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Digitalisierung

Digitalisierung im Gefahrgutrecht

Wie die 34. Münchner Gefahrguttage 2024 gezeigt haben, lässt sich auch im Bereich Gefahr­gut die Digitalisierung der Logistikprozesse nicht mehr aufhalten. Welche Hinder­nisse es dabei noch zu überwinden gilt und wie die erforderlichen Prozesse aussehen können, ist Thema dieses Berichts.

© Adobe Stock / industrieblick

Bei der Digitalisierung von Logistikprozessen gilt es noch Hindernisse zu überwinden – diese sind nicht nur technischer Natur. So ist das digitale Beförderungspapier zwar längst Realität bei der wirtschaftlichen Abwicklung der am Gefahrguttransport Beteiligten, wie z. B. Absender und Beförderer, doch die im Gefahrgutrecht geforderte Vor-Ort-Verfügbarkeit in ausgedruckter Version (z. B. bei eventuellen Kontrollen) lässt viele auf die digitale Variante verzichten.

Neben dem Management der Daten, die über und an verschiedensten Logistikstationen wie Absender, Verpacker oder Beförderer anfallen, spielt auch die Aktualisierung der Örtlichkeit beim Transport eine Rolle. Datenintegrität, Datensicherheit, aber auch Datenfälschung und damit verbundene Kriminalität werden in Zukunft nicht nur in wirtschaftlicher, sondern vor allem in sicherheitstechnischer Hinsicht extrem wichtig werden. 

Die zahlreichen Spezialregelungen in diversen Kombinationen aus Verpackungsvorschriften, technischen Stoffregelungen und normativen Vorgaben, für jeden Verkehrsträger gesondert geregelt, stellen bei der Programmierung ein offenbar fast unüberwindbares Hindernis dar, das vor allem derzeit noch an den Schnittstellen den digitalen Datenaustausch zum Erliegen bringt.

Im internationalen Transport und in der Gefahrgutlogistik wird derzeit künstliche Intelligenz (KI) nur zur Logistikverbesserung bzw. Warenstromkontrolle genutzt. Die Selbstabfertigung von Gefahrgutsendungen könnte in manchen Fällen trotzdem eine nicht allzu entfernte Realität sein. Jedoch gilt es zu bedenken: Fehlinformationen, insbesondere absichtlich herbeigeführte, gilt es zu identifizieren und vor allem zu verhindern. Die Steuerhoheit und vor allem die Entscheidungskompetenz und -verantwortung wird bei dem:der Absendenden des Gefahrguts verbleiben.

Einen bereits im verkehrstechnischen Alltag oft gar nicht mehr wahrgenommener Einsatz digitaler Systeme sowie zukünftig auch KI stellen Batteriemanagementsysteme zur sicheren Energiespeicherung und -abgabe bei alternativen Antrieben und Kommunikationselementen wie Computern und Mobiltelefonen dar. 

In der Regel wird die Nutzung integrativer Datenströme jedoch überwiegend von großen Anwender:innengruppen bevorzugt, wodurch kleine Unternehmen nur noch in speziellen Nischen, wenn überhaupt, überlebensfähig sind.

Neue Regelungen und alternative Energieträger

Im Kapitel 2.2.9.1.7 des ADR 2023 (ADR = Accord européen relatif au transport international des marchandises dangereuses par route, also Gefahrguttransport auf der Straße) werden nun neben den Lithiumbatterien auch Natriumbatterien geregelt. Auch für eine Vor-Ort-Kontrolle am Verkehrsträger muss eine Prüfzusammenfassung der vorgeschriebenen 8 Tests verfügbar sein. Dies ist neben dem Transport innerbetrieblich auch für einen Nachweis eines sicheren Betriebs bzw. Erzeugnisses von Vorteil, auch hinsichtlich erforderlicher Nachweise im Brandschutz. Die Ergebnisse dieser Prüfungen dürfen zwar auch digital vorliegen (Vorsicht: derzeit im Gegensatz zum Beförderungspapier: das muss in Papierform sein!), die Prüfzusammenfassung muss aber beim Transport mindestens gedruckt mitgeführt werden.

