Gewalt am Arbeitsplatz
(Un)sichtbare Gewalt
Arbeitnehmende erleben Gewalt in zahlreichen Formen und Facetten. Nicht immer sind Gewaltvorgänge sichtbar – Gewalt am Arbeitsplatz wird auch verdeckt ausgeübt und ist in diesen Fällen für Außenstehende schwieriger zu erkennen. Für ein gesundes und sicheres Arbeitsumfeld sind eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema und eine stringente, transparente Planung von Strategien und Maßnahmen erforderlich.
Gewalt ist ein breiter Begriff, der je nach Blickwinkel in unterschiedliche Kategorien unterteilt werden kann. Am Arbeitsplatz kann sowohl externe als auch interne Gewalt erfahren werden. Externe Gewalt wird durch betriebsfremde Personen ausgeübt. Dazu zählen Kundinnen und Kunden, Klientinnen und Klienten, aber auch deren Angehörige oder fremde Personen. Interne Gewalt findet dagegen zwischen Kolleginnen und Kollegen oder entlang betrieblicher Hierarchien statt.
Gewalt hat viele Gesichter
In einem weiten Verständnis wird vom Begriff Gewalt jedes Verhalten von Personen erfasst, welches von anderen als übergriffig, belästigend oder bedrohlich wahrgenommen wird und auch häufig, aber nicht immer, mit dieser Intention von der Gewalt ausübenden Person gesetzt wurde. Beispielsweise kann auch das Erzählen frauenfeindlicher oder rassistischer Witze ein feindliches Arbeitsumfeld z. B. für anwesende Frauen oder Personen mit Migrationshintergrund untermauern bzw. schaffen.
Gewalt kann körperlich und nicht-körperlich ausgeübt werden. Nicht-körperliche Gewalt kann gegebenenfalls auch nonverbal ausgeübt werden, etwa durch beabsichtigtes Vorenthalten wichtiger Informationen, um den Arbeitsablauf der anderen Person nachteilig zu beeinflussen bzw. zu behindern, oder durch hartnäckiges Ignorieren. Aber auch das persistente Verwenden unerwünschter oder beleidigender Spitznamen zählt zur Form der nicht-körperlichen Gewalt. Körperliche wie nicht-körperliche Gewalt kann auch in sexualisierter Form ausgeübt werden, von anzüglichen Witzen und weitergehender verbaler sexueller Belästigung bis hin zu physischen Übergriffen.
Unter Mobbing wird das Aufrechterhalten gewalttätiger Verhaltensweisen über längere Zeit verstanden. Länger andauernde Gewaltausübung wird häufig sukzessive in ihrer Intensität gesteigert. Ab einer gewissen Stärke wird schließlich auch die eigene Schädigung in Kauf genommen, um gegen die andere Person weiter und intensiver Gewalt auszuüben, worin eine besondere Gefahr zu sehen ist.
Diesem weiten Begriffsverständnis folgend wird rasch klar, dass ein großer Teil der Arbeitnehmenden in ihrem Berufsalltag bereits mit Gewalt konfrontiert war oder diese selbst erfahren hat. Es sind keinesfalls ausschließlich Personen in Branchen mit offensichtlich erhöhtem beruflichem Gewaltpotenzial, wie in der Pflege, beim Sicherheitsdienst oder bei der Polizei, betroffen.Die Ursachen für Gewalt in der Arbeitswelt sind genauso vielfältig wie in anderen Lebensbereichen. Gewalt wird häufig durch ungünstige Arbeitsbedingungen wie hohen Leistungsdruck, Stress, Personalmangel sowie lange und/oder ungesunde Dienstzeiten gefördert. Interne Gewalt soll oft Macht demonstrieren und Abhängigkeiten aufzeigen oder verstärken.
An allen Arbeitsplätzen, an denen Menschen aufeinandertreffen, können sich vielfältige Emotionen entladen und unterschiedliche Befindlichkeiten spürbar werden.
