AUVA Packen wir’s an!
Steharbeitsplätze im Fokus
Langes Stehen wird oft nicht als Belastung für den Bewegungs- und Stützapparat erkannt. Die AUVA gibt Tipps, wie man Steharbeitsplätze ergonomisch gestalten kann.
Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeit in Körperzwangshaltung oder repetitive Handbewegungen sind bekannte Risiken für die Entstehung von Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE). Dass langes Stehen ebenfalls eine Belastung für den Bewegungs- und Stützapparat darstellen kann, ist den meisten weniger bewusst. Auch die Anzahl der Betroffenen wird häufig unterschätzt. Zirka jeder:jede zweite Beschäftigte muss immer oder oft bei der Arbeit stehen und jeder:jede siebente fühlt sich dadurch belastet, wie eine repräsentative Erhebung aus Deutschland zeigt.
„Aus medizinischer Sicht ist Stehen für die Gesundheit günstiger als Sitzen: Man verbraucht mehr Kalorien, der Muskelapparat ist aktiver als beim Sitzen – und nicht zuletzt kommt man aus einer stehenden Position leichter in Bewegung als aus einer sitzenden“, stellt Dr. Kurt Leodolter, MSc PHM, Facharzt für Arbeitsmedizin in der AUVA-Landesstelle Graz, fest. Erst diese Bewegungsmöglichkeit macht aus einem Steharbeitsplatz einen Arbeitsplatz, der gesundes Arbeiten ermöglicht – ein Anliegen des AUVA-Präventionsschwerpunkts 2021/22 „Packen wir’s an“ zu Muskel-Skelett-Erkrankungen.
Problematisch wird ein Steharbeitsplatz dann, wenn man beim Stehen stundenlang in der gleichen Zwangshaltung verharren muss und wenig Möglichkeiten hat, sich zu bewegen. Oft kommen zur Belastung durch das Stehen weitere Risikofaktoren dazu – etwa, wenn man ständig die gleichen Hand-Arm-Bewegungen wiederholen muss oder ungünstigen Umgebungsbedingungen wie Kälte oder Zugluft ausgesetzt ist. Auch psychische Belastungen wie Stress durch Zeitdruck spielen eine Rolle.
Muskulatur und Wirbelsäule
Bei langem Stehen in Zwangshaltung wird das Muskel-Skelett-System beansprucht. Während beim Gehen und Bewegen die Beuge- und die Streckmuskeln abwechselnd aktiv sind, bleiben beim Stehen in Zwangshaltung große Muskelgruppen andauernd angespannt, um die aufrechte Körperhaltung zu stabilisieren. Das kann zu schmerzhaften Verspannungen und vorzeitiger Ermüdung führen. „Ohne muskuläre Stabilisierung werden Gelenke, Bänder und Sehnen belastet, was sich auch schmerzhaft bemerkbar machen kann“, so Leodolter.
Folgen der übermäßigen Muskelanspannung sind häufig Ermüdung und Schmerzen in Rücken-, Nacken- und Schultermuskulatur. Die fehlende Aktivierung der Muskulatur begünstigt Fehlhaltungen: Die Schultern fallen nach vorn, Rundrücken und Hohlkreuz sind eine mögliche Folge. Formabweichungen der Wirbelsäule, die bei vielen Menschen vorhanden sind, können negativ verstärkt werden. Besonders gefährdet sind Personen, bei denen bereits Erkrankungen der Wirbelsäule vorliegen.
Gelenke und Bänder
Andauernde Stehbelastung führt auch zu Veränderungen der Gelenke und Bänder, erklärt Mag. Michaela Strebl, Fachkundiges Organ Ergonomie in der AUVA-Hauptstelle: „Speziell das Hüftgelenk, die Knie- und die Fußgelenke werden beansprucht. Das Fußgewölbe sinkt ab mit der möglichen Folge eines Senk-, Spreiz- oder Plattfußes. Schlecht trainierte Muskulatur, Übergewicht, Tragen von ungeeignetem Schuhwerk und harte Fußböden können das Problem verstärken.“
Die Schultergelenke werden beim Stehen dann überlastet, wenn die Arbeitsfläche für die eigene Körpergröße zu hoch ist. Eine mögliche Folge ist das Impingement-Syndrom, bei dem beim seitlichen Heben der Arme und insbesondere bei Arbeiten über Kopfhöhe im Schultergelenk Schmerzen auftreten. Ebenfalls typisch ist Nachtschmerz, der bis zum Ellbogen ausstrahlen kann.
Evaluierung von Risiken
Im Rahmen der Arbeitsplatzevaluierung wird überprüft, ob Arbeitnehmer:innen einer Belastung durch langes Stehen ausgesetzt sind. Dieses gilt als Zwangshaltung, wenn der:die Betroffene nicht die Möglichkeit hat, sich zu bewegen, die Arbeitshaltung durch den Arbeitsprozess vorgegeben ist und auch kein Haltungswechsel, etwa durch Sitzen oder Gehen, erfolgt. Wie bei allen statischen Haltungen hängt auch beim Stehen die Wahrscheinlichkeit für Gesundheitsschäden von Häufigkeit und Dauer ab. Durch den Einsatz von Analysetools wie der Leitmerkmalmethode (LMM) „Körperzwangshaltung“ lässt sich das Risiko genau bestimmen.
