Arbeitspsychologie
Vorstellung eines AUVAfit-Projekts zum Thema Homeoffice
In einem heimischen Callcenter wurden im Rahmen eines AUVAfit-Projekts die Arbeitsplätze der Agents hinsichtlich ihrer Eignung für den Transfer in das Homeoffice analysiert.
Ergebnisse aus der Forschung zeigen: Nicht alle Aufgaben eignen sich dazu, im Homeoffice erledigt zu werden, bei der betrieblichen Kommunikation und Kooperation aus dem Homeoffice heraus ist Vorsicht geboten und Homeoffice ist nur unter bestimmten Voraussetzungen eine sinnvolle Ergänzung.
1. Ausgangslage und Situationsbeschreibung
Beispielsweise ist Homeoffice für Tätigkeiten geeignet, die man alleine ausführen kann und die konzentriertes Arbeiten erfordern. Homeoffice begünstigt jedoch isoliertes Arbeiten, mit der Folge, dass nach 2,5 Tagen die Einsamkeit im Homeoffice zunimmt. Wer vier bis fünf Tage im Homeoffice arbeitet, hat Angst den Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen zu verlieren [1]. Es gibt gewichtige, psychologisch gut belegbare Gründe, einen Anteil an direkter Kommunikation (face to face) beizubehalten [2]. Besonders eignen sich Arbeitsbesprechungen, Schulungen oder Prozesse zur Lösungsfindung für herkömmliche „analoge“ Informationsvermittlung von Angesicht zu Angesicht. Es hat sich gezeigt, dass bei direkter Kommunikation Missverständnisse im Entstehen erkennbar und damit vermeidbar werden. Zudem sind die Lerneffekte beim Vorzeigen oder Beobachten von Handlungen vor Ort größer für beide Seiten als bei digitaler Kommunikation und Kooperation [3]. Forschungsergebnisse zeigen auch, dass Homeoffice – vorausgesetzt, die technische Ausstattung und die räumlichen Voraussetzungen sind optimal – nur dann eine sinnvolle Ergänzung ist, wenn sie freiwillig erfolgt, von der Mitarbeiterin bzw. dem Mitarbeiter gewählt wird und im Team mit den Anforderungen abgesprochen ist [1]. Homeoffice beeinflusst die Work-Life-Balance auch nur dann positiv, wenn es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Autonomie gibt, ihre Arbeitszeit nach ihren Bedürfnissen und Vorlieben zu gestalten. Die Praxis zeigt, dass ein Großteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich vorstellen kann, zumindest zwei Tage in der Woche im Homeoffice zu arbeiten. Das bestätigte auch die Umfrage im dargestellten AUVAfit-Projekt. Im vorliegenden Artikel werden die Erfahrungen aus einem AUVAfit-Projekt zum Thema Homeoffice zusammengefasst und diskutiert [4,5]. Das Projekt wurde in einem Callcenter durchgeführt, in dem die Arbeitsplätze der Agents hinsichtlich ihrer Eignung für den Transfer in das Homeoffice analysiert wurden.
2. Auswahl der Arbeitsplätze und der eingesetzten Verfahren
Die Aufgaben der Agents reichen von einfachen Vermittlungsanfragen bis zu komplexen Second-Level-Anfragen. Jeder Agent im Callcenter betreut minimal vier bis maximal zwanzig unterschiedliche Auftraggeber. Die Steuerungsgruppe identifizierte drei Gruppen von Agents, die jeweils die gleichen Auftraggeber mit jeweils ähnlichen Aufgaben betreuen. Diese drei prototypischen Arbeitsplätze wurden einer Auftragsanalyse unterzogen. Mit dem objektiv bedingungsbezogenen Verfahren „Tätigkeitsbewertungssystem TBS-GA-L“ liegt ein geeignetes, qualitätsgesichertes Instrument zur Feststellung der Eignung der Aufgaben für Homeoffice vor [6,7].
3. Ergebnisdarstellung und AUVAfit-Empfehlungen
Zum Ableiten von Maßnahmen für die Bestgestaltung von Arbeit stehen im TBS-GA-L Mindestprofile und definierte Mindestanforderungen zur Verfügung, die eine Klassifikation von Aufgaben hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Menschen zulassen. Beispielsweise wurden in der Forschung bestimmte Merkmalskombinationen identifiziert, die gültige (valide) Vorhersagen für Fehlbeanspruchung (vgl. Tab. 1) bzw. deren kurz- und langfristige Folgen nach der ISO 10075-1 erlauben [8]. In der Tabelle 1 findet sich ein Auszug jener Ergebnisse der Auftragsanalyse, die in ihrer Auswirkung auf den Menschen eine kritische Ausprägung annahmen und Handlungsbedarf anzeigten.