Die neue Sondervorschrift (SV) 677 regelt die Beförderung von hochdefekten Lithium- und Natriumbatterien. Für diese werden auch extra völlig neue UN-Nummern (United-Nations-Nummer: zugeordnete Identifikationsnummer im Regelwerk der Vereinten Nationen) geschaffen: UN 3556, UN 3557 und UN 3558: Fahrzeug mit Natriumbatterie. 

Für die Natrium-Ionen-Batterie gilt die UN 3551 und für die Natrium-Ionen-Batterie in und mit Ausrüstungen die UN 3552. Ein völlig neuer, innovativer Zugang eröffnet sich in dem fast durchgehend von technischen Erfordernissen geprägten Regelwerk in der unscheinbaren SV 279: „auf Grund von Erfahrungen in Bezug auf den Menschen klassifiziert“. Dies gibt die Möglichkeit, determinativ oft schwer greifbare Erfahrungen mit Gesundheitsgefahren in das Regelwerk einfließen zu lassen!

Neben interessanten Neuerungen und Herausforderungen in der zunehmend digitalen Abwicklung und Nachverfolgbarkeit gefährlicher Güter bleiben aber die physikalisch-chemischen Gefahren unabdingbar weiter vorhanden. Deren Kenntnis und der richtige Umgang sind weiterhin zu beachten. 

Das Regelwerk ADR 2023 versucht hier, auch aufgrund verschiedenster Schadensfälle, durch neue Regelungen besser gegenzusteuern.

Die Entsorgung von Aerosolpackungen (Spraydosen) ist aufgrund von fehlenden Kenntnissen und fehlendem Gefahren-Bewusstsein oft desaströs: Volle Einheiten werden ohne Schutzkappen gefährlich in oft unbelüfteten Kunststofffässern entsorgt © Adobe Stock / IBRESTER

Aerosolpackungen (Spraydosen), Abfall und Asbest

Aerosolpackungen (Spraydosen): Dem Alltagsgefahrgutgegenstand Aerosolpackungen (Spraydosen), der fast in jedem Haushalt, oft in beachtlichen Mengen, vorhanden ist, wurde eine neue SV 406 zugeordnet, wobei die alte SV 653 aufgelöst wird. Damit können Druckgefäße weiter bis höchstens 1.000 ml als LQ – Limited Quantity (Kleinmenge) befördert werden!

Aufgrund von fehlenden Kenntnissen und fehlendem Gefahren-Bewusstsein sieht es jedoch bei der Entsorgung der Aerosoldosen desaströs aus: Zum Teil volle oder nur halbentleerte Einheiten ohne Schutzkappen werden vorschriften- und damit gefährlich regelwidrig in zumeist unbelüfteten Kunststofffässern entsorgt: Die Spezialisten:Spezialistinnen wissen, dass SV 327 mit PP 87 gilt. Das heißt sehr simpel übersetzt: Spezielle Bergeverpackung im Extremfall, aber in JEDEM Fall eine bodenseitig vorgeschriebene Kaskade an Entlüftungsöffnungen, um gefährliche explosionsfähige Atmosphären zu verhindern.

Neben dem privaten Bereich fallen große Mengen von Aerosoldosen (Spraydosen) auch im klinischen Gesundheitsbereich an. Die UN 3291 Klinischer Abfall, unspezifiziert, darf nun betreffend der genauen Entsorgungsmenge auch geschätzt werden: Mögliche Kontaminationen durch unnütze Wiege- und Ermittlungsverfahren fallen damit weg, was für die betroffenen Mitarbeiter:innen eine wesentliche Erleichterung darstellt.

