Komm gut an!
Die wertvollste „Fracht“
Lkw-Fahrer:innen sollen auf ihre eigene Sicherung genauso achten wie auf jene der Ladung – das ist die Botschaft der ASFINAG-Kampagne für die Verwendung des Sicherheitsgurts. Auch bei den AUVA-Seminaren zur Ladungssicherung wird darauf hingewiesen, dass Angurten bei einem Unfall das Leben retten kann. Rosemarie Pexa
Im Jahr 2022 wurden auf Österreichs Autobahnen und Schnellstraßen mehr als 300 Lkw-Fahrer:innen bei Unfällen verletzt, neun weitere getötet. Mit ein Grund dafür ist die mangelnde Disziplin bei der Verwendung des Sicherheitsgurts. Laut dem Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) schnallen sich nur drei von vier Lkw-Lenkern:-Lenkerinnen an, während bei den Pkw-Fahrern:-Fahrerinnen lediglich zwei Prozent den Gurt verweigern. Die Unfalldaten zeigen, dass das Risiko ohne Sicherheitsgurt auch im Lkw wesentlich höher ist als mit Gurt: 41 der verletzten und fünf – also mehr als die Hälfte – der verstorbenen Lkw-Lenker:innen waren nicht angegurtet.
Die Botschaft, dass der Sicherheitsgurt bei einem Unfall das Leben retten kann, versucht Ing. Dominik Scholz vom Fachbereich Verkehrssicherheit der AUVA-Landesstelle Wien bei den von ihm geleiteten Ladungssicherungs-Seminaren zu vermitteln. Wenn er die Teilnehmenden fragt, wer sich regelmäßig angurtet, ist häufig zumindest eine Person dabei, die angibt, den Gurt zu verweigern, und es auch begründet – eine gute Gelegenheit für Scholz, immer noch verbreitete, aber falsche Argumente zu widerlegen.
Laut einer Erhebung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind es vor allem fünf Gründe, die Lkw-Fahrer:innen als Rechtfertigung anführen, warum sie sich nicht angurten. Der weitaus überwiegende Teil der Gurtverweigerer:-verweigerinnen empfindet das Angurten als unbequem. Ebenfalls häufig genannt wird die Ansicht, das An- und Abschnallen störe den Betriebsablauf. Etliche Lenker:innen fühlen sich ohne Gurt sicherer, einige glauben sogar, dass ihnen der Gurt bei einem Unfall gefährlich werden könnte. Eine kleine Minderheit fürchtet, sich durch die Verwendung des Sicherheitsgurts lächerlich zu machen. Auch Scholz hat derartige Aussagen in seinen Seminaren bereits gehört.
Komfort und Bewegungsfreiheit
Speziell bei längeren Fahrten empfinden manche Lkw-Fahrer:innen den Sicherheitsgurt als störend, insbesondere, wenn er am Hals anliegt. Der Anteil der Lkw-Sitze, bei denen dieses Problem auftritt, dürfte heute jedoch sehr gering sein, da Schwingsitze mit integriertem Dreipunktgurt und eine Höhenverstellung des Gurts inzwischen Standard sind. Das garantiert auch für kleinere Lenker:innen einen optimalen Gurtverlauf. Mangelnde Bequemlichkeit lässt sich daher oft auf eine nicht optimale Einstellung zurückführen. Die Verantwortung liegt dabei nicht zuletzt bei dem:der Arbeitgeber:in, der:die verpflichtet ist, eine Unterweisung zur Bedienung von Sitz und Gurt vorzunehmen.
Ist der Sicherheitsgurt richtig eingestellt, behindert er den:die Lkw-Fahrer:in auch nicht, wenn diese:r z. B. ein Ausweichmanöver durchführen muss. Ein passender Gurt bietet genügend Bewegungsfreiheit und hält den:die Lenker:in gleichzeitig bei allen Fahrmanövern sicher im Sitz.
Lohnender Aufwand
Lkw-Lenker:innen, die vorwiegend kürzere Strecken fahren, betrachten das häufige An- und Abschnallen oft als lästigen zusätzlichen Aufwand. Wer hauptsächlich im Stadtverkehr unterwegs ist, etwa bei der Paketzustellung, sieht sich aufgrund der niedrigeren Geschwindigkeit bei einem Unfall als weniger gefährdet, wenn er:sie nicht angegurtet ist. Dass jedoch auch Unfälle bei vergleichsweise geringen Geschwindigkeiten schwere bis tödliche Verletzungen zur Folge haben können, illustriert Scholz bei den Ladungssicherungs-Seminaren anhand eines Beispiels:
Bei einem Frontalzusammenstoß, einem Auffahrunfall oder „nur“ einer Vollbremsung wird der:die Fahrer:in nach vorne geschleudert, wenn er:sie nicht angegurtet ist. Ein Aufprall mit 25 km / h entspricht einem Sturz aus 2,5 m, ein Aufprall mit 50 km / h einem Sturz aus 10 m Höhe. Erfolgt der Aufprall mit 100 km / h, was sich mit einem Sturz aus 40 m Höhe vergleichen lässt, hat man kaum Überlebenschancen. „Bei einer Verdopplung der Geschwindigkeit vervierfacht sich die kinetische Energie“, erklärt Scholz den steilen Anstieg.
