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Komm gut an!

Vision: Null Lkw-Absturzunfälle

Die deutsche BG Verkehr hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Die Zahl der Unfälle durch Absturz vom stehenden Lkw soll drastisch reduziert werden. Um geeignete Präventions­maßnahmen zu finden, wurde eine Erhebung der Absturzursachen durchgeführt. Erste Ergebnisse der Auswertung zeigen, dass Stürze bei der Ladungssicherung sowie beim Be- und Entladen besonders häufig sind.

ein Helm eines Arbeiters liegt am Boden, dahinter sieht man in der Unschärfe einen Arbeiter am Boden liegen und eine zweite Person, die ihm hilft
© Adobe Stock / charnsitr

Vision Zero – das ist die Vorstellung von einer Welt ohne Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen. Mit dem Ziel vor Augen, die Anzahl der Unfälle durch Sturz vom stehenden Lkw mittels geeigneter Präventionsmaßnahmen auf null zu reduzieren, führte die deutsche Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft, Post-Logistik und Telekommunikation (BG Verkehr) eine detaillierte Analyse der Absturzunfälle vom Lkw für den Zeitraum von 2013 bis 2020 durch. Die Ergebnisse präsentierte DIin (FH) Eva Wilbig, Referentin der Fachgruppe Entsorgung der BG Verkehr, bei der AUVA-Fachveranstaltung „Komm gut an! Sichere Wege im Schwerverkehr“ am 19. März 2024 in Salzburg.

Der BG Verkehr ist es ein besonderes Anliegen, Abstürze vom Lkw  zu verhindern, da diese oft schwere Verletzungen verursachen und vergleichsweise häufig vorkommen. „Bei der Arbeit mit Nutzfahrzeugen treten aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und der technischen Ausstattungen der Fahrzeuge zahlreiche Gefahren auf. Von den ungefähr 6.000 Absturzunfällen, die der BG Verkehr pro Jahr gemeldet werden, ereignen sich mit rund 3.700 fast zwei Drittel bei der Arbeit mit Lkw. Rund 78 % davon entfallen auf den Güterkraftverkehr, ca. 9 % auf die Entsorgung und ca. 4 % auf die Möbelspedition“, erklärt Wilbig.

Unfallarten und Verletzungen

Die Ergebnisse der Erhebung durch die BG Verkehr geben Aufschluss darüber, bei welchen Tätigkeiten es zu Abstürzen kam und welche Verletzungen daraus resultierten. In etwa drei Viertel aller Fälle stürzten Lkw-Lenker:innen von der Ladefläche oder von Aufbauten, während sie Be- bzw. Entladetätigkeiten, Ladungssicherungs- oder Reinigungsarbeiten durchführten. Ein Viertel der Stürze passierte beim Ein- oder Aussteigen ins bzw. aus dem Fahrerhaus.

Die am häufigsten verletzten Körperteile waren Schulter, Arm und Hand (27 %) vor Hüfte, Oberschenkel, Unterschenkel und Knie (18 %) sowie Brust, Schultergürtel, Rücken, Bauch, Becken und innere Organe (17 %). Bei der Art der Verletzungen lagen Oberflächenprellungen (45 %) an erster Stelle, gefolgt von Brüchen (23 %), Verletzungen von Bändern oder Gelenkkapsel (15 %) sowie Rissen oder Quetschungen (13 %).

Beispiele für Absturzunfälle

Mit konkreten Beispielen illustriert Wilbig die Unfallfolgen der Stürze vom stehenden Lkw, etwa den Fall eines 52-jährigen Lkw-Lenkers: Der Fahrer eines Absetzbehälterfahrzeugs verlor bei Ladungssicherungsarbeiten auf dem Aufbau das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Er kam mit dem Rücken auf und brach sich zwei Lendenwirbel. Die Folge war ein mehrwöchiger Krankenstand.

