Arbeitspsychologie
Ein Blick zurück: 10 Jahre Evaluierung psychischer Belastung
Nach 10 Jahren „Evaluierung psychischer Belastung“ fand am 26. September 2023 die mit 250 Anmeldungen ausgebuchte Festveranstaltung der AUVA, der Arbeiterkammern Wien und Salzburg und des Zentral-Arbeitsinspektorates statt. In einem Rückblick wurden Erinnerungen und gesammelte Erfahrungen ausgetauscht und es gab einen Ausblick aus verschiedenen Perspektiven.
Zu Beginn der Veranstaltung warfen (ehemalige) Mitarbeiter:innen verschiedener Institutionen im Bereich des ArbeitnehmerInnenschutzes in Österreich und der Prävention am Arbeitsplatz einen Blick in die Vergangenheit, als die Klarstellung über die „psychische Belastung“ und psychische Gesundheit 2013 veröffentlicht wurde und in den österreichischen Betrieben erste Beratungen dazu durchgeführt wurden.
Welches Bild haben Sie in Erinnerung, wenn Sie an den Start 2013 denken?
An „Kraut und Rüben“ erinnerte sich jedenfalls Herbert Friesenbichler, ehemaliger Arbeits- und Organisationspsychologe der AUVA-Prävention. Dieses Bild verwendete er in seinen Vorträgen und Beratungen, um darauf aufmerksam zu machen, dass damals weder klar war, welche Unterschiede zwischen den Arbeitsfeldern der „Psy-Berufe“ (Psychologen:Psychologinnen, Psychotherapeuten:-therapeutinnen, Psychiater:innen) bestehen, noch, worum es in dieser Evaluierung geht und worum nicht. „Meine Leute sind nicht narrisch“, zitierte auch Elisabeth Szymanski, Leiterin der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat im Ruhestand, damalige erste Reaktionen. Diese umfassten ebenso die Befürchtung, es gehe um persönliche Befindlichkeiten oder Erkrankungen der Mitarbeiter:innen.
Schritt für Schritt konnte mit den betrieblichen Akteuren erarbeitet werden, dass die Evaluierung nicht das Verhalten von Beschäftigten thematisiert, sondern Verhältnisse analysiert und verbessert werden.
Aktuelle Erkenntnisse
Von „Homeoffice als Herausforderung für die Zusammenarbeit im Team“ berichtete Bettina Kubicek, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Karl-Franzens-Universität Graz. Basierend auf einer Umfrage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Deutschland (BMAS, 2020) wollen die meisten Befragten (65 % jener, die Homeoffice erst in der Pandemie zu nutzen begonnen haben) „einige Male die Woche“ Homeoffice nützen (das heißt, weder „gar nicht“ noch „jeden Tag“). Darauf aufbauend, ging die Vortragende auf Chancen und Herausforderungen im Homeoffice ein.
Mittels Daten der Statistik Austria zeigte sie die meistgenannten Gründe für den Wunsch, weniger beziehungsweise gar nicht mehr im Homeoffice zu arbeiten:
- persönlicher Kontakt zu den Kollegen:Kolleginnen ist mir wichtig
- möchte Arbeit und Privatleben trennen
- mache im Homeoffice mehr Überstunden
Unter jenen, die Homeoffice erst mit der Corona-Pandemie begonnen haben, wurden die ersten zwei Gründe häufiger genannt als von jenen, die Homeoffice schon in der Zeit davor genutzt hatten.
In der von Hodzic, Prem, Nielson & Kubicek durchgeführten Studie konnte 2023 gezeigt werden, dass das Gelingen des Wissensaustausches nicht lediglich von dem Ausmaß der Arbeit im Homeoffice abhängig ist, sondern auch vom Umfang der Unterstützung durch Vorgesetzte: Eine sehr geringe Unterstützung durch Vorgesetzte geht sowohl bei geringem als auch hohem Homeoffice-Ausmaß mit geringerem Wissensaustausch einher. Hingegen ist bei einem hohen Homeoffice-Ausmaß, begleitet von einer (sehr) hohen Unterstützung durch Vorgesetzte, auch ein hoher Wissensaustausch zu verzeichnen. Das bedeutet, dass alleine durch Arbeit im Homeoffice der Wissensaustausch unter Kollegen:Kolleginnen nicht leiden muss.
