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Neue Technologien

Virtual Reality in der Ergonomie

Nutzung von Virtual Reality (VR) für die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie für Beratung und Training von Arbeitsabläufen. Das sind grob umrissen die Inhalte des Projekts VeRgonomiX, das von den Instituten für Creative Media Technologies und Health Sciences der FH St. Pölten gemeinsam mit dem Kooperationspartner AUVA durchgeführt wird.

R. Reichhart

Spätestens seit Ende der 1980er-Jahre hat sich VR als Begriff für eine durch spezielle Hard- und Software erzeugte künstliche Wirklichkeit etabliert. So mancher mag bei VR an Science-Fiction-Filme und die Spieleindustrie denken – was keineswegs überraschend ist, hat doch gerade Letztgenannte in diesem Bereich eine wichtige Rolle eingenommen. Freilich ist VR längst keine Science-Fiction mehr. Sie hat sich vom Spiel- und Freizeitbereich längst auf andere Bereiche ausgedehnt. Ein Beispiel ist die Medizin, wo die Einsatzmöglichkeiten vielfach und teils auch schon länger erprobt sind und laufend zunehmen. Doch speziell in der Arbeitswelt kann man längst in die „künstliche Wirklichkeit“ eintauchen. 

Gerade im Bereich Arbeitnehmerschutz sind die Vorteile des virtuellen Trainings nicht von der Hand zu weisen, handelt es sich doch in vielerlei Hinsicht um vergleichsweise kostengünstige Möglichkeiten, die noch dazu mit relativ geringer realer Gefahr für die Testpersonen umzusetzen sind. Das Einsatzpotenzial von Virtual Reality ist enorm und die Möglichkeiten sind kaum abzuschätzen. Doch schon jetzt sind allein im Bereich Arbeitssicherheit sowie in den Bereichen Ergonomie und Arbeitsplatzgestaltung vielfältige Einsatzmöglichkeiten zur Genüge vorhanden.

Auf dem Bildschirm

Zurück zum eingangs erwähnten Projekt VeRgonomiX, das im Herbst 2020 startete und im Frühjahr 2021 abgeschlossen wurde (das Folgeprojekt „VeRgonomiX II“ ist aktuell in Planung). Hier wurden auf Initiative des Autors drei Trainingsräume entwickelt mit dem Ziel, möglichst viele Berufsgruppen anzusprechen und Trainings in virtuellen Räumen durchzuführen. In einer virtuellen Lagerhalle soll richtiges Heben trainiert werden, in einer Fabrik anhand einer Bohrmaschine die Einstellung optimaler Arbeitshöhen und Greifräume geschult werden, und hinter der Aufgabe, über ein virtuelles Gerüst mit Hindernissen zu steigen, stand die Idee der Prävention von Sturz und Fall. 

Bei den Anwendungen werden Benutzer durch einen Testleiter zu verschiedensten Arbeitsprozessen im virtuellen Raum angeleitet. Im Nachhinein können dann Arbeitsvorgänge und -Abläufe analysiert werden. Für die Testleitung (Operator) besteht die Möglichkeit, die einzelnen Trainingsräume per Mausklick zu starten, zu wiederholen und zu beenden. Audio-Anweisungen gewährleisten die Verständlichkeit bei den testenden Personen. Eine VR-Brille dient dazu, sich im Raum zu orientieren, verschiedene Objekte wahrzunehmen und Arbeitsschritte visuell zu erkennen. Durch die Integration sogenannter „vive tracker“ werden die Hände in der VR als virtuelle Modelle angezeigt und Bewegungen in der realen Welt auf diese übertragen. Eine speziell von der FH St. Pölten unter den Projektleitern FH-Prof. Dipl.-Sporting. Dr. Mario Heller und FH-Prof. Dr. Brian Horsak entwickelte Software namens „Sensor Tracking Hub“ ermöglicht es, unterschiedlichste sensorische Trackingsysteme über eine einheitliche technische Basis einzubinden. Die virtuellen Abbildungen folgen durch Motiontracking den Bewegungen, die entsprechenden Tracker sind an den Handrücken angebracht. Körperpositionen werden mithilfe von Captiv-Sensoren dargestellt, mit denen die Testpersonen bestückt sind. Captiv-Motion-Sensoren sind Beschleunigungssensoren, die die Bewegung im dreidimensionalen Raum erfassen.

Operatoren können die Körperpositionen auf dem Bildschirm verfolgen. VeRgonomiX verfügt zusätzlich über ein modernes Tutorial-Hilfesystem, das mittels kurzen Texteinblendungen genauestens über die einzelnen Schritte informiert. Zusätzlich werden Anleitungen in detaillierterer Form über eine computergenerierte Stimme wiedergegeben. Die virtuellen Anwendungen und Übungsschritte sollen dabei helfen, Arbeitsplätze genauer auf die Bedürfnisse der einzelnen Personengruppen abzustimmen, gleichzeitig sollen körperliche Beschwerden im Arbeitsumfeld besser verstanden und analysiert werden. 

