Güterbeförderung in KMU
Mehr Sicherheit im Güterverkehr
AUVAsicher unterstützt auf Basis des Branchenkonzepts Güterbeförderung bei der Vermeidung von Weg- und Arbeitsunfällen. Vier mit der Goldenen Securitas ausgezeichnete Betriebe zeigen innovative Lösungen für die Vermeidung von Weg- und Ar-beitsunfällen auf.
Die Güterbeförderung im Straßenverkehr zählt zu den Branchen mit einem besonders hohen Sicherheits- und Gesundheitsrisiko. Um dieses zu verringern, hat eine Arbeitsgruppe aus Sicherheitsfachkräften, Arbeitsmedizinern:-medizinerinnen, Einsatzlei-tern:-leiterinnen und einem Koordinator mit Unterstützung der Fachgruppe Verkehr der AUVA bereits im Jahr 2015 ein Branchenkon-zept erstellt. Dieses dient als Grundlage für Beratungen von Klein- und Mittelbetrieben im Rahmen von AUVAsicher.
Der Koordinator der Arbeitsgruppe, Ing. Walter Pfoser, stellvertretender Abteilungsleiter der AUVAsicher-Region Oberöster-reich/Niederösterreich, nennt die Ziele des Branchenkonzepts: „Die Anzahl der Unfälle soll gesenkt und das Gesundheitsbewusstsein der Lkw-Fahrer:innen gehoben werden. Mit Hilfe des Branchenkonzepts wollen wir eine einheitliche Qualität der Betreuung von Un-ternehmen vom Bodensee bis zum Neusiedlersee garantieren.“ Die Präventivfachkräfte erhalten die nötigen Informationen, um die von ihnen betreuten Betriebe bestmöglich beraten zu können.
Ing. Walter Pfoser Stellvertretender Abteilungsleiter der AUVAsicher-Region Oberösterreich/ Niederösterreich, koordiniert die Arbeitsgruppe „Branchenkonzept Güterbeförderung“
Für das Branchenkonzept wurde die Unfallstatistik 2010 bis 2014 der Wirtschaftsklasse 49410 Güterbeförderung im Straßenverkehr ausgewertet. Das Ergebnis stimmte vorsichtig optimistisch, überraschte aber auch: Die Unfallzahlen waren insgesamt leicht rückläu-fig, wobei in allen untersuchten Jahren die Anzahl jener Unfälle, die nicht den Verkehrsunfällen zuzurechnen sind, bei weitem über-wog. 2014 machten Verkehrsunfälle weniger als fünf Prozent aller Unfälle dieser Wirtschaftsklasse aus. Sturz und Fall, insbesondere beim Besteigen von Leitern, war die häufigste Unfallursache.
Branchenkonzept als Beratungsleitfaden
Bei den AUVAsicher-Beratungen für Unternehmen aus dem Bereich Güterbeförderung werden daher auch Unfälle besprochen, die nicht auf den Straßenverkehr zurückzuführen sind, ebenso andere Sicherheits- und Gesundheitsrisiken. Die Berater:innen sind mit einer Mappe bzw. deren digitaler Version ausgestattet, die mit allen wesentlichen Informationen aus dem Branchenkonzept befüllt ist. Auch die für die Güterbeförderung relevanten AUVA-Merkblätter und -Folder sind darin enthalten. Der Aufbau der Mappe orientiert sich an der bereits seit Jahren bewährten Sicherheits- und Gesundheitsschutzorganisation (SGO).
Die Preisträger:innen der Goldenen Securitas zeigen, dass auch Klein- und Mittelbetriebe zur Vermeidung von Weg- und Arbeitsunfällen innovative Lösungen finden können, die nicht immer große Investitionen erfordern.