„Emotionsregulation und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz“ thematisierte Cornelia Strecker, zertifizierte Arbeits- und Organisationspsychologin und Gründerin eines Spin-offs der Universität Innsbruck. Anhand von Studienergebnissen von Lampert & Glaser (2016) zeigte sie, dass sowohl Abgrenzungsfähigkeit als auch empathische Anteilnahme („detached concern“) für Arbeitsfähigkeit, Erhalt der Gesundheit und Zielerreichung der beruflichen Anforderungen im Umgang mit Klienten:Klientinnen eine zentrale Rolle spielen. Dieser sogenannte Typ 1 ist von signifikant geringerem Erschöpfungsrisiko betroffen als „grenzenlose Dienstleister:innen“ oder „moderat Unbeteiligte“. Anhand weiterer Studienergebnisse zahlreicher Forscher:innen stellte Strecker klar, dass Arbeitsbedingungen für die Emotionsregulation entscheidend sind: Zeitdruck beeinflusst die Abgrenzungsfähigkeit negativ, vorhandener Tätigkeitsspielraum unterstützt eine erfolgreiche empathische Anteilnahme. Kontraproduktiv hingegen erweisen sich kontrollierendes Arbeitsklima oder unnötig strikte, zeitlich lange dauernde oder illegitime Emotionsausdrucksregeln.
Die dritte Vortragende Elisabeth Ponocny-Seliger (Arbeitspsychologin, Lektorin der Universität Wien) referierte über Zielgruppen mit erhöhter Vulnerabilität in Verbindung mit der „Evaluierung psychischer Belastung“. In ihren Empfehlungen wies sie auf die „qualitative Post-Analyse“ hin, durch die eine Konkretisierung der relevanten Themen erreicht wird. Ebenso formulierte sie die Notwendigkeit, in die Evaluierung auch die „Belastung durch Digitalisierung“ zu inkludieren.
Die Evaluation der Evaluierung psychischer Belastung
Martin Unterkircher, Arbeitspsychologe der AUVA-Außenstelle Innsbruck, und Anna Geroldinger, Leiterin des arbeitsinspektionsärztlichen Dienstes für Wien, Niederösterreich und Burgenland, berichteten über die aktuelle Situation in den Betrieben. Martin Unterkircher betonte, dass in den letzten 10 Jahren eine gute Sensibilität erreicht worden sei, die Evaluierung psychischer Belastung als Maßnahme zu Organisationsentwicklung zu sehen und dass die Vorteile in den Vordergrund gerückt sind.
Thomas Strobach, Arbeitspsychologe der AUVA-Hauptstelle, schilderte, dass in der Vorbereitungsphase für die neue EU-OSHA-Kampagne 2023–2025 „Sicher und gesund arbeiten in Zeiten der Digitalisierung“ eine Umfrage zur Digitalisierung unter Experten:Expertinnen durchgeführt wurde: Erst 50 % der Befragten nehmen die Thematik „Digitalisierung“ in die Evaluierung auf. Die Frage „Wie zukunftsfit ist die ‚Evaluierung psychischer Belastung‘ aktuell?“ beantworteten 47 % der befragten Veranstaltungsteilnehmenden mit einem „Befriedigend“. Weitere 30 % vergaben die Note „Gut“, gefolgt von rund 18 %, die die Zukunftsfitness mit einem „Genügend“ bewerteten.
Der angezeigte Handlungsbedarf umfasst sowohl methodische Herausforderungen als auch thematische Notwendigkeiten wie neue Entwicklungen und Arbeitsformen, die laut Meinung der Befragten in die Evaluierung psychischer Belastung Eingang finden sollten (siehe Grafik 2).
Der Moderator Daniel Gajdusek-Schuster brachte die Frage nach der „Evaluation der Evaluierung“ in die Diskussion ein. Wie bei jeder anderen Evaluierung sind auch hier umgesetzte Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu kontrollieren. Diese Kontrolle umfasst nicht nur die Frage nach dem Umsetzungsgrad der formulierten Maßnahmen, sondern auch die Frage danach, wie gut die jeweilige Maßnahme im Arbeitsalltag an der „Quelle des Stressors“ wirkt. Die Wirksamkeitskontrolle ist nicht nur durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz vorgesehen, sondern ist auch im Sinne einer Rückmeldung über die angestrebte Verbesserung der Arbeitsbedingungen sinnvoll.
Zusammenfassung
Die Veranstaltung „10 Jahre Evaluierung psychischer Belastung“ im September 2023 informierte in einem Blick zurück über die Anfänge seit Inkrafttreten 2013 und zeigte aktuelle Forschungen im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie. Die Teilnehmer:innen teilten via Live-Umfragen mit, was aus ihrer Sicht in Zukunft für eine psychisch „sichere und gesunde Arbeitswelt“ nötig ist.