Im Trainingsraum 1 wird die Anwendung von einem Bohrer auf verschiedenen Arbeitshöhen getestet. Entsprechend der individuellen Körpergröße der Testperson kann die Testleitung die Arbeitshöhe frei wählen. Die Testperson bekommt sowohl eine sichtbare als auch eine hörbare Anleitung für den Arbeitsschritt. Im Trainingsraum 2 geht es darum, insgesamt drei Kisten aus einem Regal händisch auf einen Rollwagen zu schlichten. Auch hier bekommt die Testperson sowohl eine sichtbare als auch eine hörbare Anleitung für den Arbeitsschritt. Besonders interessant ist Trainingsraum 3, wo das Gleichgewicht und die Koordination der Testperson geschult werden sollen. Diese begibt sich dafür auf einen vorgegebenen Weg und bewegt sich über Gegenstände auf einem virtuellen Gerüst. Die Testleitung kann mittels des Bedienfeldes entscheiden, wie breit der vorgegebene Gehweg auf dem Gerüst ist und in welcher Höhe der Gehweg dargestellt wird. Diese Einstellung kann mit der Testperson vorher abgesprochen werden, um etwaige Probleme zum Beispiel bei Höhenangst zu vermeiden. Die Testperson soll nicht vom vorgegebenen Gehweg abweichen und falls Hindernisse auf dem Gehweg erscheinen, sollen diese überwunden werden. Sobald die Testperson zu nahe an den Rand des Gehwegs kommt, wird das virtuelle Bild „verschleiert“ dargestellt, um so ein Warnsignal zu übermitteln.

Screenshot eines virtuellen Lagers
Um einen Menschen möglichst glaubhaft in die virtuelle Umgebung zu versetzen, müssen die Sinneswahrnehmungen glaubwürdigen Reizen ausgesetzt werden.
Screenshot mit virtueller Ständerbohrmaschine
In einer virtuellen Fabrik kann anhand einer Bohrmaschine die Einstellung optimaler Arbeitshöhen und Greifräume geschult werden.

Optimierung der Abläufe

Mithilfe der erwähnten Software können Bewegungsabläufe in einem speziellen Arbeitskontext dargestellt und in Bezug auf ergonomische Aspekte analysiert und evaluiert werden. Auf Basis dieser Daten können die Abläufe optimiert, mögliche Überlastungserscheinungen erkannt und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden. Das Analysetool kann für unterschiedliche Personen und Fragestellungen verwendet werden. Im Folgenden drei konkrete Beispiele dafür:

  • Beispiel 1 – Trainingsraum 2 – Lagerschlichtung: Herr W., 43 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder (3-jährige Tochter, 5-jähriger Sohn), kein Sport in der Freizeit, seit sechs Jahren im Unternehmen mit umfassender Lagererfahrung; Er hatte vor einem halben Jahr einen Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule und soll nach mehrmonatigem Krankenstand seine Tätigkeit im Lager wieder aufnehmen.
  • Beispiel 2 – Trainingsraum 1 – Montageprozess: Frau K., 55 Jahre alt, geschieden, ein Kind (erwachsener Sohn), regelmäßig Spazieren und Yoga, seit 15 Jahren im Unternehmen; seit drei Jahren bestehen Schmerzen im Kniegelenk, die besonders beim Aufstehen und Bücken auftreten; Auf Anraten ihrer Physiotherapeutin soll Frau K. ihren Arbeitsplatz oder die durchzuführenden Tätigkeiten so gelenkschonend wie möglich gestalten.
  • Beispiel 3 – Trainingsraum 2 – repetitive Greif-, Sortier- und Einlagerungsakte. Herr Z., 28 Jahre alt, ledig, keine Kinder, regelmäßig Fitnesstraining und Mountainbiken, seit vier Monaten im Unternehmen; Aufgrund eines Arbeitsunfalls vor einem Jahr ist die Belastbarkeit der rechten Schulter eingeschränkt, dies spürt Herr Z. vor allem beim ruckartigen Heben von schweren Gegenständen und Überkopfarbeit.

Das Ziel ist, den in diesen Beispielen genannten Problemstellungen mithilfe von VeRgonomiX zu begegnen und einen auf die jeweilige individuelle Situation abgestimmten Bewegungsablauf zu fördern.