Bei den Betriebsbesuchen verwenden die AUVAsicher-Berater:innen die Mappe als Leitfaden und sprechen die darin enthaltenen Themenbereiche an. Dazu zählen Führen und Organisieren, Rechtsgrundlagen, Berichte und Beratungsergebnisse, Evaluierung, Un-terweisung, Unfallentwicklung, Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung, Prüfungen und Messungen sowie Bescheide.
Die Unterweisung der Arbeitnehmer:innen ist bei jeder AUVAsicher-Beratung ein wichtiges Thema. „Die Mappe enthält eine Mus-terunterweisung, die an die jeweilige Situation im Unternehmen angepasst werden kann“, so Pfoser. Bei der Erstunterweisung für neue Lkw-Fahrer:innen sollte nicht auf Informationen zu unternehmensspezifischen Gefahrensituationen, sicherem Laden von Batte-rien in Ladestationen, Verhalten bei Unfallsituationen und zur Vorgangsweise beim Entzug der Fahrberechtigung vergessen werden. Zu Tätigkeiten, bei denen es immer wieder zu schweren Verletzungen und Todesfällen kommt, etwa dem An- und Abkuppeln von mehrachsigen Deichselanhängern, liegen der Mappe spezielle Folder bei.
Unfallentwicklung und Gesundheitsschutz
Die häufige Unfallursache Sturz und Fall steht bei den Beratungen oft im Vordergrund. Nicht trittsichere oder verschmutzte Stufen bergen die Gefahr, dass man beim Einsteigen ins Führerhaus bzw. beim Aussteigen abrutscht. Das Gleiche gilt für Auftritte, die zum Reinigen der Windschutzscheibe oder zum Einstellen des Frontspiegels benutzt werden. Beim Besteigen von Fahrzeugaufbauten be-steht das Risiko eines Sturzes aus mehreren Metern Höhe. Während des Be- und Entladens kann es zu Unfällen durch herabfallende, kippende oder wegrollende Ladung kommen, auch Verletzungen durch sich unbeabsichtigt bewegende Aufbauteile sind möglich.
Eine weitere Gesundheitsgefährdung beim Be- und Entladen ergibt sich durch nicht ergonomisches Heben und Tragen, das Unfälle begünstigt und den Bewegungs- und Stützapparat belastet. Längerfristig können sich daraus Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) ent-wickeln, die in der Beratungsmappe unter dem Punkt Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung behandelt werden. Im Rahmen des AUVA-Präventionsschwerpunkts 2021/22 „Packen wir’s an!“ wurde ein breites Angebot an Materialien erstellt, die sich der Vor-beugung von MSE widmen, etwa das Merkblatt M 025 „Heben und Tragen, Schieben und Ziehen“ oder die „Car Board Card“ mit einer Anleitung zur richtigen Autositzeinstellung und Ausgleichsübungen.
Ein in der Güterbeförderung häufig vernachlässigtes Gesundheitsrisiko ist die Schwierigkeit, sich unterwegs gesund zu ernähren. Viele Lkw-Fahrer:innen leiden unter Übergewicht, was Erkrankungen wie Diabetes oder Schlafapnoe begünstigt. „Lenkern:Lenkerinnen von Holztransportern empfehlen wir die FSME-Impfung, Lenkern:Lenkerinnen von Abfalltransportern die Impfung gegen Hepatitis“, nennt Pfoser eine weitere oft vergessene Schutzmaßnahme.
Die psychische Gesundheit ist erst in der letzten Zeit verstärkt in den Fokus von Arbeitgebern:Arbeitgeberinnen gerückt. Lkw-Fahrer:innen gehören zu den Berufsgruppen, die einer großen psychischen Belastung ausgesetzt sind. Die andauernde Fokussie-rung auf den Straßenverkehr, Zeitdruck und aggressives Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer:innen können Stress verursachen. Muss man auf Rastplätzen übernachten, ist die Gefahr, Opfer von Raub oder Diebstahl zu werden, ein zusätzlicher Stressfaktor.