Auch ein 32 Jahre alter Lkw-Lenker verunfallte bei Ladungssicherungsarbeiten. „Der Beschäftigte arbeitet in einer Stückgutspedition und war beauftragt, Holzkonstruktionen – Teile von Hauswänden – zu einem Kunden zu transportieren. Bei der Sicherung der Ladung stürzte er von der Ladefläche und zog sich mehrere Frakturen zu. Der Verunfallte lag bewusstlos neben seinem Fahrzeug, als ihn Kollegen fanden“, schildert Wilbig.

Bei schlechten Sichtverhältnissen ereignete sich der folgende Unfall: Der 59-jährige Fahrer eines Lkw sicherte auf seinem Auflieger mithilfe von Ketten eine Ladung Holz, die für eine Papiermühle bestimmt war. Es war dunkel und regnete stark. Der Mann bewegte sich rückwärts, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel vom Anhänger. Die Folge war der Bruch beider Arme.

Beim Absturz einer 62-jährigen Lkw-Lenkerin spielte der – eher seltene – Fall eines Materialschadens eine Rolle: „Die Beschäftigte ging um neun Uhr Früh zu ihrer Zugmaschine und wollte in das Fahrerhaus steigen, um Getränke auszuliefern. Sie hielt sich am Haltegriff fest, der dabei brach. Die Lenkerin stürzte rückwärts auf den Asphalt, brach sich die Hüfte und musste operiert werden. Seither ist sie in einer Rehabilitationsklinik“, berichtet Wilbig.

Aufstiege vermeiden

Zur Vermeidung von Abstürzen sollte nach dem STOP-Prinzip – Substitution vor technischen und organisatorischen Maßnahmen und als letztes Mittel persönliche Maßnahmen – vorgegangen werden. „Grundsätzlich gilt: Wer nicht hinaufmuss, kann nicht herunterfallen. Die beste Lösung ist, möglichst viele Arbeiten vom Boden aus zu erledigen“, spricht Wilbig den Ersatz des Aufstiegs auf Ladefläche oder Aufbauten als bevorzugte Alternative an.

Schon bei der Anschaffung eines neuen Lkw sollte auf eine Ausstattung geachtet werden, welche die Anzahl der nötigen Aufstiege und Arbeiten in der Höhe verringert, so Wilbig: „Wirkungsvolle Prävention fängt mit der Auswahl eines geeigneten Fahrzeugs an. Was soll mit diesem Fahrzeug gemacht werden? Ist es so gestaltet, dass die vorgesehenen Tätigkeiten sicher ausgeführt werden können?“

Für Schüttguttransporter ist eine Abdeckvorrichtung mit elektrisch zu betätigendem Schiebeverdeck oder Rollplane zu empfehlen. Diese Abdeckung kann vom Boden aus mittels Fernbedienung geöffnet und geschlossen werden. Das geht schneller als manuelles Auf- und Abplanen, was auch angesichts des oft hohen Zeitdrucks einen Vorteil darstellt.

Der Füllstand einer Mulde lässt sich mit einem Kamera-Monitor-System vom Fahrerhaus aus überprüfen, was dem:der Fahrer:in den Aufstieg auf den Aufbau erspart. Weitere Beispiele lieferte eine Branchenkonferenz der BG Verkehr im November 2022: auch Kühlmaschinen- und Laderaumtemperatur können über entsprechende Anzeigen kontrolliert werden, ohne das Fahrerhaus verlassen zu müssen. Ebenfalls mittels Fernbedienung funktionieren automatische Kupplungssysteme für Sattelauflieger.

Eine weitere Möglichkeit, die Anzahl der Aufstiege bzw. Arbeiten auf dem Fahrzeug zu reduzieren, sind Hochdruckreinigungsdüsen zur Reinigung der Rückfahrkameras, die oben am Fahrzeugheck montiert sind. Zum Befreien der Frontscheibe von Schmutz dienen teleskopierbare Stangen mit Reinigungsaufsätzen, mit denen man vom Boden aus arbeiten kann.

