Arbeitsorganisation – Good Practice
Verkehrsunfälle durch Arbeitsorganisation verhindern
Organisatorische Maßnahmen tragen dazu bei, die beruflich bedingte Verkehrsteilnahme auf allen Wegen sicherer zu machen – während der Arbeit ebenso wie auf dem Weg zur Arbeit und zurück.
Laut Arbeitsunfallstatistik 2021 sind rund zehn Prozent aller Arbeits- und Wegunfälle von Erwerbstätigen Verkehrsunfälle. Betrachtet man nur die Arbeits- und Wegunfälle von Erwerbstätigen mit Todesfolge, ist der Anteil der Verkehrsunfälle mit rund 42 Prozent sogar viermal so hoch. Arbeitgeber:innen können dazu beitragen, diese Zahlen zu senken – und zwar nicht nur bei Unfällen auf dem eigenen Betriebsgelände. Vor allem organisatorische Maßnahmen bringen mehr Sicherheit bei der beruflich bedingten Verkehrsteilnahme.
Der erste Schritt besteht darin, bei der Arbeitsplatzevaluierung die beruflich bedingte Verkehrsteilnahme einzubeziehen. Diese beinhaltet den Arbeitsweg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, den Dienstweg im Zuge der Dienstverrichtung außerhalb des Betriebsstandorts und den Werksverkehr am Betriebsstandort. „Viele Unternehmen berücksichtigen nur den Werksverkehr, zum Teil ist auch ein umfassendes innerbetriebliches Verkehrskonzept vorhanden“, berichtet Mag. Klaus Bohdal, Arbeits- und Organisationspsychologe der AUVA-Landesstelle Linz, von seinen Erfahrungen in der Praxis.
Bei der Analyse der Gefahren im berufsbedingten Verkehr kann das kostenlose Online-Tool GUROM (www.gurom.at) unterstützen, das vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat, der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und der AUVA entwickelt wurde. Anhand von Antworten der Mitarbeiter:innen auf Fragen zur Verkehrsteilnahme ermittelt das Tool ein Gefährdungsprofil des Unternehmens und schlägt konkrete Verbesserungsmaßnahmen vor.
Mag. Klaus Bohdal Arbeits- und Organisationspsychologe der AUVA-Landesstelle Linz
Maßnahmen nach dem „STOP+S“-Prinzip
Wenn man im Zuge der Arbeitsplatzevaluierung die Risikofaktoren identifiziert hat, müssen geeignete Maßnahmen gesetzt werden. Dabei gilt das STOP-Prinzip, im Verkehrssektor um den situativen Faktor zu STOP+S erweitert: Vorrang hat Substitution (S), gefolgt von technischen (T) und organisatorischen (O) sowie personenbezogenen (P) und situativen (S) Maßnahmen.
Zuerst sollte geprüft werden, ob ein Verkehrsmittel mit einem höheren Unfallrisiko durch ein sichereres ersetzt werden kann, etwa durch den Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Verkehr. Zu den technischen Maßnahmen gehören Fahrer:innenassistenzsysteme wie der automatische Notbremsassistent, der intelligente Geschwindigkeitsassistent, der Notfall-Spurhalteassistent oder das Warnsystem bei Müdigkeit und nachlassender Aufmerksamkeit. Auf der organisatorischen Ebene geht es hauptsächlich darum, psychische Belastungen zu vermeiden, etwa durch Reduktion des Zeitdrucks oder durch Verzicht auf ständige Erreichbarkeit des:der Fahrers:Fahrerin.
Der Fokus bei den personenbezogenen Maßnahmen liegt auf der Unterweisung, z. B. im Gebrauch der Fahrer:innenassistenzsysteme. Der:die Arbeitgeber:in muss die internen Regeln zur Verkehrssicherheit vermitteln und ihre Einhaltung kontrollieren. Bei der Planung dieser Maßnahmen sind immer auch die situativen Faktoren zu berücksichtigen. Zu diesen zählen unter anderem Witterungsbedingungen wie starker Regen, Schnee oder Glatteis sowie anspruchsvolle Verkehrssituationen.
