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Safety-II

Einsteigen in Behälter mit Safety-II: Learning from Success

Das vorliegende Pilotprojekt der AUVA-Prävention wird in Kooperation mit der Josef Manner & Comp. AG und TreeBee Baumschnitt und Höhenarbeit GmbH durchgeführt und von Prof. Dr. Thomas Mühlbradt (FOM Hochschule Aachen) fachlich begleitet. Im Zentrum stehen Analyse und Modellierung des Prozesses „Einsteigen in Behälter“.

Ein Arbeiter erklimmt eine hohe Leiter, die außerhalb eines großen Behälters befestigt ist
© Adobe Stock / dusanpetkovic1

Behälter können ganz unterschiedlich sein (siehe Infokasten) und werden daher vielleicht auf den ersten Blick nicht als solche erkannt. Umso wichtiger ist, dass Schutzmaßnahmen dafür, wie Arbeitnehmer:innen in Behälter einsteigen und daraus geborgen bzw. gerettet werden können, schon vorher klar festgelegt werden.

Maßnahmen, um Unfällen in Behältern vorzubeugen, sind grundsätzlich im Arbeitnehmer:innenschutz verankert. Die Bestimmungen der Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) und der Allgemeinen ArbeitnehmerInnenschutzverordnung (AAV) verpflichten Arbeitgeber:innen zu technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen sowie zur Bereitstellung und Organisation von Erste-Hilfe- und Bergemaßnahmen.

Wenn bei der Evaluierung des Arbeitsplatzes erkenntlich wird, dass ein Behälter vorliegt, sieht die AAV die Bestellung einer fachkundigen Person vor. Diese ordnet schriftlich (Befahrerlaubnisschein) alle Schutzmaßnahmen für die Befahrung des Behälters an. Das Einhalten dieser Anordnung muss dann vor Ort durch eine ständig anwesende Aufsichtsperson sichergestellt werden, die auch Kenntnis über Rettungsmaßnahmen besitzt.

Grundlagen

Über welche Fachkenntnisse diese Personen genau verfügen müssen, wird in der AAV nicht geregelt. Da es sich um eine Ansammlung verschiedenartiger Fachgebiete handelt, ist die Wissensspanne sehr groß und lässt sich zumeist aus anderen Regelwerken ableiten. Hierbei sollten auf jeden Fall die Grundlagen für den Behältereinstieg nach ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), AAV, Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), Verordnung persönliche Schutzausrüstung (PSA-V), Grenzwerteverordnung (GKV), Verordnung explosionsfähige Atmosphären (VEXAT), AM-VO und Elektroschutzverordnung (ESV) abgedeckt werden. Diese umfassen z. B. gefährliche Arbeitsstoffe, Betriebsmittelauswahl, diverse Abmessungen und Sicherheitsabstände sowie weitere wichtige Komponenten, um eine Befahrung sicher zu gestalten. 

Umsetzung im Betrieb

Alle diese sehr allgemein gehaltenen gesetzlichen Vorgaben müssen vom Betrieb in interne Arbeitsprozesse überführt und den Mitarbeitenden als Handlungsanweisungen bereitgestellt werden. Auch wenn bei der Erstellung nicht jede mögliche Arbeitssituation berücksichtigt werden kann, sondern sich diese Anweisungen auf angenommene Standardsituationen beziehen, schaffen Mitarbeitende es trotzdem, die Anforderungen selbst unter wechselnden Arbeitsbedingungen mit akzeptablen Ergebnissen zu erfüllen.

Analyse des Arbeitsprozesses

Ziel der Analyse ist es, mögliche Unterschiede zwischen der geplanten Arbeit („work as imagined“) und der tatsächlich durchgeführten Tätigkeit („work as done“) sowie vorhandene Stärken und (als Verbindung zu Safety-I) mögliche Risiken zu identifizieren. Um ein Modell von der Tätigkeit „Einsteigen in Behälter“ zu erstellen, erfolgen erste Vorbesprechungen mit involvierten Personen aus beiden Unternehmen, die Dokumentenanalyse sowie die Vor-Ort-Begehung und Beobachtung des Prozesses der Vorbereitung. 

Anschließend grenzt das Projektteam das zu analysierende Arbeitssystem ab:  Was ist Gegenstand der Analyse und wo ergeben sich Systemgrenzen? In einer Interviewmatrix wird jeder Arbeitsschritt als Funktion formuliert (z.B. „Blockiere Silosteuerung“) und zugleich festgehalten, wer diese ausführt – und damit auch, wer zu welchen Teiltätigkeiten interviewt wird.

eine Person seilt sich in einen Behälter ab, darüber hängt eine Lampe um den Behälter zu erhellen; eine lamp bestrahlt den Eingang eines Behälters
Behälterreinigung im Team links, Abschluss Behälterreinigung rechts © Barbara Huber

Nach Einladung der Funktionsinhaber:innen haben die Interviewer:innen zu Beginn der Gespräche die Aufgabe, eine offene Atmosphäre zu schaffen und der interviewten Person zu schildern, dass es um ihre tatsächliche (alltägliche) Arbeit geht, wie sie verrichtet wird – nicht um die Vorstellung, wie diese optimalerweise oder gemäß Vorschrift ablaufen sollte.