Technische Voraussetzungen

Um einen Menschen möglichst glaubhaft in die virtuelle Umgebung zu versetzen, müssen die Sinneswahrnehmungen glaubwürdigen Reizen ausgesetzt werden. Bei den VR-Brillen kommen dabei hochauflösende Displays mit speziellem Linsensystem zum Einsatz. Ähnlich wie in der realen Welt muss die computergenerierte Umgebung entsprechend der Blickrichtung des Kopfes dargestellt werden. In der VR-Brille sind daher Lagesensoren verbaut, welche die Winkel der Kopfausrichtung bis zu 1.000 Mal in der Sekunde messen. Zusätzlich werden bei vielen VR-Systemen noch externe Sensoren wie Infrarot-Kameras oder Laser-Tracker zur Messung der absoluten Position des HMDs im Raum eingesetzt. Mit sogenannten Sensor-Fusion-Algorithmen können beide Datenquellen zu einer millimetergenauen Bestimmung der Position und Orientierung des Kopfes oder der Handcontroller im Raum verwendet werden. Wichtig ist, dass diese Berechnungen sehr schnell (im Bereich von wenigen Millisekunden) geschehen, damit anschließend die neuen, passenden Bilder für die Displays berechnet werden können. 

Gerade im Bereich Arbeitnehmerschutz sind die Vorteile des virtuellen Trainings nicht von der Hand zu weisen, handelt es sich doch um vergleichsweise kostengünstige Möglichkeiten, die noch dazu mit relativ geringer realer Gefahr für die Testpersonen umzusetzen sind.

Norbert Lechner

Zur Interaktion mit Elementen der virtuellen Welt werden angepasste Handcontroller verwendet, die mit einer Reihe von Interaktionselementen wie Druckknöpfen, kapazitiven Touch-Feldern und auch Joysticks vielfältige Handgesten wie Zeigen, Greifen und Auswählen imitieren lassen. Natürlich kann die enorme Vielseitigkeit der menschlichen Hand in der virtuellen Welt noch nicht vollständig nachgebildet werden, dennoch können glaubhafte Interaktionen simuliert werden. Ein Problem stellt aktuell noch die Übertragung der Trägheit von virtuellen Objekten bei der Interaktion dar. Kraftanstrengungen beim Heben vom Objekten zu simulieren, ist aktuell noch Gegenstand der Forschung und nur mit Spezialsystemen möglich, die in einem Folgeprojekt behandelt werden. Hier soll es darum gehen, auch reale Gegenstände zu definieren und in der virtuellen Umgebung sichtbar zu machen, sowie reale Räume mittels 3-D-Scanner zu scannen und in der VR darzustellen. Dies wird in der Ergonomieberatung viele neue Möglichkeiten schaffen.

Zu berücksichtigen ist, dass die Bewegungsfreiheit im virtuellen Raum potenziell unbegrenzt ist. Um der Realität bezüglich des Platzes möglichst nahe zu kommen, muss entsprechend Platz geschaffen werden, damit keine Verletzungen durch Kollisionen mit Hindernissen verursacht werden.

Ein Mann im Sportdress mit zahlreichen Sensoren führt Bewegungen aus
Bewegungstraining im virtuellen Raum N. Lechner

Fachgruppe Ergonomie

In der AUVA ist naturgemäß die Fachgruppe Ergonomie der Hauptstelle mit den hier aufgeworfenen Fragestellungen beschäftigt. Das in dieser Gruppe eingesetzte System „Captiv Motion“ bietet die Synchronisation von Video- und Bewegungsanalyse, Eyetracking und Virtual-Reality-Anwendungen: drei unterschiedlichen Technologien, die miteinander kompatibel sind und gemeinsam eingesetzt werden können. 

Mithilfe einer Vielzahl von körpergetragenen und kabellosen Sensoren werden mit dem Captiv-System physiologische Parameter erfasst, mit Videos synchronisiert und in der Software interpretiert. Daraus können sowohl die unterschiedlichen Gelenkwinkel- und Körperhaltungsbestimmungen als auch durch weitere Sensorik zum Beispiel Belastungen des Herz-Kreislauf-Systems abgeleitet werden. In der Folge können geeignete Maßnahmen auf technischer, organisatorischer und persönlicher Ebene erarbeitet und Belastungen am bestehenden Arbeitsplatz reduziert werden. Nicht zuletzt wird die Planung neuer Arbeitsplätze erleichtert.

Durch die stetige Weiterentwicklung bestehender Technologien nehmen die Einsatzmöglichkeiten von VR-Applikationen jedenfalls zu und eröffnen neue Möglichkeiten.

Zusammenfassung

Mithilfe wirklichkeitsnaher Virtual Reality (VR) ist es heute möglich, Arbeitsplätze nach ergonomischen Grundsätzen zu gestalten und Arbeitsabläufe gefahrlos zu trainieren. Dies wurde in einem Projekt der FH St. Pölten in Zusammenarbeit mit der AUVA unter Beweis gestellt. 


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