„Mit der Leitmerkmalmethode können drei Körperbereiche getrennt beurteilt werden: Rücken, Schultern und Oberarme sowie Knie und Beine. Das Risiko einer Gesundheitsgefährdung ist umso größer, je stärker z. B. Oberkörper und Arme von einer natürlichen Körperhaltung abweichen – etwa, wenn man sich aufgrund eines zu weiten Greifraums vorneigen muss“, erklärt Strebl. Die Leitmerkmalmethoden kommen auch beim Präventionsprogramm AUVAfit zum Einsatz; es werden ausgewählte Arbeitsplätze evaluiert und gemeinsam mit dem Unternehmen ergonomische Verbesserungen erarbeitet.
Maßnahmen nach dem STOP-Prinzip
Hat die Evaluierung ein erhöhtes Risiko ergeben, müssen entsprechende Maßnahmen nach dem STOP-Prinzip – Substitution vor technischen bzw. organisatorischen und zuletzt personenbezogenen Maßnahmen – ergriffen werden. Zuerst sollte überprüft werden, ob die jeweilige Tätigkeit tatsächlich nur im Stehen oder zumindest zum Teil im Sitzen ausgeübt werden kann. In der Praxis ist der Ersatz eines Steh- durch einen Sitzarbeitsplatz allerdings nur selten möglich.
Sind mehrere Beschäftigte am selben Steharbeitsplatz tätig, ist idealerweise gewährleistet, dass die Möglichkeit zur Anpassung an alle Nutzer:innen besteht. Im Optimalfall lässt sich die Arbeitsfläche (elektrisch) verstellen. Ist das nicht umsetzbar, kann man eine Tischauflage, eine Schneidbretterhöhung oder ein Podest verwenden. Bei Letzterem sollte darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer erhöhen Unfallgefahr durch Umknicken oder Stolpern kommt.
Informationen, wie Steharbeitsplätze beschaffen sein sollten, finden sich im neuen Merkblatt der AUVA M.plus 021 „Ergonomie – Grundlagen der Arbeitsplatzgestaltung“. Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitsplatz in Bezug auf Körpermaße, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Leistungsvoraussetzungen individuell an die Person angepasst sein sollte, um Gesundheitsschäden zu vermeiden.
Greif-, Bein- und Fußraum
Um ein Vorbeugen oder Rotieren des Oberkörpers zu vermeiden, müssen die benötigten Arbeitsmittel griffbereit sein. „Steharbeit ist häufig mit wiederholt gleichförmiger Belastung der Arme verbunden, z. B. bei Fließbandarbeit. Die Tiefe der Arbeitsfläche sollte für einen optimalen Greifraum nicht zu groß sein, in der Regel maximal 60 cm, unter Berücksichtigung der Körpermaße. Häufig verwendete Arbeitsmittel im direkten Greifraum ermöglichen körpernahes Arbeiten“, erläutert Strebl. Auch die Möglichkeit sich abzustützen, z. B. auf beweglichen Armstützen, bringt eine Erleichterung.
Die Anzahl der Betroffenen wird häufig unterschätzt: Zirka jeder:jede zweite Beschäftigte muss immer oder oft bei der Arbeit stehen und jeder:jede siebente fühlt sich dadurch belastet.
Weniger sichtbar und daher oft vernachlässigt ist der Fuß- und Beinraum. Dieser reicht bei Arbeiten an Maschinen häufig nicht aus, wodurch man mit den Knien anstößt. Der Fußraum sollte mindestens 10 bis 20 cm betragen. Kann man abwechselnd ein Bein hochstellen wie in einer Bar, sorgt das für eine Unterbrechung der statischen Haltung.
Die Verwendung von Stehhilfen ist als kurzzeitige Entlastung der unteren Gliedmaßen geeignet, man erreicht damit aber keineswegs eine Arbeitshaltung, die dem dynamischen Sitzen nahekommt und über längere Zeit hindurch eingenommen werden sollte. Voraussetzung für den Einsatz von Stehhilfen ist ein ausreichend großer Beinraum und eine Arbeitsaufgabe innerhalb der Armreichweite.
Frontale Ausrichtung, dämpfender Boden
Bei der Arbeit sollte der Körper frontal ausgerichtet sein. Um z. B. eine Verdrehung durch den Blick auf einen Monitor, der seitlich positioniert sein muss, zu vermeiden, kann ein zweiter Monitor auf der anderen Seite angebracht werden. Bei einer asymmetrischen Tätigkeit am Fließband schafft die Möglichkeit zum Seitenwechsel einen Ausgleich.