Prävention
Die AUVA unterstützt Unternehmen dabei, die Verkehrsteilnahme für Arbeitnehmer:innen sicherer zu machen. Im Rahmen des AUVA-Präventionsschwerpunkts „Komm gut an!“ bietet die AUVA um 50 Prozent vergünstigte Fachseminare zum Schwerpunktthema an, z. B. „Sichere Verkehrsteilnahme in der Arbeitsstätte“ und „Sicher und gesund am Arbeitsplatz Pkw – Grundlagen, Technik und Praxis“. Ab Frühjahr 2023 können die Workshops „Sicher am Scooter im Betrieb und am Arbeitsweg“ und „Sicher am Fahrrad im Betrieb und am Arbeitsweg“ gebucht werden.
Auch die Beschäftigten können zur Vermeidung von Unfällen beitragen. Das gelingt am besten, wenn Prozesse installiert werden, die eine systematische Rückmeldung von gefährlichen Bedingungen, Beinaheunfällen und Unfällen ermöglichen. Vorschläge zur Verbesserung betrieblicher Abläufe sollten gesammelt werden, damit Prävention proaktiv und nicht nur in Reaktion auf (Beinahe-)Unfälle erfolgt. Eine entsprechende Unternehmenskultur ermutigt die Mitarbeiter:innen, derartige Vorfälle tatsächlich zu melden.
Wegunfälle
Verkehrsunfälle auf dem Weg in die Arbeit und wieder nach Hause sind häufiger und meist schwerer als jene auf Dienstwegen. Bei letzteren wirken sich die Professionalität der Lenker:innen, die dienstlich viel unterwegs sind, und die höhere Sicherheit der Firmenfahrzeuge positiv aus – beides Faktoren, die sich vom:von der Arbeitgeber:in beeinflussen lassen. Das bedeutet aber nicht, dass er:sie nicht auch auf dem Arbeitsweg der Mitarbeiter:innen Maßnahmen für mehr Sicherheit setzen kann.
Eine Option besteht darin, Bedingungen zu schaffen, die den Beschäftigten ermöglichen, ein sicheres Verkehrsmittel zu wählen. Sind die Arbeitszeiten, z. B. bei Schichtarbeit, an die Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel angepasst, erleichtert das den Umstieg. Einen zusätzlichen Anreiz bietet eine vom Unternehmen finanzierte Zeitkarte, z. B. das Klimaticket. Ist die Strecke vom nächsten Bahnhof zum Betrieb zu weit, löst ein Shuttledienst das Problem.
Die Verpflichtung zu Instandhaltung und Wartung des Fuhrparks gilt nicht nur für Kraftfahrzeuge, sondern auch für firmeneigene Fahrräder und E-Scooter.
Der:die Arbeitgeber:in kann die Mitarbeiter:innen auch dabei unterstützen, mit dem von ihnen gewählten Verkehrsmittel sicherer zu fahren. Bohdal bringt als Beispiel das bei Lehrlingen beliebte Moped: „Beim Mopedfahren gibt es besonders viele Unfälle. Die jungen Fahrer:innen sind oft noch ungeübt, fahren bei jeder Witterung und haben eine erhöhte Risikobereitschaft. Der:die Arbeitgeber:in kann reflektierende Schutzkleidung zur Verfügung stellen, damit die Fahrer:innen besser gesehen werden.“ Vom Betrieb organisierte Moped-Workshops bzw. für Radfahrer:innen Fahrrad-Workshops helfen, die Fahrpraxis zu verbessern. Die Zugänge bzw. -fahrten zum Betriebsgelände müssen verkehrssicher gestaltet sein, Risikofaktoren wie Rollsplitt, Schnee oder schlechte Beleuchtung beseitigt werden.
Eine wichtige Rolle für die Unfallhäufigkeit spielt die psychische Belastung. Wer sich von seiner beruflichen Tätigkeit überfordert fühlt oder Aufgaben mit hoher Konzentration erledigen muss, ermüdet schneller, was sich negativ auf die Aufmerksamkeit bei der Heimfahrt auswirkt. Auch starke Emotionen, z. B. aufgrund von Konflikten mit Vorgesetzten bzw. Kollegen:Kolleginnen, beeinträchtigen die Fahrtüchtigkeit.
Dienstwege
Dienstwege können mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Neben motorisierten Fahrzeugen kommen zunehmend Fahrräder und in jüngster Zeit E-Scooter zum Einsatz, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist zum Teil ebenfalls möglich. Die Verkehrssicherheit hängt auch von der Wahl des jeweils am besten geeigneten Fahrzeugs ab. So ist z. B. vom Transport sperriger Gegenstände auf Fahrrad, Scooter oder Moped eher abzuraten, ebenso vom Fahren bei Schneelage.
