Chemie
Terrorbekämpfung mittels Sicherheitsdatenblatt
Die neue (direkt wirkende!) EU-Verordnung (Gültigkeit wesentlicher Elemente ab 1. Februar 2021) zur Regelung der Beschränkung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe stellt auch einige gewerbliche Verwender vor neue Herausforderungen.
Die EU-Verordnung Nr. 2019/1148 vom 20. Juni 2019 über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 gilt bereits seit 31. Juli 2019. Konkrete Bestimmungen gelten aber erst seit 1. Februar 2021.
Die gute Nachricht vorweg: Die Verordnung ist grundsätzlich nicht zur Anwendung bei gewerblichen Verwendern gedacht! Trotzdem bietet diese neue, ab Februar 2021 bereits direkt anzuwendende EU-Verordnung auch für den einen oder anderen gewerblichen Verwender eine Reihe von Herausforderungen – je nachdem, wie weit er auch mit den zumeist nicht-gewerblichen Endkunden in Geschäftsbeziehung steht. Auch diese Frage ist oft nicht ganz einfach zu klären: Wo fängt gewerbliche Tätigkeit an, wo hört sie auf?
Das Kind mit dem Bade ausgeschüttet?
Wirklich spannend ist jedoch die Frage, ob alle Personen, die davon im privaten Bereich betroffen sind, dies auch wirklich so mitbekommen, wie es der EU-Gesetzgeber für sinnvoll erachtet hat, und ob die diesbezüglichen Informationsketten und -lücken über den Produktenhandel auch geschlossen werden können.
Das ursprüngliche Ziel der Verordnung, den Erwerb und vor allem die Herstellung von Sprengstoffen und Sprengmitteln für den kriminellen Einsatz möglichst zu erschweren bzw. zu verunmöglichen, mag ja ein lobenswertes gewesen sein. Ob man aber hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat, möge die geneigte Leserin bzw. der geneigte Leser selber beurteilen!
Fakten und Definitionen
Fakt ist jedenfalls, dass man versucht hat, hier einen Art „Waffenschein“ für bestimmte, einschlägig auch für deren Wirksamkeitspotenzial bekannte Chemikalien zu schaffen. Übersehen hat man im Eifer jedoch, dass genau diese Chemikalien auch – bei entsprechender Handhabung – eine Reihe von völlig harmlosen und ungefährlichen Einsatzgebieten und Anwendungsbereichen haben, wo sie aber genau in den Konzentrationen zur Anwendung kommen, die im Fokus dieser quasi „Anti-Terror-Verordnung“ stehen.
Bezüglich der Definitionen ist vor allem die konzentrationsabhängige Unterscheidung zwischen beschränkten und regulierten Ausgangsstoffen wichtig. Während der private (!) Erwerb von regulierten Stoffen bis zur jeweiligen Konzentrationsgrenze noch weitgehend problemlos möglich ist, muss bis zur Beschränkungs(konzentrations-)grenze dieser Stoffe – erraten! – ein Antrag bei der Bezirksverwaltungsbehörde eingebracht werden.
Man könnte somit den REACH-Grundsatz: “no data – no market” abgewandelt auf diese Verordnung wie folgt formulieren: “no paper – no substance”!
Was hier vielleicht noch harmlos klingt und sich eher nur nach Papierkrieg anhört, vielleicht sogar mit der landesüblichen behördlichen, stoischen Gemütsruhe akzeptiert wird, bekommt bei der Anwendung und dem Erwerb von z. B. gewerblichem Rasendünger für den Fußballrasen des Sportvereins oder beim Erwerb von 1 Liter Aceton zum Streichen des Gartenzauns plötzlich einen unlustig-skurrilen Charakter. Wer in diesen Personenkreisen schon immer die potenziell Terrorverdächtigen ausgemacht hat, wird auch von der Zielsicherheit dieser Verordnung überzeugt sein.
Um da auch noch ein Schäuferl nachzulegen: Die Jägerschaft generell gilt als gewerblicher Verwender und ist damit beim Erwerb von z. B. 25%-iger Wasserstoffperoxidlösung zum Trophäenbleichen ausgenommen. Logischerweise gilt aber der gewerbliche Status auch für alle anderen zum gewerblichen Erwerb legitimierten Chemikalien: im wahrsten Sinne des Wortes treffsicher! Landwirtschaftliche Unternehmen gelten laut Artikel III als gewerbliche Unternehmen im Sinne dieser Verordnung.
Folgende Regelungselemente gilt es zu beachten:
- Beschränkung bzw. komplettes Verbot für Private
- Meldung/Meldepflicht „verdächtiger“ Transaktionen
- Überprüfung beim Verkauf
- Unterrichtung und Unterweisung innerhalb der Lieferkette
- Antragstellung und Genehmigungen für bestimmte Stoffe/Gemische ab bestimmten Konzentrationen
- Regelungen für Online-Marktplätze
Für den privaten Antragsteller gilt weiters:
- Unbescholtenheit (Nachweis über Strafregisterauszug)
- Nachweis der korrekten Lagerung!
Bei den Strafbestimmungen des Chemikaliengesetzes eröffnet die Anwendung dieser Verordnung auch die entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch. Somit gilt es, sich über die geltenden Bestimmungen/Konzentrationsgrenzen genau zu informieren:
- Gelten für den benötigten chemischen Stoff überhaupt Anhang I und II dieser Verordnung?