Aus dem Optimierungspotential (vgl. Tab. 1) ergaben sich die im folgenden genannten Empfehlungen.
Ad 1. Fehlbeanspruchung
Eine beanspruchungsoptimale Aufgabenverteilung ist eine wichtige Voraussetzung für das Arbeiten im Homeoffice. Es wurde eine ermüdungsfreiere Aufgabenverteilung nach den Gestaltungsgrundsätzen der Norm EN ISO 10075-2 empfohlen [9]. Das Bildschirmsystem ist Hauptarbeitsmittel. Rückenschmerzen und allgemeine Gesundheitsbeschwerden sind daher aufgrund der mangelnden körperlichen Abwechslung in allen drei Gruppen zu erwarten. Es wurde empfohlen, die AUVA-Angebote anlässlich des Präventionsschwerpunkts wahrzunehmen. 2021/2022 setzt die AUVA im Rahmen des Präventionsschwerpunkts zahlreiche Aktivitäten im Bereich MSE [10].
Ad 2. Mentale Anforderungen
Aus den unterschiedlichen Aufgaben und ihren Tätigkeiten ergeben sich unterschiedlich hohe Arbeitsanforderungen. Diese reichen von Tätigkeiten, die automatisiert erfolgen und keine Aufmerksamkeit benötigen (z. B. Vermittlung, Routineauskunft, Backoffice) über Tätigkeiten, die Konzentration erfordern, aber nach Regeln abzuarbeiten sind (Störungsanfragen, Rechnungskorrekturen), bis zu hoch komplexen Anfragen, die Konzentration und spezifisches Know-how erfordern, wie z. B. bestimmte Second-Level-Anfragen. Ein optimales Verhältnis zwischen diesen drei Anforderungsgruppen beträgt laut Forschungsergebnissen jeweils mindestens 20 % des Tagespensums (TBS-GA-L, Skala D 1.2.) [7]
Ad 3. Arbeits- und Funktionsteilung
Die Einführung von Homeoffice verändert die Ebenen „Arbeitsorganisation“ und die „Schnittstelle Mensch-Technik“. Ausschlaggebende Merkmale bei der Bewertung der beiden Ebenen sind Durchschaubarkeit, Vorhersehbarkeit und Beeinflussbarkeit. Sie zählen zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Die Ergebnisse der Auftragsanalyse zeigten bei einigen Merkmalen eine für den Transfer ins Homeoffice ungünstige Ausgangslage, insbesondere in Bezug auf den Merkmalsbereich B „Kommunikation und Kooperation“.
Kooperation und Informationsaustausch im Homeoffice
Der Merkmalsbereich B wurde deshalb in Bezug auf die Auswirkungen auf die Tätigkeit im Homeoffice betrachtet. Die Bewertung der Arbeitsmerkmale hat ergeben, dass einige Skalen im Homeoffice jeweils um ein bis zwei Stufen niedriger zu bewerten sind und damit ein noch kritischeres Ausmaß annehmen (siehe Tab. 2). Arbeitsbedingte Kooperation wird durch räumlich-organisatorische Bedingungen im Homeoffice erschwert, es begünstigt isolierte Einzelarbeit (TBS-GA-L, Skala B 1.4.). Kooperation ist durch die Arbeit im Raumverband (im Büro) leichter möglich (TBS-GA-L, Skala B 2). Auch über andere Dinge als den eigenen Arbeitsauftrag reden zu können, ist wiederum für den Zusammenhalt wichtig (TBS-GA-L, Skala B 4.2.). Im Homeoffice nimmt der Anteil der direkten Kommunikation ab und der Anteil der indirekten Kommunikation durch Verwendung von Microsoft Teams und Chat zu, was sich in einer niedrigeren Bewertung auswirkt (TBS-GA-L, Skala B 6.2.). Den Gesprächspartner zu sehen und zu hören (Mimik, Gestik, Sprach-Melodie, Gesichtsausdruck …) ist immer am wirksamsten für die Informationsübermittlung und schafft Vertrauen (vgl. Kap. 1).
