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Psychische Belastung

Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen: Synergien und Abgrenzungen

Mehr als 10 Jahre sind vergangen, seit eine Novellierung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) Arbeitgeber:innen dazu verpflichtet hat, gleichrangig zur körperlichen auch die psychische Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten zu gewährleisten. Neben der fachgerechten Umsetzung der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen (APB) unterstützen Arbeitspsychologen:-psychologinnen (APsy) auch bei der Maß­nahmen­umsetzung, insbesondere bei arbeitspsychologischen Unterweisungen.

Hände mehrerer Personen halten bunte Puzzleteile, die zusammengefügt werden, als Symbol für Zusammenarbeit und Vielfalt.
© Adobe Stock / Rattanathip

Die aktuelle FORBA-Studie zeigt, dass bezüglich der Umsetzung des Rechtsanspruchs im Sinne des ASchG auf psychisch sichere und gesunde Arbeitsbedingungen noch „Luft nach oben“ ist. Vielen Unternehmen ist laut den befragten 1.908 Betriebsratsvorsitzenden (BRV) und 251 Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP) die körperliche und psychische Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten ein Anliegen. Und dennoch wird der Wille zur gesetzeskonformen Umsetzung trotz gesetzlicher Verpflichtung als ausbaufähig beschrieben. [siehe Tabelle/Abbildung 1]

Rund 40 % der heimischen Betriebe stellen ihren Beschäftigten Angebote im Sinne der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) zur Verfügung, wie eine Studie der Statistik Austria aus dem Jahr 2020 ergab.  Dabei ist nicht immer klar, worauf diese BGF-Angebote konkret abzielen (gesunde Arbeitsbedingungen, Stärkung der Gesundheitskompetenz und / oder die Bindung zum Unternehmen, Verbesserung der Arbeitszufriedenheit, etc.). Dies ist insofern von Belang, als Arbeitnehmer:innen bei ihren aktuellen, aber auch bei der Auswahl zukünftiger Arbeitgeber:innen immer öfter auf zusätzliche Unternehmensleistungen wie z. B. Gesundheitsförderungsmaßnahmen achten.  Für Beschäftigte kann dabei die Grenze zwischen Unternehmenspflicht (ASchG) und -kür (BGF) leicht verschwimmen. 

Tabelle zur Evaluation arbeitsbedingter psychischer Belastungen: Ergebnisse zeigen den Prozentsatz der Betriebsratsvorsitzenden und Sicherheitsvertrauenspersonen, die mit "Ja", "Nein" oder "Ist mir nicht bekannt" antworteten, einschließlich der jeweiligen Stichprobengrößen.
Evaluierung psychischer Belastungen

Fest steht, dass Beschäftigte einen Rechtsanspruch im Sinne des ASchG auf sichere und gesunde Arbeitsplätze haben. Darunter fällt auch, dass Tätigkeiten und Arbeitsabläufe, Umgebungsbedingungen sowie das Sozial- und Organisationsklima dermaßen gestaltet sind, dass diese nicht negativ auf die psychische Gesundheit einwirken. Dies wird mit einer fundierten APB gewährleistet, die auch die Maßnahmenableitung, -umsetzung und -evaluation umfasst. 

Neben den Präventivfachkräften (PFK) und ggf. den APsy sind in Betrieben, in denen auch Maßnahmen zur BGF und zur Wiedereingliederungsteilzeit (WIETZ) umgesetzt werden, weitere interne und externe Akteure:Akteurinnen beschäftigt. Eine mangelnde Abstimmung zwischen diesen Fachkräften kann zu Doppelgleisigkeiten und erhöhtem Ressourceneinsatz führen. Schwerer wiegt jedoch, dass durch unklare Zuständigkeiten, mangelnde Durchführungs- und Umsetzungsqualität und intransparente Kommunikation weder für interne Umsetzer:innen noch für Beschäftigte erkennbar ist, worauf ein Rechtsanspruch besteht und was darüber hinaus vom Unternehmen als Zusatzleistung geboten wird. Eindeutig der Prävention im Sinne des ASchG zuzurechnende Maßnahmen wie beispielsweise ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze, mitarbeiter:innenorientierte Führung oder Regeln zur internen Kommunikation werden seitens mancher Unternehmen in BGF-Projekte ausgelagert. Bei einer fehlenden internen Diskussion über Zuständigkeiten und Zuordnungen kann sowohl auf der Seite der Arbeitgeber:innen als auch auf der Seite der Arbeitnehmer:innen Unzufriedenheit entstehen. 