Auftrag an Führungskräfte
Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz verpflichtet Arbeitgebende zur Gewährleistung eines umfassenden Schutzes von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmenden. Ausdrücklich ist auch die Wahrung der Integrität und Würde Teil dieses Schutzbereichs. Hierfür ist eine eingehende Befassung mit dem Thema der arbeitsbedingten und arbeitsassoziierten Gewalt sowie die klare Formulierung und Umsetzung geeigneter Schutzmaßnahmen unerlässlich. In einem ersten Schritt sollten Gewaltsituationen und Gewaltpotenziale sichtbar gemacht und als solche erkannt werden. Ziel ist es, alle betriebszugehörigen Personen, insbesondere ganz gezielt Führungskräfte aller Ebenen, zum Umgang mit Gewalt in der Arbeitswelt so zu informieren und so zu unterweisen, dass für alle involvierten Personen jederzeit klar ist, welche Maßnahmen in welcher betrieblichen Situation zur Verfügung stehen und wie die unterschiedlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Betrieb verteilt sind. Ein Teil der Gewalterfahrungen an Arbeitsplätzen kann auf der Ebene der Prävention erfasst werden. Dafür ist es hilfreich, sämtliche Tätigkeiten aller im Betrieb beschäftigten Personen zu erfassen und hinsichtlich ihres Gewalt-Gefahrenpotenzials zu analysieren.
- Gibt es im Betrieb besonders vulnerable Personengruppen (z. B. Frauen, Personen mit Migrationshintergrund)?
- Besteht erhöhte Gefahr für Übergriffe aufgrund von Alleinarbeit, Randarbeitszeiten oder prekären Dienstwegen?
- Bei welchen Tätigkeiten oder an welchen Arbeitsplätzen ist in der Vergangenheit bereits (gehäuft) Gewalt aufgetreten?
- Welche Personen führen Arbeiten aus, die mit einem erhöhten tätigkeitsbedingten Gewaltrisiko verknüpft sind (z. B.: Betreuung von Patientinnen und Patienten, Sicherheitsdienste)?
- Welche Tätigkeiten werden unter gewaltfördernden Rahmenbedingungen (z. B.: Zeitstress, hoher Arbeitsdruck) durchgeführt?
Sind Situationen und Tätigkeiten mit erhöhtem Gefahrenpotenzial für Gewalt identifiziert, können geeignete präventive Schutzmaßnahmen klar definiert und umgesetzt werden. Hierbei bietet sich eine partizipative Vorgehensweise an, bei der Arbeitnehmenden die Möglichkeit gegeben wird, sich in die Planung der Maßnahmen einzubringen. Für bestimmte Arbeitsplätze kann es sinnvoll sein, Notrufsysteme zu implementieren, durch die jederzeit und umgehend ein:e Kollege:Kollegin oder vorgesetzte Person erreicht werden kann. Ungünstige Bereiche in oder bei Betrieben, wie etwa dunkle Parkgaragen, entlegene Gänge etc., können durch entsprechende Infrastruktur, z. B. Beleuchtung, Videoüberwachung, oder Zutrittsbeschränkungen, besser abgesichert werden.
Am Arbeitsplatz kann sowohl externe als auch interne Gewalt erfahren werden.
Doch auch bei Ausschöpfung sämtlicher zur Verfügung stehender präventiver Maßnahmen kann Gewalt in der Arbeitswelt nicht vollständig verhindert werden. Für all jene Fälle, in denen eine Verhinderung der Gewalt nicht möglich ist, ist eine strukturierte Planung und detaillierte Information an Arbeitnehmende, wie mit Gewalterfahrungen innerhalb des Betriebes umgegangen wird, erforderlich. Teilweise treffen Arbeitgebende bereits bestimmte gesetzliche Verpflichtungen in diesem Zusammenhang. Doch auch darüber hinaus sind ein klares Bekenntnis gegen Gewalt und eine ausdrückliche Positionierung von Führungskräften im Betrieb wünschenswert.
Rechtlicher Rahmen
Es kann für Personen, die Gewalt bei oder durch ihre berufliche Tätigkeit erfahren haben, schwierig sein, Schutz vor weiteren Übergriffen oder Schadenersatz zu erlangen. Vom nationalen Rechtssystem wird der Schutz vor Gewalt in der Arbeitswelt nur in bestimmten Bereichen erfasst. Sofern sich die Gewalthandlung einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit, des Alters, der Religion oder Weltanschauung oder der sexuellen Orientierung zuordnen lässt, fällt sie in den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgesetzes im Bereich der Arbeitswelt. Die hier verankerte Beweislastumkehr erleichtert die Geltendmachung entsprechender Leistungen. Weitaus schwieriger kann es sich gestalten, zivilrechtlich Schadenersatz zu erlangen oder Anzeige zu erstatten, um die strafrechtliche Verfolgung der gewaltausübenden Person zu initiieren. Nicht jeder Übergriff, der als Gewalt wahrgenommen wird, stellt gleichzeitig einen Straftatbestand dar. Oft gestaltet sich die Beweisführung schwierig. Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Erstattung einer Anzeige oder Erhebung einer Klage für viele Betroffene aufgrund von Angst, Scham oder der Befürchtung, die bestehende Situation am Arbeitsplatz dadurch noch weiter zu verschlechtern, nicht durchführbar oder zumutbar ist.