Der Boden an einem Steharbeitsplatz muss besonderen Ansprüchen genügen. Wichtig ist ein elastischer, dämpfender Bodenbelag. Leodolter empfiehlt einen wärmegedämmten, aber nicht zu warmen Boden, da sich durch Wärme die Venen weiten. Diese werden durch langes Stehen ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogen, weil aufgrund der statischen Haltung der Rückfluss des Blutes beeinträchtigt ist; Krampfadern können die Folge sein. Arbeitsplatzmatten sind bei frontaler Tätigkeit geeignet, bei häufigen Drehbewegungen kann jedoch das Kniegelenk belastet werden. Es ist zu evaluieren, ob die Matte ein Hindernis darstellt, z. B. für Transportwagen, oder vermehrt zu Unfällen – etwa durch Stolpern – führt.
Organisatorische Maßnahmen
Mit organisatorischen Maßnahmen lässt sich die Dauer der stehenden Tätigkeit verkürzen bzw. diese unterbrechen. Bei Job Rotation wechseln Beschäftigte zwischen Arbeitsplätzen mit dem gleichen Anforderungsniveau, aber unterschiedlichen Belastungen – also etwa zwischen Sitz- und Steharbeitsplätzen. Job Enlargement bzw. „Arbeitserweiterung“ bedeutet, dass ein:e Mitarbeiter:in mehrere Arbeitsschritte hintereinander ausführt, der Arbeitszyklus dadurch abwechslungsreicher gestaltet wird und idealerweise verschiedene Arbeitshaltungen eingenommen werden.
Eine entsprechende Pausenregelung hilft, die einseitige Belastung durch langes Stehen zu verringern. „Mehrere kurze Pausen sind besser als eine lange. Wenn möglich, sollten die Mitarbeiter:innen die Pausengestaltung mitbestimmen können“, so Strebl. Pausen lassen sich für Ausgleichsübungen oder zur Entspannung, z. B. im Sitzen mit hochgelagerten Beinen, nutzen.
Gute Schuhe
Die wichtigste personenbezogene Maßnahme ist die Wahl hochwertiger, an die Tätigkeit angepasster Schuhe. Sind an einem Arbeitsplatz Sicherheitsschuhe vorgeschrieben, müssen sie von dem:der Arbeitgeber:in zur Verfügung gestellt werden. „Bei Sicherheitsschuhen steht Funktion vor Design, aber heute gibt es auch modische Modelle zur Auswahl“, betont Thomas Schützeneder, Geschäftsführer von Schütze-Schuhe, dem österreichischen Hersteller von Sicherheitsschuhen. Wie Sicherheitsschuhe unterliegen auch Berufsschuhe einer Normierung und weisen gewisse Schutzmerkmale – etwa eine rutschsichere Sohle – auf.
In Berufen, in denen kein Sicherheits- oder Berufsschuh vorgeschrieben ist, sollten die Beschäftigten selbst auf hohe Qualität achten. Schützeneder gibt Tipps: „Der Schuh muss einen guten Halt bieten, auch seitlich, damit man einen sicheren Stand hat. Ein Fußbett mit nach oben gezogenen Seiten im Fersenbereich verteilt das Gewicht von der Mitte nach außen. Die Erhöhung auf der Innenseite, die vom Ballen zur Ferse verläuft, unterstützt das Längsgewölbe. Zu kleine oder spitze Schuhe, die die Zehen zusammendrücken, fördern die Entstehung eines Hallux. Der Absatz sollte maximal 1,5 bis 2 cm hoch sein.“
Benötigt jemand orthopädische Einlagen, müssen diese bei Sicherheits- und Berufsschuhen mit dem Schuh zertifiziert und geprüft sein. Damit sich der Körper nicht statisch auflädt, muss sowohl der Schuh als auch die Einlage eine geringe elektrische Leitfähigkeit aufweisen. Der wichtigste Hinweis für Einlagenträger:innen ist laut Schützeneder, dass eine orthopädische Einlage aus einem schlechten Schuh keinen guten machen kann.
Standing Ovation
Eine besondere personenbezogene Maßnahme sind die Steh- und Bewegungshilfen der Standing Ovation GmbH des Erfinderduos Peter Lammer und Bernhard Tichy. Lammer, von Beruf Koch, konnte nach einem Motorradunfall keine Tätigkeiten im Stehen mehr ausführen. Er wollte an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren und wandte sich an seinen Freund Tichy. Dieser konstruierte einen Prototyp des Hilfsmittels, das Lammer die Berufsausübung wieder ermöglichte. „Im AUVA-Rehabilitationszentrum Häring ist die Konstruktion seit 2018 in der Therapiewerkstatt in Verwendung“, so Leodolter.
Zusammenfassung
Langes Stehen belastet den Bewegungs- und Stützapparat und kann zu Muskel-Skelett-Erkrankungen führen. Wichtige Präventionsmaßnahmen sind Bewegung beim Stehen, die Schaffung eines ausreichenden Greif- sowie Bein- und Fußraums, ein gedämpfter Boden und gute Schuhe. Arbeitsorganisatorisch können Gesundheitsschäden durch den Wechsel zwischen Steh- und Sitzarbeitsplätzen und eine entsprechende Pausengestaltung vermieden werden.