Natürlich kann es passieren, dass man nicht mit Absicht ungesichert losfährt, sondern darauf vergisst, den Sicherheitsgurt anzulegen. Scholz empfiehlt daher, in jedem Lkw einen Gurtwarner installieren zu lassen. Die Fahrer:innen sollten darauf hingewiesen werden, den Gurtwarner keinesfalls zu deaktivieren, auch wenn sie die Warnsignale manchmal als störend empfinden.
Trügerische Sicherheit
Die Größe und die erhöhte Position der Fahrerkabine eines Lkw ebenso wie die Masse des Fahrzeugs verleiten dazu, sich auch ohne Gurt sicher zu fühlen. Eine trügerische Sicherheit, weiß Scholz. Während bei Kollisionen mit schwächeren Verkehrsteilnehmenden eine gewisse Schutzwirkung gegeben sein kann, gilt das bei einem Zusammenprall mit einem anderen Schwerfahrzeug nicht. Bei Unfällen mit Fahrzeugen, die – wie bei einem Auffahrunfall – stehen oder in die entgegengesetzte Richtung fahren, besteht ohne Gurt ein besonders hohes Risiko für schwere oder sogar tödliche Verletzungen.
Der Versuch, sich bei einem Unfall nur durch Abstützen mit den Händen zu schützen, ist in der Regel zum Scheitern verurteilt. Das gelingt selbst dem:der kräftigsten Lkw-Fahrer:in nur bis maximal 12 km / h. Wer mit einer höheren Geschwindigkeit fährt, muss bei einer Kollision zumindest mit blauen Flecken oder Knochenbrüchen rechnen und riskiert, gegen bzw. durch die Windschutzscheibe geschleudert zu werden.
Ein Airbag ersetzt das Anlegen des Sicherheitsgurts nicht, wie manche glauben, sondern ergänzt es vielmehr. „Airbag und Sicherheitsgurt bilden ein aufeinander abgestimmtes Sicherheitssystem. Der Verzicht auf eine der beiden Komponenten schwächt das System und kann eine zusätzliche Gefährdung darstellen“, erklärt Scholz. Wird der:die nicht angegurtete Fahrer:in bei einem Unfall nach vorn geschleudert, ergibt sich auch durch das Auslösen des Airbags ein Verletzungsrisiko.
Unbegründete Ängste
Manchmal bekommt Scholz auch Schauergeschichten über Lkw-Fahrer:innen zu hören, die angeblich verletzt oder getötet wurden, weil sich bei einem Sturz in ein Gewässer oder bei einem Fahrzeugbrand der Sicherheitsgurt nicht öffnen ließ. Fragt man nach, stellt sich heraus, dass der:die Erzähler:in die Geschichte von irgendjemandem gehört hat, aber das Unfallopfer nicht kennt. Personen, die Angst vor einem im Ernstfall klemmenden Gurt haben, empfiehlt Scholz, im Lkw ein Gurtenmesser in Reichweite aufzubewahren. Auch Einsatzkräfte, die zu einem Verkehrsunfall gerufen werden, führen ein Gurtenmesser mit.
Eine andere Befürchtung bezieht sich auf ein gewisses Selbstbild der – männlichen – Lkw-Fahrer. Das Image des „Kapitäns der Landstraße“ lebt von Begriffen wie Freiheit und Stärke, zu denen es nicht zu passen scheint, wenn man den Sicherheitsgurt anlegt. Diese Ansicht wird vor allem von älteren Semestern geteilt und ist mittlerweile zum Glück weniger verbreitet.
Bewusstsein schaffen
Selbst wenn der:die Arbeitgeber:in jeden Lkw mit einem bequemen Sitz und einem höhenverstellbaren Gurt sowie einem Gurtwarner ausgestattet und die Fahrer:innen unterwiesen hat – ob diese den Gurt tatsächlich immer anlegen, lässt sich nicht kontrollieren. Das Bewusstsein, dass man es in erster Linie für sich selbst tut, wenn man Arbeitsschutzmaßnahmen einhält, ist am „Arbeitsplatz Lkw“ noch viel wichtiger als an einem stationären Arbeitsplatz.
Diese Botschaft wollte die ASFINAG gemeinsam mit dem Kuratorium für Verkehrssicherheit und der Bundessparte für Transport und Verkehr der Wirtschaftskammer Österreich im Rahmen ihrer Kampagne „Die wertvollste Fracht bist Du!“ vermitteln. „Verkehrssicherheit braucht auch das richtige Verhalten im Straßenverkehr. Dazu gehört, dass man sich vor jeder Fahrt anschnallt. Aber manche vergessen leider, dass die wichtigste Fracht vorne in der Fahrer:innenkabine sitzt. Die wichtigste Fracht ist immer der Mensch“, betont ASFINAG-Vorstand Mag. Hartwig Hufnagl.
