnahmen für alternsgerechtes Arbeiten zu setzen. Als Tool dafür bietet sich zum Beispiel der AUVA-Altersstrukturcheck (altersstrukturcheck.auva.at) an.
Geschlechtergerechtigkeit
Es wird zwischen dem sozialen („gender“) und dem biologischen Geschlecht („sex“) unterschieden. Gender bezieht sich auf die gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlechterrollen, die Arbeitswelt und Arbeitsbedingungen von Frauen, Männern und nonbinären Personen prägen. In Österreich besteht eine starke Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt. So arbeiten Frauen häufiger als Männer in Dienstleistungsberufen, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Niedriglohnsektor. Die Teilzeitquote von Frauen (50,6 %) ist wesentlich höher als die von Männern (13,4 %).
Grund dafür ist, dass unbezahlte Care-Arbeit wie Kinderbetreuung, Versorgung von zu pflegenden Angehörigen und Hausarbeit vorrangig von Frauen verrichtet wird. Dies führt auch häufiger zu einer Doppelbelastung. Das hat zur Folge, dass Frauen tätigkeitsbezogenen Belastungen wie z. B. ungünstigen Körperhaltungen (Zwangshaltung), Emotionsarbeit und einem Risiko der Belästigung und Gewalt ausgesetzt sind.
Wichtig ist, auf eine gendersensible Betrachtung arbeitsbedingter Gesundheitsgefährdungen nach Branchen, Tätigkeitsbereichen (auch innerhalb eines Jobprofils können sich die zugewiesenen Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern unterscheiden!) oder Berufen zu achten. Belastungen, aber auch Ressourcen können sich unterschiedlich auf die Geschlechter auswirken.
Ethnische Zugehörigkeit und unterschiedliche Herkunft: Vielfältige Belegschaften gehören längst zum betrieblichen Arbeitsalltag. Rund 27 % der Beschäftigten in Österreich haben einen Migrationshintergrund. Religion / Weltanschauung: Ein offener Umgang mit unterschiedlichen Religionsbekenntnissen kann Vorurteile abbauen und zu einem guten Betriebsklima beitragen. 77,6 % der österreichischen Bevölkerung bekennen sich zu einer Glaubensgemeinschaft. Behinderung und Beeinträchtigung: In Österreich betrifft das rund 1,4 Mio. Menschen. Alle Menschen sollen gleichberechtigt, selbstbestimmt und uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, so beschreibt es die UN-Behindertenrechtskonvention, die von Österreich 2008 ratifiziert wurde. Aber nach wie vor haben Menschen mit Behinderung viele Barrieren und Vorurteile am Arbeitsmarkt zu überwinden. Die Entscheidung, ob jemand als arbeitsfähig gilt oder nicht, wird in Österreich von Arbeitsmarktservice und Pensionsversicherungsanstalt getroffen – und das oft schon in jungen Jahren mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen. Wer als nicht arbeitsfähig gilt, verliert den Zugang zu Förderprogrammen wie zum Beispiel Jugendcoaching oder Arbeitsassistenz. Die Arbeit in einer Werkstätte für ein „Taschengeld“ bietet wenig Chancen für Entwicklung oder ein selbstbestimmtes Leben.
In Österreich treffen Menschen mit Behinderung und ohne Behinderung selten aufeinander. Die Trennung beginnt bereits in der Schule und setzt sich bis zum Arbeitsmarkt fort. Das fördert unbegründete Ängste und Missverständnisse und erschwert den Umgang miteinander ebenso wie die betriebliche Integration.
Vielfalt bei Arbeitsplatzevaluierung und Maßnahmensetzung mitdenken
Am Anfang steht die Bestandsaufnahme: Wie vielfältig ist die Belegschaft und welche Dimensionen stehen im Vordergrund? Hier einige Beispiele für die Einbeziehung von Gender- und Diversity-Aspekten in Arbeitsorganisation und Gefahrenevaluierung:
- Die Rollenbilder von Kunden:Kundinnen sind miteinzubeziehen. So sind etwa Männer im Handel weniger Belastungen ausgesetzt als Frauen, weil ihnen mehr Respekt entgegengebracht wird, da seitens der Kunden:Kundinnen häufig vermutet wird, dass der Mann eine Führungsposition innehat. Hingegen kämpfen männliche Kindergartenpädagogen oft mit dem Vorurteil, nicht „männlich“ genug zu sein.
- Persönliche Schutzausrüstung (PSA) – zum Beispiel Sicherheit und Geschlechtergerechtigkeit bei Feuerwehrschutzbekleidung: Die Bekleidung passt Frauen oft schlechter, da etwa die Jacken über der Hüfte nicht schließen und Hosen insgesamt zu lang sind (Orientierung an Kleidergrößen für Männer). In einer Studie aus Deutschland wurden Unfallmeldungen der freiwilligen Feuerwehren ausgewertet und es zeigte sich, dass Feuerwehrfrauen ein mehr als doppelt so hohes Unfallrisiko haben wie Männer und auch schwerere Unfälle erleiden, das konnte zumindest teilweise auf nicht passende PSA und Arbeitsmittel zurückgeführt werden.
- In einer 2024 veröffentlichten Studie der Europäischen Kommission wurden 2.650 harmonisierte europäische Normen mit Bezug zum Arbeitsschutz darauf untersucht, ob und in welcher Qualität anthropometrische Daten (Körpermaße des Menschen wie Gewicht, Größe, Länge der Gliedmaßen etc.) berücksichtigt werden. In 36 % dieser Normen sind anthropometrische Daten relevant, werden jedoch vielfach nur unzureichend berücksichtigt. Bei 76 Normen werden die potenziellen Auswirkungen der Nichtberücksichtigung auf Gesundheit und Sicherheit als hoch eingeschätzt. Einige harmonisierte Normen enthalten zwar auch aktuelle Maße, jedoch oft nur für Männer.