Gruppe von Menschen sitzt an einem Tisch in einem Meetingraum, während eine Frau gestikulierend spricht und die anderen zuhören.
© Adobe Stock / peopleimages.com

Gemeinsam statt einsam 

Die Prävention im Sinne des ASchG muss, sofern es weitere Bestrebungen im Unternehmen für mehr Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten gibt, als Teil einer umfassenden Strategie verstanden werden. Dadurch können insbesondere in der Prävention psychischer Belastungen Synergien genutzt, Doppelgleisigkeiten vermieden und Routinen zur Ermittlung, Beurteilung, Maßnahmenableitung und -umsetzung optimiert werden.  Gemeinsam mit allen anderen Präventionsmaßnahmen im ASchG verankert, wird die APB zum grundlegenden Handlungsfeld des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Die BGF und die WIETZ tragen als eigenständige Handlungsfelder ihren Teil zu einem umfassenden Schutz der Gesundheit bei. Ohne eine durch die PFK und APsy geleistete fundierte Präventionsarbeit sind die Erfolgsaussichten der BGF und der WIETZ jedoch geringer.

Das liegt unter anderem daran, dass Beschäftigte zwischen Unternehmensverantwortung und Eigen­verantwortung unterscheiden. Negative Auswirkungen von psychisch belastenden Rahmenbedingungen wie z. B. massiver Zeitdruck infolge mangelhafter Planung können nicht durch einen Vortrag zum Thema Zeitmanagement behoben werden. Dies wirkt zynisch und verstärkt die psychische Belastung durch die wahrgenommene mangelnde Wertschätzung. 

Sehr wohl können sich Maßnahmen der Prävention mit Maßnahmen der BGF und der WIETZ sinnvoll ergänzen. Beispielsweise ist durch zahlreiche Studien belegt, dass gute Führung eine massive Auswirkung auf die psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Beschäftigten hat.  Bei Vorliegen von Führungsdefiziten könnten aus der APB abgeleitete Maßnahmen darin bestehen, dass Führungskräfte 30 % ihrer Arbeitszeit für Führungsaufgaben einsetzen, mitarbeiter:innenorientierte Führungsaufgaben gemeinsam im Zuge einer Klausur als Führungsleitbild festhalten und in herausfordernden Situationen Unterstützung in Anspruch nehmen. Vonseiten der BGF könnte die Ausbildung der Führungskräfte in „Gesund Führen“ hilfreich sein. Sinnvoll kann auch eine Ergänzung des Leitfadens zum Mitarbeiter:innengespräch sein, um den Austausch zwischen Beschäftigten und Führungskräften zu Gesundheitsthemen zu intensivieren. Bei der WIETZ gibt der partizipativ erarbeitete Leitfaden für Führungskräfte zur Wiedereingliederung langzeiterkrankter Mitarbeiter:innen aufgrund psychischer Erkrankungen auch Führungskräften Sicherheit.

Natürlich sind die Grenzen zwischen Prävention und Gesundheitsförderung sowie Maßnahmen aus der WIETZ nicht so trennscharf, wie es das obige Beispiel erscheinen lässt. Je nach Ausgangslage kann argumentiert werden, dass die eine oder andere Maßnahme sowohl aus der Prävention als auch aus der BGF oder der WIETZ stammen könnte. Prinzipiell geht es darum, die Beseitigung vorliegender negativer psychischer Belastungen nicht allein der Eigenverantwortung der Beschäftigten zu überlassen. Weder können Führungskräfte nach Absolvierung eines Seminars, aber ohne zeitliche Ressourcen, ihren Aufgaben zur Mitarbeiter:innenführung nachkommen, noch kann ohne Unterstützung die Wiedereingliederung psychisch Langzeiterkrankter belastungsarm für alle Seiten bewältigt werden. 

Diagramm eines Hauses, das die Ergebnisse der BGM-Standortbestimmung darstellt. Die Bereiche des Hauses symbolisieren die Ebenen des Arbeitnehmer:innenschutzes (Fortgeschritten), der betrieblichen Gesundheitsförderung (Basis) und des betrieblichen Eingliederungsmanagements (Basis). Der Befüllungsgrad des Daches zeigt das Gesamtkonzept und die Nachhaltigkeit der Maßnahmen.
BGM-Check © gesundheit-im-betrieb.at/bgm-check/bgm-check-starten

Regelmäßig und anlassbezogen

Aktuelle Zahlen, wie viele Betriebe in Österreich die APB überhaupt und dann auch noch regelmäßig durchführen, liegen nicht vor. Bei jenen rund 5.600 Betrieben, die 2022 vom Arbeitsinspektorat kontrolliert wurden, kam es in rund 1.300 Fällen zu Beanstandungen.  Dabei ist die Frage der Regelmäßigkeit weder gesetzlich noch durch eine Verordnung näher definiert.  Wird die APB im Zuge eines umfassenden BGM umgesetzt, fällt es leichter, dem PDCA-Zyklus folgend diese Regelmäßigkeit einzuhalten und die oben beschriebenen Synergien zu nutzen. Prozessdurchläufe von 2 bis 3 Jahren haben sich dabei bewährt. 