Verpackungstechnisch kam es eben­falls zu einer interessanten Neuerung: In 4.1.121.7 wird der Nachweis der chemischen Verträglichkeit von Verpackungen gefordert. Somit sind in Zukunft nur mehr die Polyethylenverpackungen zulässig, die die gelisteten Prüfungen bestanden haben!

Und auch das im Arbeitnehmer:innenschutz wichtige Thema Asbest ist im Gefahrgut allgegenwärtig: Hier gilt es besondere, eigentlich nicht mehr ganz so neue Vorschriften, endlich zu beachten und umzusetzen!

Richtige Entsorgung

Speziell in der Asbest-Entsorgung wird die Gesundheitsgefährdung, der Staub in der Luft, grob unterschätzt. Es gelten die SV 678 in Verbindung mit AP 12 sowie CV 38 (= weitergehende Detail-Sondervorschriften bei Gefahrgut-Transport):

  • SV 678: Das Asbest darf nur mehr als geschlossene Ladung ohne andere Zuschlagstoffe befördert werden, in einem geschlossenen Containersack und vor allem ohne staubige Außenkontaminationen!
  • AP 12: Die (zumeist) Großverpackung muss staubdicht sein. Dies lässt sich in der Praxis nur mittels einer Polyethylen- oder zumindest Kunststofffolie bewerkstelligen. Die Außenverpackung muss entweder über einen Reißverschluss verfügen oder eine Sackdichtheit nachweisen.
  • CV 38: Das Transportfahrzeug darf keine scharfen Innenkanten aufweisen, auf der Ladefläche dürfen keine Staubkontaminationen erkennbar sein.

Anhand dieser detaillierten Vorschriften wird offensichtlich, dass viele Gefahrgutvorschriften dem unmittelbaren Gesundheitsschutz der in den jeweiligen Branchen tätigen Bediensteten dienen!

Der Hochseetransport wird wahrscheinlich als Erster digitalisiert – hier wird aber auch streng kontrolliert. Am Hamburger Hafen wurden im letzten Jahr bei rund zwei Drittel der Sendungen Beanstandungen gefunden da Unternehmen lieber Strafzahlungen riskier © Adobe Stock / Thorben

Gefahrgut international

Der Verkehrsträger, der wahrscheinlich als Erster der Volldigitalisierung entgegensieht, ist der Hochseetransport. Hier wird aber auch entsprechend streng kontrolliert, und wer glaubt, ohne Vorschriften in der digitalen Welt leben zu können, den lehrt die HSVO, die Hafensicherheitsverordnung des Hamburger Hafens, wenn schon nicht das Fürchten, dann zumindest eine gehörige Portion Respekt. 4 Reviere haben im letzten Jahr immerhin 3.513 bereits vorselektierte Container (interessante, besonders gefährliche, einschlägig bekannte oder sonstig auffällige Gefahrgüter) kontrolliert und dabei 2.372 Beanstandungen (ganz ohne KI) gefunden: Das sind rund zwei Drittel der Sendungen! Dies zeigt die leider noch immer hohe Bereitschaft der Unternehmen, Strafzahlungen bewusst zu riskieren, anstatt alle Vorschriften korrekt einzuhalten. 

Jedoch gilt es stets das Bezugssystem im Auge zu haben, wie das folgende Beispiel verdeutlicht: Stroh am Bauernhof gilt gemeinhin als ungefährlich (trotz Brandgefahr, möglicher allergischer Reaktionen etc.). Aber in der Hochsee, verdichtet im Container, kann es, insbesondere wenn es feucht wird, gefährliche (Rückstau-)Wärme erzeugen: dies führt zu UN 1327 Heu oder Stroh. Diese Zuordnung gilt jedoch nur für bestimmte Verkehrsträger.