- Gleiche Arbeitsplatzbeschreibung – unterschiedliche Tätigkeiten, Beispiel Reinigungsbranche: Oft verrichten Frauen und Männer unterschiedliche Tätigkeiten. Fassadenreinigung, Fahren mit Reinigungsmaschinen etc. sind eher Männerdomänen. Frauen sind überwiegend für die tägliche Reinigung, das Nachfüllen von Handtuch- und Seifenspendern oder die Sanitärreinigung zuständig. Nicht zuletzt deshalb haben weibliche Beschäftigte oft ganz andere gesundheitliche Probleme als ihre männlichen Kollegen.
Beachtung der Erkenntnisse der geschlechterspezifischen Medizin in der Prävention
- individuelle Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention bedarfsgerecht ausgestaltet und angepasst an die Bedürfnisse und Vielfalt der Beschäftigten
- Unterweisungen und Informationen zum Thema Sicherheit und Gesundheit sollten für alle Beschäftigten leicht zugänglich und verständlich sein (einfache Sprache, mehrsprachig, etc.).
- Zeiten der Durchführung von Maßnahmen sollten so gewählt sein, dass allen Beschäftigten die Teilnahme ermöglicht wird (Rand- und Teilzeit!), keine Sprach- und Zugangsbarrieren bestehen und rechtzeitig Information erfolgt.
- diversitätsgerechte Bestellung von Personen in Arbeitsschutzfunktionen (Abbildung aller Beschäftigtengruppen) im Betrieb
- klare Zuständigkeiten schaffen und Ansprechpersonen für alle Beschäftigtengruppen benennen, u. v. m.
Zahlen & Daten:
Eine Studie lieferte Erkenntnisse, wie wichtig den in Österreich lebenden Menschen Vielfalt am Arbeitsplatz ist. Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage, die im November 2022 von PricewaterhouseCoopers (PwC) unter 500 Personen im Alter zwischen 14 und 75 Jahren in ganz Österreich durchgeführt wurde. Die Ausgangsstichprobe wurde gewichtet und ist repräsentativ für die österreichische Gesamtbevölkerung:
- Für 60 % der Österreicher:innen sind eine klare Positionierung und Einsatz für Vielfalt am Arbeitsplatz bei der Arbeitssuche wichtig.
- 58 % wollen klarere Konzepte und Strategien für mehr Vielfalt am Arbeitsplatz.
- Für 68 % der Österreicher:innen ist eine klare Positionierung des Arbeitgebers:der Arbeitgeberin gegen Rassismus von großer Bedeutung. 41 % der Befragten gaben an, bereits Diskriminierung oder Belästigung im Berufsleben erlebt oder mitbekommen zu haben. Davon waren 47 % weiblich, 35 % männlich.
- Führungspositionen sind noch immer mehrheitlich von weißen Männern besetzt: 81 % der Befragten gaben an, dass ihre nächsten Vorgesetzten männlich sind. 91 % der Befragten geben an, dass ihre nächsten Vorgesetzten eine weiße Hautfarbe haben.
Eine Erhebung des Global Compact Network Austria ergab: Rund 62 % der befragten Unternehmen aus Österreich gaben an, keine Projekte, Initiativen und / oder Maßnahmen zu Diversität und Inklusion eingeleitet oder umgesetzt zu haben. Es fehlt demnach nach immer noch das Bewusstsein, Diversität und Inklusion als nachhaltige Unternehmensstrategie zu sehen, entsprechende Maßnahmen sind oft unbekannt.
Conclusio
Führungskräften sowie allen im Arbeitnehmer:innenschutz tätigen Personen kommt eine wichtige Vorbildfunktion zu, indem sie Diversität und Inklusion als Teil der Unternehmenskultur und des betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzes etablieren. Unreflektierte Annahmen und Rollenzuweisungen können im Arbeitsschutz dazu führen, dass notwendige Präventions- und Schutzmaßnahmen unterbleiben, weil keine Notwendigkeit zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gesehen wird. Es wäre auch wünschenswert, dieses wichtige Themenfeld verstärkt in die Ausbildung von Präventivfachkräften mit einzubeziehen.
Ein Blick zurück und voraus
Am 19. 6. 2024 fand in Wien die AUVA-Veranstaltung „Diversität, Gleichstellung & Inklusion am Arbeitsplatz“ statt. Das Interesse war groß, es trafen sich betriebliche Akteure:Akteurinnen aus den unterschiedlichsten Branchen, um mit unseren Fachexperten:-expertinnen die vielfältigen Aspekte eines erfolgreichen Diversity-Managements zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen.
Wir möchten den vielfach geäußerten Wunsch der Teilnehmer:innen nach kontinuierlicher Wissensvermittlung, Austausch und Vernetzung aufgreifen und zukünftig im Rahmen unseres Schulungsangebotes vermehrt Fortbildungen zu diesem Thema anbieten.
Zusammenfassung
Führungskräften und alle im Arbeitnehmer:innenschutz tätigen Personen haben eine wichtige Vorbildfunktion: nur sie können Diversität und Inklusion als Teil der Unternehmenskultur und des betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzes etablieren. Unreflektierte Annahmen können im Arbeitsschutz dazu führen, dass notwendige Präventions- und Schutzmaßnahmen ausbleiben, weil keine Notwendigkeit zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gesehen wird. Dieses wichtige Themenfeld muss auch verstärkt in die Ausbildung von Präventivfachkräften einbezogen werden.