Zentrale Bedeutung betriebsinterner Planung
Dadurch wird klar, welch zentrale Bedeutung der betriebsinternen Planung für den Umgang mit Gewalt zukommt. Primär bietet es sich für jede Art von Betrieb an, eine entsprechende Erstkontaktstelle für die im Betrieb beschäftigten Personen zu implementieren, die einfach und rasch zu erreichen ist und auch die Möglichkeit bietet, die Anonymität der betroffenen Person bis auf Weiteres zu wahren. Dabei kann es sich um eine betriebszugehörige Person handeln, häufig wird es jedoch anbieten, auf eine betriebsfremde Person oder Einrichtung zurückzugreifen. Diese Stelle soll einerseits geeignet sein, das Erlebte in einem neutralen, sicheren Umfeld zu besprechen und zu rekapitulieren, andererseits aber auch Beratung und Information über die mögliche weitere Vorgehensweise bieten.
Liegt ein weiteres Vorgehen im Interesse der betroffenen Person, ist zeitnah die unmittelbar vorgesetzte Person zu informieren. Führungskräfte sind daher mit dem erforderlichen Wissen auszustatten, welches ihnen ermöglicht, in Kooperation mit der betroffenen Person einen klaren Plan für das weitere Vorgehen zu entwerfen. Bei internen Gewaltvorfällen soll dabei allen beteiligten Personen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Sicht der Ereignisse zu schildern. Anschließend kann – den jeweiligen Umständen entsprechend – der Versuch einer Mediation oder Durchführung einer Supervision sinnvoll sein. Sollte dies nicht gewünscht oder nicht zumutbar sein (z. B. bei intensiven körperlichen Übergriffen oder sexueller Gewalt) oder sich als nicht zielführend erweisen, ist es wesentlich, damit nicht die gesamte Maßnahme zu beenden, sondern nach alternativen Möglichkeiten zur Konfliktbereinigung zu suchen. Hierbei kommen vor allem organisatorische Möglichkeiten in Betracht, weitere Kontakte zwischen den beteiligten Personen zu verhindern, wie etwa die Umstrukturierung von Dienstplänen oder Versetzungen. Nach intensiver oder fortgesetzter Gewaltanwendung können auch Entlassungen oder die Androhung einer solchen erforderlich sein. Seitens der vorgesetzten Person ist in jedem Fall nach Beendigung der Maßnahme bei der betroffenen Person rückzufragen und sicherzustellen, dass die Maßnahme auch zielführend war. Kann die Gewalterfahrung nicht endgültig aufgearbeitet und für die Beteiligten abgeschlossen werden, besteht die Gefahr, dass Übergriffe fortgesetzt und im Lauf der Zeit intensiviert werden. Auch kann eine Nichtauflösung des Konflikts bei der Gewalt erlebenden Person einen Zustand andauernder Angst vor Übergriffen verursachen, der sich sogar belastender auswirken kann als tatsächlich erlebte Gewalt.
In Fällen von externen Gewalterfahrungen wird Mediation o. Ä. häufig keine geeignete Maßnahme darstellen. Vielmehr muss überprüft werden, ob und gegebenenfalls wie derartige Situationen in Zukunft mit präventiven Maßnahmen vermieden werden können. Die betroffene Person soll jedenfalls bei der Verarbeitung des Erlebten unterstützt werden. Hierfür kann die Beistellung psychologischer Beratung oder Supervision herangezogen werden. Ebenso können organisatorische Änderungen im Betrieb (z. B.: Änderung der Dienstzeiten, keine Alleinarbeit, Versetzung an anderen Dienstort) in derartigen Situationen hilfreich sein. Es ist klar, dass nicht jede Form von Gewalt in der Arbeitswelt vermeidbar ist. Der Auftrag an Arbeitgebende ist nicht die vollständige Prävention von Gewalt, sondern ein differenzierter und transparenter Umgang damit. Führungskräfte aller betrieblichen Ebenen sind mit dem notwendigen Wissen und Werkzeugen auszustatten, um flexible und klare Maßnahmenpläne für die jeweilige Situation erstellen zu können. Auf diesem Weg kann ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld und damit auch das Wohlbefinden im Betrieb bestmöglich gefördert werden.
Zusammenfassung
Die Autorinnen analysieren die verschiedenen Ausprägungsformen von Gewalt am Arbeitsplatz und zeigen auf, wie man im Betrieb bestmöglich damit umgeht.