„Je mehr Einfluss der:die Arbeitgeber:in auf die Wahl des Verkehrsmittels hat, desto mehr Verantwortung hat er:sie auch. Stellt ein Unternehmen seinen Mitarbeitern:Mitarbeiterinnen Firmenfahrzeuge zur Verfügung, sollte Sicherheit bereits bei der Anschaffung ein Kriterium sein“, so Bohdal. Es ist zu empfehlen, Präventivfachkräfte und eventuell jene Mitarbeiter:innen, die die Fahrzeuge später benutzen sollen, einzubeziehen. Die Verpflichtung zu Instandhaltung und Wartung des Fuhrparks gilt nicht nur für Kraftfahrzeuge, sondern auch für firmeneigene Fahrräder und E-Scooter.
Aus der Arbeitsplatzevaluierung ergibt sich, ob für ein Verkehrsmittel eine persönliche Schutzausrüstung benötigt wird. Ist das der Fall, muss das Unternehmen für Dienstfahrten z. B. einen Helm, Schuhe mit rutschhemmender Sohle, Wetterschutzkleidung oder reflektierende Kleidung bereitstellen. Die Verwendung der PSA sollte stichprobenartig kontrolliert werden.
Je mehr Einfluss der:die Arbeitgeber:in auf die Wahl des Verkehrsmittels hat, desto mehr Verantwortung hat er:sie auch.
Eine Kontrolle ist auch in Bezug auf die Lenkerberechtigung notwendig. Dass diese oft nur bei der Einstellung eines:einer neuen Mitarbeiters:Mitarbeiterin stattfindet, reicht laut Bohdal nicht: „Der Führerschein sollte halbjährlich kontrolliert werden und zusätzlich im Anlassfall, wenn der Verdacht besteht, dass einem:einer Lenker:in der Führerschein abgenommen worden ist.“ Mitarbeiter:innen sind zu einer Meldung verpflichtet, wenn keine aufrechte Lenkerberechtigung mehr besteht.
Die Dienst- und Routenpläne müssen den gesetzlichen Regelungen zu Lenk-, Ruhe- und Arbeitszeiten entsprechen. Damit die Mitarbeiter:innen die Arbeitszeitregelungen einhalten können, hat der:die Arbeitgeber:in die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Zu berücksichtigen sind z. B. Verkehrsaufkommen und Witterung.
Für unvorhergesehene belastende Ereignisse muss das Unternehmen Notfallpläne erstellen. Diese bieten eine Orientierungshilfe, wie sich Mitarbeiter:innen z. B. bei einer Panne, einem Unfall oder einer Erkrankung verhalten sollen. Speziell für Lkw-Fahrer:innen, die auf Rastplätzen übernachten, ist auch die Information wichtig, was sie bei Diebstahl oder Raub tun sollen.
Werksverkehr
In Bezug auf Anschaffung, Instandhaltung und Wartung gelten für Fahrzeuge, die im Werksverkehr verwendet werden, die gleichen Anforderungen wie für auf Dienstwegen genutzte. Arbeitgeber:innen sind verpflichtet, die regelmäßigen Prüfintervalle einzuhalten und die Lenkerberechtigung zu kontrollieren. Für die Bedienung von Staplern und Kränen ist laut Fachkenntnisnachweis-Verordnung die entsprechende Fachkenntnis erforderlich, die vor dem ersten Einsatz im Unternehmen überprüft werden sollte. Die innerbetriebliche Fahrerlaubnis setzt eine Unterweisung voraus.
Ablenkung ist auch im Werksverkehr eine häufige Unfallursache. Ein Teil davon lässt sich auf arbeitsbezogene Tätigkeiten zurückführen, die beim Fahren „nebenbei“ erledigt werden, etwa telefonieren oder den Touchscreen des Staplers betätigen. Diese Tätigkeiten sollten nur bei stehendem Fahrzeug durchgeführt werden.