Eine aufgrund der Sturzhöhe besonders gefährliche Aufgabe ist die Räumung des Fahrzeugs von Eis und Schnee unter Verwendung einer Leiter – unterwegs stehen nur selten Gerüste zur Schneeräumung zur Verfügung. Planenfahrzeuge können mit Airbag-Systemen ausgestattet werden, welche die Dachplane anheben. Das verhindert ein Ansammeln von Wasser und damit die Eisbildung.

ein Gabelstapler entlädt einen LKW
Anstelle eines Aufstiegs auf Ladeflächen ist die beste Lösung, möglichst viele Arbeiten vom Boden aus zu erledigen. Deshalb sollte schon bei der Anschaffung eines neuen Lkw auf eine Ausstattung geachtet werden, welche die Anzahl der nötigen Auf­stiege in größerer Höhe verringert. © Adobe Stock / sirayot111

Technische Maßnahmen

Mit technischen Maßnahmen ist dafür zu sorgen, dass man alle Arbeitsplätze auf dem Fahrzeug sicher erreichen kann. Die Aufstiege müssen über ausreichend breite und tiefe Trittflächen mit rutschhemmender Oberfläche und griffgünstig angebrachten Haltemöglichkeiten verfügen. Zwischenräume sollten vermieden oder gering gehalten werden. Es dürfen keine Stolperstellen durch Höhenversatz oder Befestigungselemente vorhanden sein.

Voraussetzung für ein sicheres Arbeiten auf dem Fahrzeug sind geeignete Standflächen und Haltemöglichkeiten. Arbeitsbühnen sollten ausreichend dimensioniert, mit einer Sicherung gegen Absturz im Zugangsbereich und einem Geländer samt Knie- und Fußleiste ausgestattet sein. „Arbeitsplätze, die zwei Meter oder höher über dem Boden liegen, benötigen ein mindestens ein Meter hohes Geländer mit Knie- und Fußleisten. Klappbare Geländer sollte man vom Boden aus aufstellen können“, erklärt Wilbig.

In der Praxis sind die Geländer oft zu niedrig. Häufig ist die Arbeitsfläche von Tankaufliegern mit einem nur 70 cm hohen Geländer abgesichert, das lediglich bei einer Körpergröße von maximal 1,45 m vor einem Absturz schützen würde. Im Gegensatz dazu ist bei Fahrzeugen, die durch die Maschinenrichtlinie reguliert werden, eine Geländerhöhe von zumindest 110 cm vorgeschrieben. Gelegentlich kommt es vor, dass der:die Fahrer:in bei Ladungssicherungsarbeiten zu Fall kommt und abstürzt. Um das zu verhindern, sollte der Lkw mit Antirutschmatten ausgestattet sein.

Grundsätzlich gilt: Wer nicht hinaufmuss, kann nicht herunterfallen.

Eva Wilbig Fachgruppe Entsorgung der BG Verkehr (Deutsche Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft, Post-Logistik und Telekommunikation)

Schlechte Sicht erhöht ebenfalls die Gefahr eines Absturzes von der Ladefläche oder der Rampe. Beim Be- und Entladen in der Nacht ist eine ausreichende Beleuchtung, z. B. durch einen Fluter, erforderlich. Zusätzlich können Arbeitsscheinwerfer am Fahrzeug bzw. am Aufbau befestigt werden, deren Lichtkegel auf den Tätigkeitsbereich gerichtet sind.

Lässt es sich nicht vermeiden, das Dach händisch von Eis und Schnee zu räumen, sollte eine Spezialleiter mit Standpodest und Rückenschutzbügel verwendet werden. Es empfiehlt sich, auch einen Leitergurt mitzuführen, damit die Leiter gegen Wegrutschen und Umkippen gesichert werden kann.

Für Verunsicherung – auch bei den Fahrzeugherstellern:-herstellerinnen – sorgt, dass es für die Anforderungen an die konstruktive Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie deren Zugänge auf Fahrzeugaufbauten und mobilen Maschinen keine einheitliche Regel gibt. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat deshalb mit Kollegen aus anderen europäischen Ländern einen Vorschlag für eine Norm ausgearbeitet, welche die Sicherheit für Arbeiten auf Fahrzeugaufbauten erhöhen soll. Dieser Vorschlag wird dem Technischen Komitee der Europäischen Normungsorganisation CEN unterbreitet.

