Sturz & Fall
Unterschätzte Gefahr: Absturz vom Fahrzeug
Ein Sturz vom Lkw-Aufbau hat oft schwere Verletzungen zur Folge. Durch eine geeignete Ausstattung des Fahrzeugs und die Unterweisung des Fahrpersonals lassen sich Unfälle vermeiden.
Stürze von stehenden Fahrzeugen zählen zu den Arbeitsunfällen mit schweren und tödlichen Folgen. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat die Daten der bei ihr Versicherten aus dem Jahr 2021 analysiert und ist zu folgendem Ergebnis gekommen: Bei den schwersten Unfällen im Bereich Be- und Entladen liegen Abstürze an erster Stelle. Rund die Hälfte der verunfallten Personen, die 2021 Unfallrenten zugesprochen bekamen, war bei Abstürzen verletzt worden. Zwei tödliche Unfälle im Jahr 2021 sind auf Abstürze zurückzuführen.
Bei diesen Unfällen handelt es sich meist um Abstürze aus größerer Höhe, etwa bei Arbeiten auf dem Fahrzeugaufbau. Aber auch Stürze aus geringer Höhe können schwere Verletzungen nach sich ziehen und langanhaltende Beschwerden sowie mehrere Wochen dauernde Krankenstände verursachen. Peter Schwaighofer, BSc, Experte für Verkehrssicherheit in der Präventionsabteilung der AUVA-Hauptstelle, nennt als Beispiel Stürze beim Einsteigen ins bzw. Aussteigen aus dem Führerhaus.
Um mehr Bewusstsein für die Risiken durch Arbeiten am stehenden Lkw zu schaffen, veranstaltete die deutsche Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft – Telekommunikation – Post-Logistik (BG Verkehr) mit der Sektion für Prävention im Transportwesen der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) im November 2022 in Hamburg eine Branchenkonferenz mit dem Titel „Unterschätzte Gefahr: Absturz von Fahrzeugen“.
„Bei einem Absturzunfall sind häufig schwere Verletzungen die Folge, unter anderem aufgrund der Fallhöhe von bis zu 4 m Höhe. Die Unfallschwere spiegelt sich vor allem in den Unfallrenten wider“, erklärt Hans Heßner, MSc, B.Eng, Fachreferent Straßenverkehr und Fahrzeuge der BG Verkehr, einer der Referenten bei der Konferenz.
Maßnahmen nach dem STOP-Prinzip
Zur Vermeidung von Sturz und Fall von stehenden Fahrzeugen ist nach dem STOP-Prinzip vorzugehen. „Muss überhaupt hochgestiegen werden? Je nach Anwendungsfall gibt es Möglichkeiten, die einen Aufstieg auf das Fahrzeug erst gar nicht nötig machen, z. B. ein elektrisch zu betätigendes Verdeck“, führt Heßner eine mögliche Substitutionsmaßnahme an. Bei der Anschaffung eines neuen Fahrzeugs sollte auf eine Ausstattung geachtet werden, die dazu beiträgt, die Anzahl der nötigen Aufstiege und Arbeiten in größerer Höhe zu vermeiden oder zumindest zu verringern.
Mit technischen Maßnahmen ist dafür zu sorgen, dass Arbeitsplätze auf dem Fahrzeug einen sicheren Aufenthalt gewährleisten, sicher zu erreichen und zu verlassen sind. Dafür gelten verschiedene Anforderungen:
- Aufstiege müssen unter anderem über ausreichend breite und tiefe Trittflächen mit rutschhemmender Oberfläche und griffgünstig angebrachten Haltemöglichkeiten verfügen.
- sollten vermieden oder geringgehalten werden.
- Es dürfen keine Stolperstellen durch Höhenversatz oder Befestigungselemente vorhanden sein.
- An Arbeitsplätzen, die 2 m oder höher über dem Boden liegen, ist ein mindestens 1 m hohes Geländer mit Knie- und Fußleisten anzubringen.
- Klappbare Geländer sollte man vom Boden aus aufstellen können.