Neben dieser regelmäßigen Wiederholung ist die APB auch anlassbezogen durchzuführen. Eine anlassbezogene Wiederholung ist unter anderem dann angezeigt, 

  • wenn es zu Unfällen oder Beinahe-Unfällen gekommen ist, 
  • bei Auftreten von Erkrankungen, bei denen der Verdacht besteht, dass diese arbeitsbedingt sind, 
  • nach Zwischenfällen mit erhöhter arbeitsbedingter psychischer Fehlbeanspruchung oder
  • bei Einführung neuer Arbeitsverfahren.  

Negative psychische Folgen von Belastungen können auf individueller Ebene (z. B. Unzufriedenheit, Frustration, Resignation), auf Teamebene (z. B. Konflikte, Qualitätsprobleme) und / oder betrieblicher Ebene (z. B. erhöhte Krankenstandszahlen, Fluktuation und Unfälle) zum Ausdruck kommen.  In diesen Fällen ist die APB ein probates Mittel, die dahinterliegenden Ursachen sichtbar zu machen und durch auf die Situation abgestimmte Maßnahmen die Rahmenbedingungen wieder sicher und gesund zu gestalten.

Sonderfall: besondere Anforderungen

Werden kurzzeitig besondere Anforderungen an Beschäftigte gestellt, dann unterstützt die APB dabei, mögliche negative Folgen frühzeitig zu entdecken und rechtzeitig darauf zu reagieren. Dabei zielt die APB nicht nur auf die Belastungen ab. 

Als Beispiel hierfür sei die in einem Unternehmen notwendige kurzzeitige Produktionssteigerung verbunden mit überlangen Arbeitszeiten beschrieben. In der Literatur finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass überlange Arbeitszeiten zu physischen und psychischen Belastungen führen. Diese können in weiterer Folge die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigen. Aufgrund dieser Erkenntnisse werden präventiv Maßnahmen wie z. B. ein auf die Anforderungen abgestimmtes Pausenregime ergriffen. Weiters begleiten die PFKs gemeinsam mit der APsy diese herausfordernde Phase. Unter anderem werden mittels mehrmaliger schriftlicher Befragungen jene sicherheits- und gesundheitsrelevanten Aspekte beobachtet, die durch die überlangen Arbeitszeiten auftreten können. Inhalte sind Pausenzeiten und Pausenqualität, wahrgenommener Druck (Stress, Führungsverhalten, Präsentismus), Kollegialität (soziale Unterstützung), Schlafqualität, aktueller Erholungsstatus sowie Rücken- und Kreuzschmerzen. Werden negative Entwicklungen festgestellt, kann unmittelbar gezielt gegengesteuert werden. 

Mann mit Schutzhelm und Warnweste spricht in ein Megafon vor einem Hintergrund aus gestapelten Schiffscontainern.
Achtung – Gefahr! Menschen neigen dazu, Gefahren zu unterschätzen, so dass negative Auswirkungen von psychischen Belastungen zu spät erkannt werden. In Unterweisungen lernen Beschäftigte, Risiken realistischer einzuschätzen und vorzubeugen. © Adobe Stock / atitaph

Achtung – besondere Gefahr!

Menschen neigen dazu, Gefahren für die Gesundheit zu unterschätzen, da sie als vermeintlich kontrollierbar wahrgenommen werden. Damit einher geht oft eine verzerrte Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit. Diese Effekte können dazu beitragen, dass zu wenig auf die eigene Gesundheit Bedacht genommen wird und negative Auswirkungen von psychischen Fehlbelastungen zu spät erkannt werden. 

In Unterweisungen lernen Beschäftigte in solchen Fällen, das Risiko realistischer einzuschätzen, und welche konkreten Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um negativen Auswirkungen vorzubeugen. Unterweisungen zu psychischen Belastungen tragen dazu bei, die Themen zu enttabuisieren und Führungskräften ihre durch ihre Weisungsbefugnis entstehende Fürsorgepflicht auch in diesem Bereich zu verdeutlichen.  

Im Gegensatz zu freiwillig zu besuchenden Gesundheitsvorträgen sind Unterweisungen konkret auf die Arbeitsbedingungen zugeschnittene Informationen und müssen von den Beschäftigten nachweislich wahrgenommen werden.

Zusammenfassung

Die Evaluierung psychischer Belastungen ist ein zentrales Handlungsfeld für mehr Sicherheit und Gesundheit in Unternehmen. Dabei ist zum einen die Abgrenzung zu Nachbardisziplinen notwendig, zum anderen aber auch die Nutzung von Synergien. Es gilt Rechtsansprüche klarzustellen, Doppelgleisigkeiten zu vermeiden und die Wirksamkeit von Maßnahmen zu steigern. Expertise kommt dabei von Arbeitspsychologen:-psychologinnen. 


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