AUVAfit
Zwischenmenschlich gestaltete Arbeit in Pflegewohnheimen
Professionelle Betreuung und Pflege erfolgt in Form individualisierter Leistungen. Diese Leistungen erfordern – insbesondere in Einrichtungen der geriatrischen Langzeitpflege – die Fähigkeit des Personals, soziale Beziehungen aufzubauen und persönliche Interessen und Bedürfnisse von Heimbewohner:innen sowie deren An- und Zugehörigen zu erkennen und zu bearbeiten. Individualisierte Leistungen bedürfen deshalb einer flexiblen und interaktiven Arbeitsweise sowie entsprechend gestalteter Arbeitsbedingungen.
Für eine gute Gestaltung der in vielerlei Hinsicht anspruchsvollen, aber auch erfüllenden und sinnstiftenden individualisierten Leistungen sind drei Prinzipien wesentlich.
1. Heimbewohner:innen-Orientierung
Heimbewohner:innen-Orientierung entspricht dem oftmals geäußerten Wunsch des Personals nach „mehr Arbeit mit, statt am Heimbewohner“. Mit diesem Zugang wird auch psychosozialen und emotionalen Themen, kurz Zwischenmenschlichem, der Einzug in die (Arbeits-)Organisation ermöglicht. Damit wird eine Referenz für eine günstige sozial-kommunikative Arbeitsgestaltung sowie für selbstorganisierte Arbeitsweisen als zentrale Grundlage für die Gestaltung und Erbringung individualisierter Leistungen geschaffen.
2. Kooperative Selbstorganisation und Arbeitsgestaltungskompetenz als selbstorganisierte Arbeitsweisen
Eine hohe Ausprägung selbstorganisierter Arbeitsweisen ermöglicht es Mitarbeiter:innen, ihre Arbeit – alleine oder im Team – nach eigenen Vorstellungen und insbesondere auf heimbewohner:innen-orientierte Anforderungen hin (mit) zu gestalten und umzusetzen. Dabei können nicht nur sachlich-rationale Dimensionen der Zusammenarbeit, sondern im Sinne einer Heimbewohner:innen-Orientierung auch psychosoziale und emotionale Themen der Organisation und des Personals, kurz Menschliches, in die Arbeitsgestaltung miteinbezogen werden. Wichtig dabei ist, organisational all das wegzulassen, was selbstorganisierte Arbeitsweisen erschwert oder verunmöglicht[5]. Das sind etwa unklare Hierarchien, starre Reglements, Intransparenz oder unzureichende Partizipation. Erst nach Beseitigung dieser Regulationsbehinderungen können Mitarbeiter:innen Erwartungshaltungen, Rollenverteilungen und Aufgabenbereiche konstruktiv definieren, abgleichen und gestalten.
3. „Detached Concern“ als relevantes Konzept
Zur Bewältigung dieser kommunikativen Herausforderungen bedarf es einer professionellen kommunikativen Haltung, die diese (Beziehungs-)Arbeit erleichtert und die damit fallweise verbundenen emotionalen Irritationen und Kränkungen verhindert, abschwächt oder gar auflöst. Hier bietet sich das Konzept des „Detached Concern“ an. „Detached Concern“ kann mit „professioneller Anteilnahme durch Empathie und Abgrenzung“ übersetzt werden. Gemeint ist eine emotionsregulierende Arbeitshaltung zur Bewältigung emotionaler Belastungen in kommunikativ gestalteten und emotional schwierigen Arbeitsprozessen, die mittels Balance zwischen ausgeprägter empathischer Anteilnahme („concern“) und hinreichender Abgrenzungsfähigkeit („detachment“) erreicht werden kann. Dadurch soll es gelingen, sich vor emotionalen Beeinträchtigungen zu schützen und die Arbeit erfolgreich und professionell durchführen zu können[6].
„Detached Concern“ ist in diesem Sinne keineswegs nur eine individuelle, sondern viel mehr auch eine organisationale Ressource, die es entsprechend – vor allem von Mitarbeiter:innen selbst – zu gestalten gilt. Zur Unterstützung dieses Prozesses bietet sich das Modell einer sozial-aktivierenden Arbeitsgestaltung im Projekt „AUVAfit“ an, das im Folgenden vorgestellt wird.
Modell einer sozial-aktivierenden Arbeitsgestaltung im Projekt „AUVAfit“
Für eine günstige sozial-kommunikative Gestaltung und Organisation von Arbeitsbedingungen und den Umgang mit Unwägbarkeiten und Ungewissheiten sind – als deren Kern – im Modell folgende Rahmenbedingungen abgebildet:
- Eine Unternehmenskultur mit klaren Werten, Zielen und Leitsätzen (vor allem hinsichtlich einer Heimbewohner:innen-Orientierung),
- eine Führung, die diese Prinzipien lebt und die Mitarbeiter:innen bei deren Umsetzung unterstützt,
- fachliche und vor allem sozial-emotionale Kompetenzen der Mitarbeiter:innen und
- innerbetriebliche soziale Beziehungen.
Als selbstorganisierte Arbeitsweisen bietet das Modell (siehe Abb.) die oben beschriebene kooperative Selbstorganisation auf Ebene von Teams und eine Arbeitsgestaltungskompetenz auf Ebene von Mitarbeiter:innen an. Über eine Heimbewohner:innen-Orientierung können personenzentrierte Grundwerte wie Empathie, Vertrauen, Verständnis, Respekt und Recht auf Selbstbestimmung[7] in Form psychosozialer Themen und Menschlichkeit in die alltägliche Arbeitsgestaltung Einzug halten. Auf Grundlage dessen lassen sich kommunikative Prozesse – mit Heimbewohner:innen und zwischen Mitarbeiter:innen – menschlich(er) und damit auch günstig(er) gestalten. Dabei wird auf eine emotionsregulierende kommunikative Strategie bzw. professionelle Haltung durch Empathie und Abgrenzung („Detached Concern“-Ansatz) Bezug genommen.