Die Kampagne begann mit einem Aktionstag am 20. Juni 2023 auf dem S1-Rastplatz Schwechat, weitere Aktionen folgten im September. Als Orte wurden stark frequentierte große Autobahn- und Schnellstraßenrastplätze in unterschiedlichen Regionen im ganzen Bundesgebiet ausgewählt. Die Kampagnenmitarbeiter:innen, sogenannte Promotoren:Promotorinnen, sprachen die Lkw-Fahrer:innen an und spielten jenen, die Interesse zeigten, zuerst einmal ein kurzes Video vor. Dieses zielt vor allem auf Emotionen ab: Familienfotos in der Lkw-Fahrer:innenkabine, eine Handy-Nachricht von der Mutter mit dem Appell „Fahr vorsichtig!“, zum Abschluss der eingeblendete Satz „Angurten rettet dein Leben!“
„Lkw-Fahrer:innen sind eine komplexe Zielgruppe. Über herkömmliche Medien, aber auch über soziale Medien erreicht man nicht alle, außerdem haben sie unterschiedliche Muttersprachen. Wir sind daher zum ersten Mal mit einer Kampagne direkt auf die Straße gegangen. Das Video zur Kampagne haben wir in mehrere Sprachen übersetzen lassen, die Promotoren:Promotorinnen haben es vor Ort auf einem Tablet mit einem QR-Code in der jeweils gewünschten Sprache einspielen können“, beschreibt DI Bernhard Lautner, Experte für Verkehrsmanagement bei der ASFINAG, die Vorgehensweise.
Überschlagssimulator
Jene Lkw-Fahrer:innen, die trotz des für ihren Beruf typischen Zeitdrucks fünf bis zehn Minuten erübrigen konnten, bekamen die Gelegenheit, die bei einem Überschlag des Fahrzeugs auf den Körper wirkenden Kräfte selbst zu spüren. „Wir haben uns von der deutschen Berufsgenossenschaft Verkehr einen Überschlagssimulator ausgeborgt, der aus einer Lkw-Fahrer:innenkabine besteht, die sich um die eigene Achse dreht“, so Lautner.
Im Simulator setzt man sich auf den Fahrer:innensitz und legt den Sicherheitsgurt an. Dann wird die Fahrer:innenkabine gedreht, wobei man vom Gurt im Sitz gehalten wird. Die Vorstellung, bei einer 180-Grad-Drehung nicht angegurtet kopfüber in die Fahrer:innenkabine zu stürzen, macht einem die Schutzwirkung des Sicherheitsgurts bewusst. Kippt ein Lkw bei einem Unfall zur Seite oder überschlägt sich, wird der:die Lenker:in in der Fahrer:innenkabine herumgeschleudert, was meist schwere Verletzungen nach sich zieht. Lautner fasst die Reaktionen der Teilnehmenden zusammen: „Alle, die mitgemacht haben, waren beeindruckt. Sogar unser Vorstand Mag. Hufnagl hat den Simulator ausprobiert.“
Kampagnenarbeit
Damit den Lkw-Fahrern:-Fahrerinnen die Botschaft der Kampagne möglichst lange in Erinnerung bleibt, verteilten die Promotoren:Promotorinnen Duftbäume für die Fahrer:innenkabine, auf deren Rückseite das Kampagnenmotto auf Deutsch und Englisch zu lesen ist: „Die wertvollste Fracht bist Du!“ Außerdem gab es für jede:n eine „Goodie-Bag“.
Die Kampagne als Aktion vor Ort wurde mit Ende September beendet, das Thema fließt nun in die kontinuierliche Informationstätigkeit der ASFINAG ein. Das Video sowie Hintergrundinformationen stehen unter asfinag.at/verkehr-sicherheit/lkw-bus/lkw-angurten/ weiterhin online zur Verfügung. Damit hofft die ASFINAG, einen Beitrag zur Verringerung der schweren und tödlichen Verletzungen bei Unfällen im Schwerverkehr zu leisten.
Die AUVA informiert im Rahmen ihres aktuellen Präventionsschwerpunkts „Komm gut an!“ ebenfalls zum Thema Anlegen des Sicherheitsgurts. Am 19. März 2024 findet im Congress Salzburg die AUVA-Fachtagung „Sichere Wege im Schwerverkehr“ statt, bei der den Teilnehmenden auch ein Überschlagssimulator zur Verfügung steht.
Zusammenfassung
Das Risiko, bei einem Unfall verletzt oder getötet zu werden, ist auch für Lkw-Fahrer:innen wesentlich höher, wenn sie nicht angegurtet sind. Nur drei von vier Lkw-Lenkern:-Lenkerinnen verwenden den Sicherheitsgurt. Die ASFINAG führte daher eine Kampagne zur Hebung der Gurtmoral durch.