Good Practice: Die Goldene Securitas
Bei seiner Tätigkeit für AUVAsicher hat Pfoser etliche Unternehmen kennengelernt, deren Engagement für die Gesundheit ihrer Mit-arbeiter:innen weit über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgeht. Die AUVA zeichnet gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Österreich Klein- und Mittelbetriebe aus, die auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit sowie der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit vorbildliche Maßnahmen gesetzt haben. Der Preis für diese besonderen Leistungen, die Goldene Securitas, wurde in den letzten Jahren an die folgenden Güterbeförderungsbetriebe vergeben. Wie vielfältig die Herausforderungen in der Güterbeför-derungsbranche sind, sieht man an den prämierten Projekten.
AIRpipe Dach-Enteisung
Die AIRpipe GmbH aus Wallern an der Trattnach in Oberösterreich erhielt die Goldene Securitas 2008 für eine Erfindung, mit der man sich das händische Enteisen des Lkw-Dachs erspart. Da nicht überall ein Gerüst zu Verfügung steht, auf das der:die Fahrer:in steigen kann, muss er:sie oft von einer Leiter aus arbeiten. Das birgt ein hohes Sturzrisiko, insbesondere durch Wegrutschen der Leiter. Kommt der:die Lenker:in dieser Pflicht nicht nach, besteht die Gefahr, dass sich während der Fahrt Eisbrocken oder Schneewechten lösen und auf ein nachfolgendes Fahrzeug stürzen.
Genau das hat Günter Bauregger, Geschäftsführer von AIRpipe und gelernter Gartenbautechniker, selbst erlebt. „Alles begann mit einem Unfall, ausgelöst durch eine Eisplatte, die sich vom Planendach eines vor mir fahrenden Lkw löste. Inspiriert durch das Prinzip der Wärmedämmung im Folienhausbau, die ich in meiner Firma Gartenbautechnik Bauregger vertreibe, entstand die Idee für das AIRpipe 3-Schlauch-System“, schreibt er auf der AIRpipe-Website.
Bei diesem System montiert man zwischen Dachplane und Dachquerspriegel drei Luftschläuche, die mit der Luft aus dem Nebenver-braucherkreis des Fahrzeugs gefüllt werden, wodurch die Dachplane angehoben wird. Das verhindert ein Ansammeln von Wasser und damit die Eisbildung. Mit dem AIRpipe 3-Schlauch-System ist es auch möglich, bereits entstandene Eisplatten aufzubrechen und zu entfernen. Für das mittlerweile patentierte System wurde AIRpipe 2009 der Staatspreis Verkehr des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie verliehen.
Eine weitere Entwicklung von AIRpipe sorgt für mehr Sicherheit bei Kipp- und Muldenfahrzeugen mit Rollplane. Da das händische Auf- und Zurollen anstrengend und riskant ist, weil der:die Lenker:in auf das Stirnwandplateau steigen muss, sind manche Lkw mit offener Plane unterwegs. Das kann zu Verlust des Ladeguts und damit zu Unfällen nachfolgender Fahrzeuge führen. Beim einfach zu montie-renden REVOplan-System wird die Plane mit Hilfe eines Elektromotors aufgerollt. Das Verdeck lässt sich auf Knopfdruck vom Boden aus öffnen und schließen.
Wieshofer Baumschnittkran
Die Wieshofer Gesellschaft m.b.H. aus Steyregg bei Linz konnte zwei Preise erringen: 2014 erhielt sie die Goldene Securitas, 2015 den Jungunternehmerpreis der Jungen Wirtschaft Oberösterreich in Kooperation mit dem Wirtschaftsressort des Landes und der Fach-gruppe Unternehmensberatung und Informationstechnologie (UBIT). Der Familienbetrieb, der neben Transporten und Krandienstleis-tungen auch Baumschnitt und -abtragung anbietet, entwickelte einen kranunterstützten Baumschneider.