Arbeitswissenschaftliche Einordnung
Einer sozial-aktivierenden Arbeitsgestaltung können erhebliche lern- und persönlichkeitsförderliche Merkmale[4] unterstellt werden. So setzen sich Arbeitsaufgaben ganzheitlicher Pflege aus planenden, ausführenden, steuernden und kontrollierenden Arbeitsschritten zusammen und machen Tätigkeiten /Aufgaben vielseitiger. Dies fördert die Entwicklungsmöglichkeiten und bietet Anknüpfungspunkte für soziale Kontaktmöglichkeiten. Der eigene Beitrag kann dadurch als bedeutsam(er) wahrgenommen werden.
Arbeitsgestaltungsmaßnahmen
Ein Arbeitsgestaltungsansatz ist, dass aufgrund der Erkenntnisse aus einer genauen Analyse der Arbeitsbedingungen – partizipativ mit Mitarbeiter:innen – verschiedene Maßnahmen abgeleitet werden.
Ein erweiterter Zugang wäre die – selbstbestimmte und selbstorganisierte – aktive (Mit-)Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Mitarbeiter:innen und Teams. Für diesen Ansatz sprechen ein prozesshaftes, intuitiv-analytisches Vorgehen, bei dem „evidenzbasierte“ Kausalzusammenhänge nicht immer zwingend erforderlich erscheinen[3]. Dies begründet sich aus verschiedenen Unwägbarkeiten und Ungewissheiten im Alltag von Pflegewohnheimen.
Idealerweise geschehen Umsetzung und Praxistransfer im Rahmen einer beteiligungsorientieren Begleitberatung, in die Mitarbeiter:innen unterschiedlicher Verwendungsgruppen und hierarchischer Positionen eingebunden sind. Dabei wird gute Wirkung im Zusammenspiel verschiedener Arbeitsgestaltungsmaßnahmen erzielt, die mit den in der Analyse gewonnenen Erkenntnissen als auch durch das prozesshaft intuitiv-gestaltende Vorgehen von Mitarbeiter:innen untermauert wird.
Zusammenfassung
Arbeitsgestaltung erfüllt mehrere Funktionen: Sie kann die Sicherung der Qualität der Organisation unterstützen, hat aber auch – insbesondere mit Blick auf den Arbeitnehmer:innenschutz – die Gesunderhaltung der Beschäftigten zum Ziel. Arbeit kann – richtig gestaltet – lern- und persönlichkeitsförderlich sein und mehr noch: Sie kann begeistern und Spaß machen und damit Gesundheit und Wohlbefinden stärken[1].
Unter diesen Gesichtspunkten fokussiert sozial-aktivierende Arbeitsgestaltung nicht nur die Gestaltung der Arbeitsaufgaben und -abläufe, sondern betont vor allem auch die Unternehmens- und Führungskultur sowie die Kommunikation und Kooperation mit Kollegen:innen. Insbesondere in Pflegewohnheimen, wo professionelle Betreuung und Pflege in Form individualisierter Leistungen erfolgt, fließt zusätzlich die Beziehung zu Heimbewohner:innen (und deren An- und Zugehörigen) mit ein. Diese anspruchsvoll zu gestaltenden Tätigkeiten werden besonders durch operative (vor allem bei der Führung) sowie kommunikative und konzeptionelle Schwächen erschwert und stellen darüber hinaus auch eine Quelle psychischer Belastung dar. Außerdem beziehen individualisierte Leistungen soziale und gefühlsorientierte Inhalte mit ein, deren Kontrolle bzw. Manipulation einen weiteren Belastungsfaktor darstellt[8].
Durch diese Form der Arbeitsgestaltung wird ein professioneller Umgang mit Unwägbarkeiten als „Potenzial für eine Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten“[2] eröffnet, indem die menschliche Zuwendung keinen „Zusatzaufwand“ darstellt, sondern vielmehr helfen soll, Qualität und Effizienz der Arbeit zu erhöhen und zugleich die subjektive Belastung zu reduzieren[9]. Zudem wird die Identifikation der Mitarbeiter:innen mit den Werten der Organisation sowie die Bindung an die Pflegewohnheime erhöht. Damit werden die Grundlagen für eine vertrauens- und respektvolle sowie anteilige und lösungsorientierte Gestaltung der Beziehung zu Heimbewohner:innen, Kollegen:innen, An- und Zugehörigen und zur Führung geschaffen. Es wird ein Handlungsrahmen geboten, der den menschlichen Basismotiven nach Kontrolle, Einflussnahme, Persönlichkeitsentwicklung und Kompetenzerweiterung gerecht wird und der die für Mitarbeiter:innen so wichtige Sinnstiftung generiert. Darüber hinaus wird eine wertschätzend gelebte, empathisch entspannte Orientierung gegenüber den (Kooperations-)Partnern und ein menschlich „geschmeidiger“ Umgang mit den Herausforderungen in diesem, von Spannungen und Unwägbarkeiten gekennzeichneten, Arbeits(um)feld möglich.
Es besteht die Möglichkeit, in weiteren AUVAfit-Projekten von MMag. Eckerstorfer, MPH gute Arbeitsbedingungen im Sinne heimbewohner:innen-orientierter Beziehungsarbeit zu bestimmen und damit für eine Gestaltung explizit(er) und auch sichtbar(er) zu machen. So kann eine Win-win-win-Situation entstehen: Für Mitarbeiter:innen, für Heimbewohner:innen und für (Träger von) Pflegewohnheime(n).