Anschließend beginnt jedes Teilinterview mit der allgemeinen Schilderung des jeweiligen Arbeitsschritts durch die:den Interviewte:n. Der:Die Co-Interviewer:in vervollständigt als Mitschrift auf einem vorbereiteten Hexagon (Funktionsblatt) für jeden Arbeitsschritt die 6 Aspekte der FRAM – Functional Resonance Analysis Method. „Was startet die Funktion?“ (Eingabe) und „Was ist das Ergebnis dieser Funktion?“ (Ausgabe) sind die ersten Fragen, die gestellt werden, um Anfang und Ende jeder Teiltätigkeit festzuhalten. Die weiteren Aspekte werden unter anderem durch folgende Fragen ermittelt:

  • Mittel bzw. Ressourcen: Was wird gebraucht oder verbraucht, um diese Teiltätigkeit auszuführen?
  • Voraussetzungen: Was sollte gegeben sein, bevor diese Funktion startet?
  • Kontrolle: Was steuert oder beeinflusst diese Funktion?
  • Zeit: Gibt es wichtige zeitliche Rahmenbedingungen?

Validierung durch betriebliche Akteure

Nachdem die Interviews transkribiert und die Ergebnisse mittels FRAM-Visualizer in ein grafisches Modell umgewandelt wurden, wird das Modell mit den betrieblichen Akteuren:Akteurinnen validiert – das heißt, es wird in Gesprächen festgestellt, ob das entstandene Modell die tatsächliche Arbeit (mit ihren Abweichungen und nötigen Anpassungen an vorherrschende Bedingungen) abbildet.

Variabilität in den Tätigkeiten

Das entstehende Modell kann die Fähigkeit der Mitarbeitenden, sich an wechselnde Arbeitsbedingungen anzupassen, abbilden. Dabei stehen die Mitarbeitenden vor der Herausforderung, einen Kompromiss zwischen Effizienz und Gründlichkeit (das sogenannte ETTO-Prinzip = Efficiency-Thorough­ness Trade-off von E. Hollnagel) zu finden. Aus dem ETTO-Prinzip folgt, dass niemals sowohl Effizienz (Output und Durchlaufzahlen) als auch Gründlichkeit (Sicherheit und Qualität) gleichzeitig maximiert werden können. Dadurch kommt es zu kleinen oder größeren Abweichungen in einzelnen Teiltätigkeiten des definierten Arbeitsprozesses. Diese Variabilität kann sich zeitlich auswirken: Teiltätigkeiten können zu früh, zur richtigen Zeit, zu spät oder auch gar nicht durchgeführt werden. Die Variabilität kann sich auch auf die Präzision des Ergebnisses der Teiltätigkeit auswirken: Das Ergebnis kann präzise, akzeptabel oder ungenau sein. Akzeptable Ergebnisse können zwar in weiteren Arbeitsschritten verwendet werden, bedürfen dabei allerdings wiederum einer Anpassung und führen somit sehr wahrscheinlich zu Variabilität. Im Gegensatz dazu kann ein ungenaues Ergebnis nicht so verwendet werden, wie es vorliegt.

Das Ergebnis des Befahrerlaubnisscheines ist Sicherheit.

Zitat eines Interviewten

Wie im Kasten rechts ersichtlich, muss die Variabilität in einzelnen Teiltätigkeiten nicht immer zu negativen Ergebnissen oder gar kritischen Ereignissen führen. Da die Teiltätigkeiten miteinander gekoppelt sind, soll jedoch verhindert werden, dass sich die Variabilität über Teiltätigkeiten hinweg aufschaukelt.

Erste Erkenntnisse 

Als Methode des Safety-II-Ansatzes steht mit der FRAM wie im Rahmen einer „klassischen“ Evaluierung die Analyse von Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen im Zentrum – jedoch mit einer erweiterten Fragestellung und Intention: Welche Aspekte tragen zum Gelingen des Arbeitsprozesses bei? Im weiteren Sinne wird durch die detaillierte Beschreibung der Arbeitsausführenden auch erkennbar, wo zu Sicherheit und Gesundheit beigetragen wird. „Das Ergebnis des Befahrerlaubnisscheines ist Sicherheit,“ so ein Interviewter. Damit ist nicht gemeint, dass Verschriftlichtes oder das Ausfüllen von Formularen per se Sicherheit garantieren.