Selbst bei gut ausgestatteten Fahrzeugen kann es zu Abstürzen kommen, wenn etwa Zeitdruck dazu führt, dass der:die Fahrer:in Sicherheitsvorkehrungen außer Acht lässt und beispielsweise das Geländer eines Tankfahrzeugs nicht aufstellt. Organisatorische Maßnahmen können hier Abhilfe schaffen, etwa die Absprache zwischen Unternehmen, besonders rund um den Be- und Entladeprozess. Mit gutem Zeitmanagement lassen sich auch bei unvorhergesehenen Verzögerungen, etwa durch einen Stau, Termine einhalten.
Bei der Neu-Anschaffung eines Fahrzeugs sollte auf eine Ausstattung geachtet werden, die dazu beiträgt, die Anzahl der nötigen Aufstiege und Arbeiten in größerer Höhe zu vermeiden oder zumindest zu verringern.
Fahrer:innen müssen wissen, über welche Ausstattung zur Verhinderung von Sturz und Fall das Fahrzeug verfügt und wie man damit umgeht. Laut Schwaighofer sollte dabei besonderes Augenmerk auf neue Fahrzeuge gelegt werden sowie auf Personen, die nicht regelmäßig mit dem jeweiligen Fahrzeug unterwegs sind.
Wenn Gefährdungen für Fahrer:innen nicht durch technische und organisatorische Maßnahmen ausgeschlossen werden können, sind Unternehmen verpflichtet, kostenfrei eine geeignete persönliche Schutzausrüstung (PSA) zur Verfügung zu stellen.
Auf- und Abplanen
Zu den besonders unfallträchtigen Arbeiten am stehenden Fahrzeug zählt das Auf- und Abplanen. Ein sicheres Arbeiten wird durch geeignete Standflächen, Aufstiege und Haltemöglichkeiten ermöglicht. Eine Arbeitsbühne sollte ausreichend dimensioniert, mit einem Geländer mit Knie- und Fußleiste und einer Sicherung gegen Absturz im Zugangsbereich ausgestattet sein; eine Kette zum Einhängen reicht nicht aus. Zusätzlich können bei Schüttguttransportern Abdeckvorrichtungen mit elektrisch zu betätigenden Schiebeverdecken oder mit Rollplanen, die vom Boden aus bedient werden, installiert werden. Zur Sicht in den Aufbau halten Kamerasysteme vermehrt Einzug.
Selbst bei einer vorschriftsmäßigen Ausstattung können Unfälle nicht ausgeschlossen werden. Das zeigt der folgende von Heßner geschilderte Fall: Der Fahrer eines Lkw mit Kippsattelauflieger kurbelte nach dem Beladevorgang die Abdeckplane des Aufliegers zu. Beim Vorbeiführen der Kurbel am Körper drückte er sich wegen der beengten Platzverhältnisse und des hohen nötigen Kraftaufwands mit dem Rücken gegen das Geländer. Dabei brach der Handlauf hinter ihm und der Fahrer stürzte rund 1,30 m in den Bereich zwischen Fahrerhaus und Kippsattelauflieger. Er zog sich Verletzungen an Kopf und Rücken zu.
Be- und Entladen
Die Tätigkeit von Lkw-Fahrern:-Fahrerinnen umfasst häufig auch das Be- und Entladen des Fahrzeugs. Dabei gibt es eine Vielzahl an Gefährdungen, die bereits in der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen sind, z. B. Absturz bei Ladungssicherungsaufgaben oder Arbeiten auf Hubladebühnen. Heßner bringt dazu ein Beispiel: „Um einen festgefrorenen Zurrgurt auf einem Sattelauflieger zu lösen, stieg der Versicherte auf die Ladung. Bei dem Versuch, den Gurt zu lösen, geriet er ins Rutschen und stürzte in der Folge aus etwa 2 m Höhe auf den Boden.“
Beim Be- und Entladen in der Nacht sollte bauseitig generell eine ausreichende Beleuchtung, z. B. durch einen Fluter, vorhanden sein.