Andererseits hat sich auch gezeigt, dass die Nutzung von Microsoft Teams es ermöglicht, Informationen mit Kolleginnen und Kollegen der ganzen Gruppe (Art des Informationsaustausches, B 6.2.) anstelle nur einer ausgewählten Kollegin oder einem ausgewählten Kollegen im Büro auszutauschen. Regelmäßiger Erfahrungsaustausch ist wichtig und notwendig für die Wissensweiter-entwicklung als wertvolles Gut des Betriebes (siehe Abb. 1). Damit der berufliche Erfahrungsaustausch im Homeoffice nicht „auf der Strecke“ bleibt, wurde empfohlen, sich diesem Thema ausführlicher zu widmen. Regelmäßig in den Arbeitsalltag eingebaut, erfüllt es den Zweck von Kurzbesprechungen.
Beispiel: E-Learning-Software eines dänischen Einzelhandelsunternehmens:
„Projektleiter senden Aufgaben (…) zu Schulungszwecken an die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter senden ihre Antworten über die Anwendung zurück, und ein anschließender Dialog kann entstehen. Diese Übungen werden als Teil der Arbeitszeit betrachtet, und die App wird häufig genutzt, nicht nur für Schulungen, sondern auch für die Kommunikation im Team oder um Supportanfragen zu stellen. Das Tool wird als eine gute Möglichkeit angesehen, Unterstützung zu leisten und Wissen zu teilen“ (Übersetzt mit DeepL; Seite 39). [11] Die Ergebnisse aus der objektiven Analyse konnten in den Workshops (siehe Kap. 4) aus dem Erleben der Agents subjektiv bestätigt werden [13].
4. Beschreibung der AUVAfit-Intervention
Als Workshop-Thema für die AUVAfit-Intervention im Callcenter wurde vorgeschlagen, bei der Optimierung der Auftragsverteilung im Sinne der AUVAfit-Empfehlungen zu unterstützen. Die Beteiligung der Agents war dabei entscheidend. Dazu sammelten sie im Mitarbeiter/innen-Workshop (MA-WS) zunächst Beispiele, was eine Aufgabe oder einen Arbeitstag besonders anstrengend macht, oder eben nicht. Aus diesen Beispielen wurden dann folgende sieben Kriterien abgeleitet, die im Schulnotensystem (1–5) bewertet werden können (siehe Tab. 3). Zur Überprüfung der Gebrauchstauglichkeit der Kriterien wurden exemplarisch sowohl im MA-WS als auch im Führungskräfte-(FK)-WS jeweils zwei Auftraggeber nach diesen Kriterien bewertet, was leicht gelang. Somit steht ein praktikables Verfahren zur Verfügung, um bei künftigen Aufträgen die Arbeitslast gleichmäßig auf die Agents zu verteilen.
5. Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
Die Erfahrungen aus einem AUVAfit-Projekt in einem Callcenter haben gezeigt, dass es wichtige Voraussetzungen für ein reibungsloses Arbeiten im Homeoffice gibt.
Homeoffice beeinflusst die Work-Life-Balance nur dann positiv, wenn es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Autonomie gibt, ihre Arbeitszeit nach ihren Bedürfnissen und Vorlieben zu gestalten.
1. Gut gestaltete Aufgaben
Für den Transfer von beruflichen Aufgaben in das Homeoffice ist entscheidend, dass es gut gestaltete Aufgaben im Sinne der ISO 6385 sind. „Diese Standards formulieren gesicherte Gestaltungsziele und entlasten die Arbeitspsychologie von dem neuerlichen Nachweis, dass im Sinne der ISO 6385 gut gestaltete Tätigkeiten tatsächlich niedriges Beschwerdeniveau und größere Arbeitszufriedenheit aufweisen.“ [2]. Das AUVAfit-Projekt hat gezeigt, dass die Arbeit im Homeoffice unter Umständen eine Arbeitsneugestaltung notwendig macht, um einer kritischen Ausprägung von Arbeitsmerkmalen vorzubeugen.