Zu viele Detailvorschriften, noch dazu, wenn sie weder verstanden noch im Einzelfall befolgt werden, können die klare und notwendige Sicherheitsabsicht dieses inzwischen internationalen Regelwerkes intransparent machen. Selbst im ADR-Raum in Europa ist z. B. das Gesamtwerk auf Polnisch nur schwer in Druckform zu erhalten und leider nicht im Internet verfügbar. Hier werden in Zukunft technische Fachübersetzungen und Interpretationen in elektronischer Verfügbarkeit unumgänglich sein, um allein die Vorschriftenkenntnis und damit die grundlegende Information sicherzustellen.

Die Neuzugänge der Länder im ADR-Raum, der sich zunehmend auf Afrika ausdehnt, etwa Uganda oder Nigeria, besitzen derzeit nicht nur kulturell und ausbildungsmäßig, sondern auch allein durch geografische Gegebenheiten einen völlig anderen Zugang zu technischen (Sicherheits-)Vorschriften als Europa. In diesem Zusammenhang darf man auf den Beitritt der Republik Südafrika und die wahrscheinlich folgende Erweiterung auf ganz Südafrika gespannt sein. Auch hier wird der Einsatz elektronischer Verständnis- und Hilfsmittel unumgänglich sein. 

Erste digitale Schritte

Die ersten Schritte zum vollautomatischen gesicherten Ablauf eines Gefahrguttransportes sind bereits erfolgreich umgesetzt. Die organisatorischen Erfordernisse wie schriftliche Weisungen und Beförderungspapiere können bereits jetzt entlang der gesamten Transportkette von dem:der Absender:in bis zum:zur Empfänger:in zur Verfügung gestellt werden. Die vorrangige elektronische Erstellung ist allerdings nicht verpflichtend. Im Gegenteil, auf die Vorlage z. B. des Beförderungspapiers in Papierform wird bei der Gefahrgutkontrolle nach wie vor bestanden. 

Die tatsächliche elektronische Nachverfolgung der konkreten Gefahrgutverpackung bzw. z. B. eines ganzen Containers wird derzeit nur selten als notwendig erachtet und ist nur für besonders empfindliche und teure Gefahrgüter auf gefährdeten internationalen Transportwegen wirtschaftlich. 

Aber auch bei Kleinmengentransporten kann die Digitalisierung zu einer verbesserten Sicherheit führen, wenn auch nur indirekt: Die verpflichtend zum Einsatz kommenden Gefahrgutverpackungen, die ein wesentliches Sicherheitselement darstellen, werden vermehrt bei ihrer Herstellung einer zum Teil elektronischen Vollkontrolle unterworfen.  

In der Versorgung des österreichischen Marktes mit gefährlichen Gütern arbeiten die Anbietenden von Gefahrgutlägern mit elektronischen Erfassungs- und Verwaltungssystemen, die bereits vorab zu einer verbesserten und zielgerichteten sicheren Marktversorgung führen. In der Erfassung der Abfallströme von Gefahrgütern wird neben der elektronisch-organisatorischen Erfassung und Leitung der Entsorgungsströme hinkünftig vermutlich auch der Einsatz künstlicher Intelligenz zu einer Optimierung und vielleicht sogar Reduzierung führen.

Ohne den Einsatz elektronischer Systeme ist ein sicherer Gefahrguttransport zukünftig nicht mehr denkbar. Der Einsatz von KI steht zwar erst am Anfang, gestaltet sich aber speziell in der Abfallbranche vielversprechend.

Zusammenfassung

Neue technische Erfordernisse und Produkte bzw. Systeme führen zur Notwendigkeit neuer UN-Nummern und Gefahrgutvorschriften. Es besteht die Gefahr, dass durch den Detailreichtum und die behauptete notwendige juristische Exaktheit die Vorschriften zunehmend, zumindest textlich, unverständlich und nicht handhabbar werden. Digitale Prozesse können hier unterstützend wirken und werden zunehmend genutzt, wobei es zahlreiche Detailschwierigkeiten zu überwinden gilt. Dabei kann der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) zu Verbesserungen führen.


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