Als weiteren Risikofaktor für Stürze beim Entladen nennt Schwaighofer schlecht gesichertes Ladegut. Dieses kann sich beim Lösen des Sicherungsgurts in Richtung des:der Beschäftigten bewegen und ihn:sie zu Fall bringen. Schlechte Sicht erhöht ebenfalls die Gefahr eines Absturzes von der Ladefläche oder der Rampe. „Beim Be- und Entladen in der Nacht sollte bauseitig generell eine ausreichende Beleuchtung, z. B. durch einen Fluter, vorhanden sein. Zusätzlich können Arbeitsscheinwerfer am Fahrzeug bzw. am Aufbau installiert werden, deren Lichtkegel auf den Tätigkeitsbereich gerichtet sind“, so Schwaighofer.
Über einen weiteren Unfall wurde auf der Branchenkonferenz wie folgt berichtet: Der Verunfallte wollte eine fahrbare Reinigungsmaschine von der Ladefläche seines Lkw entladen. Dazu fuhr er rückwärts auf die Hubladebühne des Lkw. Die Maschine kippte abrupt nach hinten ab und stürzte von der Hubladebühne. Der Versicherte wurde dabei vom Fahrzeug geschleudert und zog sich beim Aufprall schwere Verletzungen am Hinterkopf zu. Er ist nun in einer Intensivpflege-Wohngemeinschaft untergebracht und benötigt 24-Stunden-Pflege. Die Folgekosten des Unfalls belaufen sich bisher auf über 1,1 Mio. Euro.
Diesen Unfall hätte man verhindern können, wenn bestimmte Maßnahmen eingehalten worden wären. Laut Angabe der Herstellerfirma der Reinigungsmaschine ist das Befahren von Steigungen über zehn Prozent nicht gestattet, da der Kipppunkt an der Hinterachse der Reinigungsmaschine bei gefülltem Frischwassertank überschritten werden kann. Der Wassertank hätte vor dem Transport geleert werden müssen. Es ist die Aufgabe jener Person, welche die Reinigungsmaschine zum Transport bereitstellt, darauf hinzuweisen. Der Versicherte hätte die Laderampe der Halle nutzen und die Reinigungsmaschine vorwärtsfahrend ausladen müssen.
Die Ursache für die Wahl eines ungeeigneten Arbeitsverfahrens lag sowohl in einer mangelhaften Koordination als auch in der fehlenden Unterweisung. Anders als üblich wurde dem Lkw-Fahrer der Fahrauftrag durch ein drittes Unternehmen, das ebenfalls für den Kunden auf dem Betriebsgelände tätig war, erteilt, ohne ihn ausreichend in die Bedienung der Reinigungsmaschine einzuweisen. „Sollen Beschäftigte beim Kunden dessen Arbeitsmittel, z. B. einen Gabelstapler, verwenden, so müssen sie hierfür geeignet, qualifiziert, eingewiesen, unterwiesen und beauftragt sein. Dies ist vorab zwischen den Unternehmen abzustimmen“, weist Heßner auf die Wichtigkeit der Kommunikation hin.
Schnee- und Eisfreiräumung
Eine aufgrund der Sturzhöhe besonders gefährliche Aufgabe ist das Befreien des Fahrzeugs von Eis und Schnee. Auf einem Sattelauflieger oder Anhänger mit Planendach können sich mehrere hundert Liter Wasser ansammeln, das bei entsprechender Kälte gefriert. Kommt der:die Fahrer:in der Pflicht zur Freiräumung nicht nach, besteht die Möglichkeit, dass sich während der Fahrt Eisbrocken oder Schneewechten lösen und auf ein nachfolgendes Fahrzeug stürzen.