2. Durchdachte Medienwahl
Die Möglichkeit der Medienwahl sollte für das Homeoffice bewusst genutzt und bezogen auf eine menschengerechte Arbeitsgestaltung überdacht werden. Bei geeigneter Medienwahl können sich durch digitale Arbeitsmittel neue Möglichkeiten eröffnen und Informations- und Kommunikationsverlust verhindert werden. Nicht jede Information muss schriftlich ausgetauscht werden, weil digitale Arbeitsmittel verfügbar sind. Wie das AUVAfit-Projekt bestätigt hat, gibt es triftige, psychologisch gut belegbare Gründe, einen Anteil an direkter Kommunikation zu erhalten bzw. beizubehalten (TBS-GA-L, B 1.1, B 1.2, B 6.2, B 1.4.) [7].
3. Bewertung von HO-geeigneten Aufgaben
Das AUVAfit-Projekt hat gezeigt, dass es möglich ist, gebrauchstaugliche objektive Kriterien zur Bestverteilung der Arbeitsaufträge nach mehreren Aspekten (vgl. Kap. 3) zu entwickeln. In Tabelle 4 wurde eine Einschätzung von Homeoffice-geeigneten und Homeoffice-ungeeigneten Aufträgen (vgl. Kap. 1) anhand der Kriterien vorgenommen und Unterschiede exemplarisch gegenübergestellt. Im AUVAfit-Projekt konnten weitere wichtige Voraussetzungen für Homeoffice aufgezeigt werden und für den Betrieb eine praxisnahe Lösung zur Bewertung von Arbeitsaufträgen entwickelt werden.
LITERATURVERZEICHNIS
- [1] Boch, D. (2021). Flexible Arbeitswelten. Arbeiten in Zeiten der Pandemie – Zwischen Coworking und Homeoffice. Mensch – Technik – Organisation, Band 52. vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.
- [2] Hacker, W. (2018). Menschengerechtes Arbeiten in der digitalisierten Welt. Eine wissenschaftliche Handreichung. Mit einem Vorwort von Eberhard Ulich. vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.
- [3] Hacker, W. (2020). Arbeitsgestaltung als Informationsmanagement. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft. Vol. 74, Nr. 4, 306–312: Springer Verlag.
- [4] Rothmeier-Kubinecz, S. (2013). AUVAfit: Präventionsprojekt zur Verbesserung der Arbeitsqualität. Sichere Arbeit, Heft 6. Wien; S. 28–35. Wien: Medieninhaber AUVA
- [5] Rothmeier-Kubinecz, S. (2015). QUALITÄT DER ARBEITSPLÄTZE. AUVAfit zeigt erfreuliche Ergebnisse; Sichere Arbeit. Heft 4. S. 32–41. Wien: Medieninhaber AUVA
- [6] ÖNORM EN ISO 10075-3 (Ausgabe: 2004-11-01). Download 15.6.2021: https://www.aowpsychologie.com/.c_OeNORM_EN_ISO_100753.1001,140-----------,,2.html
- [7] Hacker, W., Rudolph, E. & Schönfelder, E. (2017). Tätigkeitsbewertungssystem – Geistige Arbeit (TBS-GA-L). Mattersburg: PT Verlag.
- [8] ÖNORM EN ISO 10075-1 (Ausgabe: 2018-01-01). Download: 15.6.2021: https://www.aowpsychologie.com/.a_OeNORM_EN_ISO_100751.1001,101-----------,,2.html
- [9] ÖNORM EN ISO 10075-2 (Ausgabe: 2000-06-01), Download: 15.6.2021: https://www.aowpsychologie.com/.b_OeNORM_EN_ISO_100752.1001,102-----------,,2.html
- [10] AUVA-Präventionsschwerpunkt: Packen wir’s an! – Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE). Download: 15.6.2021: https://www.auva.at/cdscontent/?contentid=10007.860817&portal=auvaportal
- [11] Eurofound (2020). Telework and ICT-based mobile work: Flexible working in the digital age, New forms of employment series, Publications Office of the European Union, Luxembourg.
- [12] Iafob: Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung GmbH; iafob Download 24.2.2021: http://flexible-office-netzwerk.net/downloads/161103_iafob_fon-Flyer.pdf
- [13] Weger, G., Aleksandrova, P. (2021). Bericht über die AUVAfit-Interventionen.
Zusammenfassung
Die Autorin fasst die Erfahrungen und Ergebnisse eines AUVAfit-Projekts zusammen, bei dem es um Möglichkeiten der Einführung von Homeoffice für Callcenter-Agents ging.