Im konkreten Fall hat damit eine involvierte Person aus der eigenen Perspektive und Erfahrung die Basis für sicheres Arbeiten formuliert: Vorgaben, die (durch die Bearbeitung des Befahrerlaubnisscheines) vor Ort und vor Beginn der Tätigkeit zu überprüfen sind, werden als Hilfsmittel für die persönlich höchst relevante Arbeitssicherheit verstanden.

Hier wird die Notwendigkeit eines gemeinsamen Verständnisses des Prozesses als Basis für eine erfolgreiche und sichere Tätigkeit deutlich.

Flussdiagramm, das die einzelnen Schritte von Funktion und Aspekten grafisch abbildet
Abbildung FRAM: eine Funktion und ihre Aspekte – zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. Thomas Mühlbradt, FOM Aachen

Resümee

Die Erfahrungen und Beobachtungen bei Manner, die wir im Rahmen unseres „Safety-II-Projekts“ machen konnten, waren lehrreich: einerseits, weil der Zugang von Safety-II und FRAM komplettes Neuland für Manner darstellten, andererseits, weil in diesem speziellen Projekt die Kooperation mit einem externen Dienstleister (Firma TreeBee) eine zusätzliche Facette mit ins Spiel brachte. 

Aus diesem Grund war es wichtig, den involvierten Partnern der beiden Firmen (bei Manner war dies die Sicherheitsfachkraft Gerald Thalhammer, bei TreeBee der Geschäftsführer Iring Süss) zunächst den Ansatz von Safety-II und in Folge das Konzept von FRAM näherzubringen. Die Vertreter beider Firmen zeigten sich gegenüber neuen Zugängen sehr aufgeschlossen. Natürlich mussten im Vorfeld der Beobachtungen der Arbeiten und der Interviews die beteiligten Fachkräfte der beiden Firmen informiert werden, worum es eigentlich ging. Speziell bei den Interviews, die sehr in die Tiefe gingen, war dies von besonderer Bedeutung, da auf keinen Fall der Eindruck erweckt werden sollte, es gehe um das Aufdecken von Fehlern oder falschen Arbeitsweisen.

Bei den Interviews zeigte sich: Auch wenn eine (standardisierte) Arbeit schon sehr oft durchgeführt wurde, können mit gezielten und guten Fragen unbekannte oder noch nicht so genau durchdachte Möglichkeiten oder Abweichungen thematisiert, präzisiert und besprochen werden. Dafür sind die sechs standardisierten Aspekte des „FRAM-Hexagons“ bestens geeignet. Welche Voraussetzungen (Werkzeug, Energie, Zustand der Anlage, organisatorische Voraussetzungen …) müssen erfüllt sein, damit Sie Ihre Arbeit beginnen und gut durchführen können? Was ist das gewünschte Ergebnis und sind unter Umständen Abweichungen möglich und erlaubt? Diese und ähnliche Fragen wurden besprochen.

Aus der Beobachtung der Arbeit – des Befahrens eines Behälters – und den Interviews ergaben sich zwei grundsätzliche Erkenntnisse:

  1. Es kann sein, dass Personen, die Fremden über ihre Arbeit berichten, eher dazu neigen, einen intendierten Prozess („work as imagined“) und nicht den tatsächlichen Prozess („work as done“) zu beschreiben. Dies ist, so weit wie möglich, in den weiteren Überlegungen zu berücksichtigen.
  2. Im Zuge der Interviews wurden Optionen zur Durchführung der Arbeit entwickelt und Szenarien durchgedacht, die zwar noch nie aufgetreten sind, aber durchaus denkbar sind. 

Zusammenfassend kann man sagen: Der Zugang von Safety-II und die FRAM-Methode haben sich als vielversprechende Ansätze herausgestellt, die den Arbeitnehmer:innenschutz bereichern können.

An dieser Stelle möchte sich das AUVA-Projektteam bei den beteiligten Firmen Josef Manner & Comp. AG und TreeBee Baumschnitt und Höhenarbeit GmbH für die erfolgreiche Kooperation sowie bei Prof. Dr. Thomas Mühlbradt (FOM Hochschule) für die professionelle und freundliche Unterstützung herzlich bedanken.

Zusammenfassung

Der Artikel beschreibt das Projekt „Einsteigen in Behälter mit Safety-II“ der AUVA-Hauptstelle (Abteilung für Unfallverhütung und Berufskrankheitenbekämpfung) in Kooperation mit Prof. Dr. Mühlbradt (FOM Hochschule für Oekonomie & Management gGmbH Aachen). Es wird dargestellt, wie ein Prozess mittels FRAM (Functional Resonance Analysis Method) modelliert wird.


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