Für ein sicheres Räumen des Daches stellen manche Unternehmen fixe oder mobile Gerüste zur Verfügung, die mit einem sicheren Aufstieg, einem rutschhemmenden Bodenbelag und einem Geländer ausgestattet sind. Abkehrgerüste der ASFINAG finden sich in Österreich auf den Hauptverkehrsrouten vor längeren Tunneln. Der Wechsel von Tauwetter tagsüber und Frost über Nacht ist prädestiniert dafür, auf den Planen oder Dächern von Schwerfahrzeugen Eisplatten entstehen zu lassen. Tauen diese nach einer längeren Fahrt wieder auf, insbesondere nach einem „warmen“ Tunnel, können sie zu gefährlichen Geschossen werden.
Wird eine Spezialleiter zur Dachräumung verwendet, muss diese auf einem stabilen, ebenen, rutschfesten Untergrund in einem Winkel von 65 bis 75 Grad aufgestellt und gegen Wegrutschen und Umkippen gesichert werden, z. B. mit einem Leitergurt. Beim Besteigen der Leiter ist darauf zu achten, dass man sich immer mit einer Hand festhält, nicht auf die obersten drei Sprossen steigt und sich nicht zur Seite hinausneigt.
„Bei Kofferaufbauten kann man zur Schnee- und Eisfreiräumung Gerüste oder Spezialleitern verwenden, für Planenfahrzeuge eignen sich auch Airbag-Systeme“, erklärt Heßner. Dazu zählt das „AIRpipe 3-Schlauch-System“ der oberösterreichischen AIRpipe GmbH. Bei diesem System montiert man zwischen Dachplane und Dachquerspriegel drei Luftschläuche, die mit der Luft aus dem Nebenverbraucherkreis des Fahrzeugs gefüllt werden, wodurch die Dachplane angehoben wird. Das verhindert ein Ansammeln von Wasser und damit die Eisbildung.
Stürze aus geringerer Höhe
Stürze beim Einsteigen ins bzw. Aussteigen aus dem Führerhaus verursachen mitunter komplizierte Verletzungen, die besonders Beine und Füße betreffen. Gute Haltemöglichkeiten für beide Hände sind wichtig. Für Sicherheit sorgen auch den Fuß umschließende Schuhe mit rutschfesten, griffigen Sohlen. Ist ein Aufstieg stark verschmutzt oder vereist, sollten die Trittflächen gesäubert werden. Vorsicht ist laut Schwaighofer auch bei Außenarbeiten im Frontbereich geboten: „Die Tritthilfen zur Spiegeleinstellung des Frontspiegels sind oft sehr klein und man hat nur eine Hand am Griff. Dadurch besteht das Risiko abzurutschen.“ Dieses wird noch höher, wenn man den Haltegriff aufgrund geringerer Körpergröße schwer erreicht. Die gleichen Probleme bestehen bei der Reinigung der Frontscheibe von hartnäckigem Schmutz wie Insekten oder Eis. Herstellerfirmen bieten vermehrt teleskopierbare Stangen mit Reinigungsaufsätzen an, mit denen man vom Boden aus arbeiten kann. Anstelle von Frontspiegeln lassen sich Kamera-Monitor-Systeme, die von Fahrerhaus aus bedient werden, nutzen.
Manchmal ist es kein Sturz, sondern ein Sprung, der zu einem Unfall führt. Oft wird unterschätzt, welche Kräfte bei Sprüngen von Aufstiegen, Ladeflächen oder Hubladebühnen wirken. So belastet ein Sprung aus „nur“ 60 cm Höhe die betroffenen Muskeln, Bänder und Knochen bis zum Vierfachen des eigenen Körpergewichts. Neben akuten Verletzungen sind bei wiederholten Sprüngen längerfristig oft auch chronische Schäden des Muskel-Skelett-Apparats die Folge.
Zusammenfassung
Im Bereich Verkehr zählen Stürze von stehenden Fahrzeugen zu den Arbeitsunfällen mit schweren und tödlichen Folgen. Besonders risikoreich sind Be- und Entladetätigkeiten, Ladungssicherungsarbeiten, Auf- und Abplanen sowie die Säuberung des Daches von Eis und Schnee. Präventionsmaßnahmen sollten nach dem STOP-Prinzip gesetzt werden.