Bei der Erstellung eines Verkehrskonzepts darf im innerbetrieblichen Verkehr nicht auf betriebsfremde Personen vergessen werden, die sich auf dem Werksgelände bewegen. Das können überlassene Arbeitnehmer:innen oder Beschäftigte von Fremdfirmen, z. B. Zuliefer- oder Dienstleistungsunternehmen aus den Bereichen Service, Wartung oder Reinigung, sein. Auch sie müssen unterwiesen werden, wobei bei jeder Unterweisung zu überprüfen ist, ob die Mitarbeiter:innen alles verstanden haben, auch wenn sie nicht gut deutsch sprechen.
Eine Botschaft des Unternehmens an seine Beschäftigten sieht Bohdal als zentral an: „Ich möchte, dass du gesund heimkommst.“
Good Practice: Verkehrssicherheit im Werk Steyr der BMW Group
Um die beruflich bedingte Verkehrsteilnahme sicherer zu machen, hat das BMW-Werk Steyr im Rahmen eines neuen Verkehrskonzepts 2020 mehrere Maßnahmen gesetzt. Die Verbesserungen kommen nicht nur dem Arbeitnehmer:innenschutz, sondern auch dem Umwelt- und Klimaschutz zugute.
Nach rund zwei Jahren im Betrieb kann vor allem bei der Haupteinfahrt zum Werk eine wesentliche Verbesserung der Verkehrssituation festgestellt werden. Neben einer neuen Abbiegespur, die eine geordnete Zufahrt ohne Behinderung des Durchzugsverkehrs ermöglicht, wurden auch eine Einbahnregelung sowie eine intelligent gesteuerte Ampel installiert, um beim Schichtwechsel Staubildung zu vermeiden. Eine neue Radverkehrsanbindung mit einer sicheren Radwegverbindung nach Münichholz sowie zahlreiche neue Fahrradabstellplätze mit Ladestationen für E-Bikes sollen Anreize für Mitarbeiter:innen schaffen, um mit dem Rad anzureisen.
Ein weiterer großer Meilenstein war die Realisierung eines werksinternen Bahnübergangs. Die neue Route innerhalb des Werks reduziert den Pendelverkehr zwischen West- und Ostseite, verringert das Lkw-Aufkommen im Nahbereich der Anrainer:innen und erspart rund 340 Lkw-Kilometer pro Tag rund um das Werk. Rechnet man dies auf ein ganzes Jahr hoch, bedeutet das rund 90.000 Kilometer, ca. 50.000 Liter Diesel sowie rund 147 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr, die aufgrund des neuen Bahnübergangs eingespart werden können. Die neue Verkehrsführung schafft zusätzlich weitere Potenziale für Verkehrs- und Materialflüsse. Im Zuge des Projekts wurde auch die bestehende Anschlussbahn adaptiert, um zukünftige An- und Ablieferungen per Schiene zu ermöglichen.
Die Verbesserungen der Verkehrsteilnahme im BMW-Werk Steyr. Mitte: Realisierung eines werksinternen Bahnübergangs. Rechts: Die neue Abbiegespur bei der Haupteinfahrt ermöglicht Zufahrt ohne Behinderung des Durchzugsverkehrs.
Josef Heinrich, Leitung Logistik im BMW-Werk Steyr, fasst zusammen: „Das neue Verkehrskonzept verbessert die Gesamteffizienz unserer Verkehrs- und Warenströme deutlich. Die Errichtung eines Bahnüberganges, der die beiden Werksbereiche im Westen und im Osten verbindet, war dabei ein wichtiger Meilenstein. Das Konzept stellt einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und zur Verbesserung des Verkehrsflusses dar. Und gleichzeitig tun wir etwas Gutes für die Umwelt und unsere Anrainer:innen.“
Die Verbesserungen der Verkehrsteilnahme im BMW-Werk Steyr. Rechts oben: Realisierung eines werksinternen Bahnübergangs. Rechts unten: Die neue Abbiegespur bei der Haupteinfahrt ermöglicht Zufahrt ohne Behinderung des Durchzugsverkehrs.
Zusammenfassung
Arbeitsbedingte Verkehrsunfälle enden im Vergleich zu anderen Arbeitsunfällen häufiger tödlich oder mit schweren Verletzungen. Um die berufsbedingte Verkehrsteilnahme sicherer zu machen, muss diese bei der Arbeitsplatzevaluierung berücksichtigt werden. Präventionsmaßnahmen sind nach dem „STOP+S“-Prinzip zu setzen.