Arbeiten an Bäumen, die an schwer zugänglichen Standorten stehen, müssen in der Regel von professionellen Baumklette-rern:-kletterinnen durchgeführt werden. Deren Tätigkeit bringt ein besonders hohes Risiko mit sich; sie befinden sich beim Aufsteigen, Einsteigen und Schneiden mitten im Gefahrenbereich. Dieser muss mit dem System von Wieshofer nicht betreten werden.
Am Ladekran eines speziell dafür konzipierten Kran-Lkw ist ein Schneidkopf angebracht, der mittels Fernbedienung gesteuert wird. Eine in den Schneidkopf eingebaute Greifzange fixiert den Baumstamm, während eine integrierte Motorsäge den Baum stückweise abschneidet. Die abgetrennten Stücke werden direkt auf den Lkw geladen. Das System kann für Bäume bis zu einer maximalen Höhe von 32 Metern eingesetzt werden.
Waizinger Altglas-Entleerung
Ebenfalls aus Oberösterreich stammt die Waizinger Ges.mbH & Co KG aus Dietach. Das im Bereich Abfallwirtschaft und Recycling tätige Familienunternehmen hat bei der Altglassammlung die Lärmerzeugung reduziert und die Sicherheit für den:die Fahrer:in er-höht. Dafür erhielt sie die Silberne Securitas 2014.
Die Entleerung der Altglas-Sammelbehälter verursacht nicht nur ein von Anrainern:Anrainerinnen oft als störend empfundenes Ge-räusch, sondern ist auch eine für den:die Fahrer:in riskante Tätigkeit: Er:sie muss den Fahrzeugaufbau besteigen, um den Hebekran für den Sammelbehälter zu betätigen. Bei Waizinger wurde die dafür verwendete Leiter durch eine fix montierte abgesicherte Leicht-bautreppe ersetzt. Das erleichtert insbesondere älteren Mitarbeitern:Mitarbeiterinnen die Arbeit. Zusätzlich wurden schalldämmende Muldenabdeckungen am Fahrzeug angebracht, die die Lärmbelastung verringern und verhindern, dass während der Entleerung oder des Transports Glas hinunterfällt, was zu Unfällen führen kann.
Rattinger Beinaheunfall-System
2018 wurde die Franz Rattinger KG Nah- und Ferntransporte aus Möderbrugg mit der Goldenen Securitas ausgezeichnet. Das ober-steirische Familienunternehmen ist auf den nationalen und internationalen Transport von Schüttgut wie Biomasse und Sägerestholz sowie auf den Transport von Schnittholz spezialisiert. Rattinger setzte mit einem Beinaheunfall-System eine effiziente, aber generell zu selten genutzte Möglichkeit zur Unfallprävention um: Viele Unfälle lassen sich vermeiden, wenn erkannte Gefahrenquellen recht-zeitig beseitigt werden. Die Voraussetzung dafür ist eine Unternehmenskultur, die Arbeitnehmer:innen dazu ermutigt, entsprechende Vorfälle zu melden. 2015 führte Rattinger ein Beinaheunfall-System und ein digitales Unterweisungstool ein. Die Mitarbeiter:innen können Ereignisse und Gefahren, die beinahe zu einem Unfall geführt hätten, über ein betriebsinternes Formular der Geschäftsfüh-rung melden. Diese unterweist sofort alle Arbeitnehmer:innen über ein Kommunikationstool am Smartphone, was unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort möglich ist.
Zusammenfassung
Die Güterbeförderung im Straßenverkehr zählt zu den Branchen mit einem besonders hohen Sicherheits- und Gesundheitsrisiko. Bei den Unfällen überwiegen jene, die nicht in Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen. Die Berater:innen von AUVAsicher unterstützen KMU bei der Prävention und nutzen als Grundlage für ihre Beratungen das Branchenkonzept Güterbeförderung. Als Good-Practice-Beispiele dienen Unternehmen, die für ihre innovativen Lösungen mit der Goldenen Securitas ausgezeichnet worden sind.