Dach eines LKW, mit einer Konstruktion
Eis und Schnee von einem Fahrzeugdach zu räumen ist aufgrund der Sturzhöhe besonders gefährlich. Unter­wegs stehen nur selten Gerüste zur Schneeräumung zur Verfügung, weshalb Fahrer:innen Leitern verwenden müssen. Airbag-Systeme verhindern das Ansammeln von Wasser auf der Dachplane und damit die Eisbildung (siehe Bild). © Fa. AirPipe

Organisatorische Maßnahmen

Wenn die Kommunikation und Koordination zwischen den an der Transportkette Beteiligten nicht funktioniert, kann das Absturzunfälle begünstigen. Das betrifft vor allem die Entladestellen. Den Lkw-Fahrern:-Fahrerinnen fehlen oft die nötigen Informationen, zum Teil müssen sie Aufgaben übernehmen, für die sie nicht unterwiesen worden sind.

Welche fatalen Folgen das haben kann, zeigt das folgende Beispiel: Ein Lkw-Lenker wollte eine fahrbare Reinigungsmaschine von der Ladefläche seines Lkw entladen, fuhr rückwärts auf die Hubladebühne des Lkw und stürzte samt der Maschine ab. Er war nicht darüber instruiert worden, dass das Befahren von Steigungen über zehn Prozent mit der Reinigungsmaschine nicht zulässig ist und der Frischwassertank vor dem Transport entleert werden muss, um ein Umkippen zu verhindern.

Eine wesentliche organisatorische Maßnahme besteht darin, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass der:die Lkw-Fahrer:in die gesetzlich vorgeschriebenen Lenk-, Ruhe- und Arbeitszeiten einhalten kann, wobei auch Verkehrsaufkommen und Witterung berücksichtigt werden müssen. Kommt es aufgrund von zu knappen Terminen zu Stress, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der:die Fahrer:in bei Arbeiten auf dem Fahrzeug Zeit einzusparen versucht, wodurch sich die Unfallwahrscheinlichkeit erhöht. „Nicht umsonst sagt man: ‚Wenn du es eilig hast, mach langsam‘. Schnell schleicht sich in der Hektik eine Unachtsamkeit ein, was fatale Folgen haben kann“, so Wilbig.

Persönliche Maßnahmen

Die letzte Maßnahme nach dem STOP-Prinzip ist der Einsatz von PSA. Das Unternehmen hat nötigenfalls eine persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) zur Verfügung zu stellen – und der:die Mitarbeiter:in ist verpflichtet, diese auch zu verwenden.

Schulung und Unterweisung

Das Unternehmen muss den:die Fahrer:in darüber informieren, über welche Ausstattung zur Sturzprävention der Lkw verfügt und wie man mit ihr umgeht. Besonderes Augenmerk sollte auf neue Fahrzeuge gelegt werden sowie auf Fahrer:innen, die nicht immer mit demselben Fahrzeug unterwegs sind.

Auf der Verhaltensebene geht es darum, die Sicherheitsmaßnahmen zu beachten, etwa die Aufstiege zu benutzen und nicht in der Eile über Tank, Radnabe oder Felge auf das Fahrzeug zu klettern. Für Sicherheit sorgen den Fuß umschließende Schuhe mit rutschfesten, griffigen Sohlen. Wilbig setzt vor allem auf regelmäßige Schulungen, Trainings und Unterweisungen: „Diese können dazu beitragen, die Tätigkeiten rund um das Fahrzeug sicher zu gestalten und ein Bewusstsein für sichere Arbeitsabläufe zu schaffen.“

Zusammenfassung

Abstürze vom stehenden Lkw verursachen oft schwere Ver­letzungen. Die meisten dieser Unfälle passieren laut einer Erhebung der deutschen BG Verkehr bei Be- bzw. Entladetätigkeiten, Ladungssicherungs- oder Reinigungsarbeiten. Präventionsmaßnahmen sollten nach dem STOP-Prinzip gesetzt werden. 


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