- Besteht für diesen Stoff im Erwerb für den nicht-gewerblichen (!) Verwender ein Totalverbot?
- Liegt die Konzentration unterhalb der Konzentrationsgrenze laut Anhang I (regulierter Stoff)?
- Kann ich mittels Antrag an die Bezirksverwaltungsbehörde bis zur nächsten Obergrenze (beschränkter Stoff) den Stoff trotzdem legal erwerben?
Dies betrifft die im Anhang I taxativ gelisteten Stoffe in den folgenden Konzentrationsgrenzen – das bedeutet, dass der Erwerb über diesen Konzentrationsgrenzen verboten oder innerhalb gewisser Konzentrationsgrenzen nur über Antrag möglich ist:
- Salpetersäure > 3 Gew.-%
- Wasserstoffperoxid > 12 Gew.-%
- Schwefelsäure > 15 Gew.-%
- Nitromethan > 16 Gew.-%
- Ammoniumnitrat mit einem Stickstoffgehalt im Verhältnis zum Ammoniumnitrat > 16 Gew.-%
- Kaliumchlorat > 40 Gew.-%
- Kaliumperchlorat > 40 Gew.-%
- Natriumchlorat > 40 Gew.-%
- Natriumperchlorat > 40 Gew.-%
- Chlorate und Perchlorate werden in Gemischen addiert.
In einem weiteren Schritt sind (Ausnahme-)Genehmigungen (= beschränkte Stoffe) für z. B. folgende Stoffe (nur exemplarischer Auszug!) möglich:
Salpetersäure 3 bis 10 Gew.-%
Wasserstoffperoxid 12 bis 35 Gew.-%
Schwefelsäure 15 bis 40 Gew.-%
Nitromethan 16 bis 100 Gew.-%
Wer muss jetzt was tun?
Nach Klärung, ob die Verordnung für den jeweiligen Stoff zutrifft, wobei hier logischerweise Händler, Wirtschaftskammer und Experten gefordert sind, gilt es die Begrifflichkeiten der Beteiligten zu klären:
- MdA = Mitglieder der Allgemeinheit: Private, Vereine, juristische Personen und deren Vertreter
- gV = gewerblicher Verwender
- WT = Wirtschaftstreibender
Zieladressat sind die Mitglieder der Allgemeinheit, die aber natürlich auf die Informationen der anderen Beteiligten angewiesen sind.
Für Wirtschaftstreibende (WT) wichtig:
- Unterweisungspflicht von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinsichtlich Kundenabgabe
- Unterrichtungspflicht anderer WT in einer Lieferkette
- Überprüfungspflicht bei Abgabe/Handel mit beschränkten Stoffen hinsichtlich MdA
- Prüfpflicht zur Sicherstellung der Meldepflicht bei verdächtigen Transaktionen bzw. Diebstahl
In Deutschland und in der Schweiz sind für beschränkte Stoffe, also Stoffe bis zur oberen für Private (= MdA) erlaubten Konzentrationsgrenze, keine Genehmigungssysteme vorgesehen und daher ist dort der Erwerb in diesen Konzentrationen grundsätzlich verboten! Ein Genehmigungsmuster findet sich im Anhang III der EU-VO 2019/1148 für einmaligen und mehrmaligen Erwerb.
Eine spezielle Problematik ergibt sich bei Gemischen: Ein Stoff/Gemisch gilt als nach dieser VO geregelt, wenn es mehr als 1-Gew.-% Anteil enthält. Jedoch gelten die in Anhang I und II definierten Grenzen.
Polizeiliche Ermittlung, Zuständigkeiten und Chemikalienüberwachung
Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) hat durch geeignete Maßnahmen die Einhaltung folgender Vorschriften sicherzustellen:
- Verbote und Beschränkungen der Bereitstellung und der Verbringung gemäß Art. 5
- Genehmigungsverfahren gemäß Art. 6
- Unterrichtung der Lieferkette gemäß Art. 7
- Überprüfung beim Verkauf gemäß Art. 8
Als nationale Kontaktstelle fungiert die im Bundeskriminalamt, Büro 3.3 Suchtmittelkriminalität, eingerichtete Meldestelle für Drogenausgangsstoffe und Ausgangsstoffe für Explosivstoffe: Büro 3.3 – Suchtmittelkriminalität, Referat 3.3.4 – Precursor Competence Center.
In der Überwachung ist dank mittelbarer Bundesverwaltung die Chemikalieninspektion gefordert. Ob sich hier die Anfragen besorgter Hobbysportler, Platzwarte im Düngemitteleinsatz und farbenstreichender Privatpersonen stauen werden, bleibt abzuwarten.
Recht unangenehm können aber polizeilich eingeleitete Recherchen oder Rückfragen werden. Unklar und dem normalen Hausverstand anheimgestellt ist jedenfalls der Begriff der „erheblichen Menge“. Bei manchen Stoffen könnte sich diese, entsprechende chemische Kenntnisse vorausgesetzt, auch schon im 1-Liter-/Kilogramm-Bereich bewegen.
Außerdem ist der Begriff „verdächtige Transaktion“ ebenfalls nur schwer einzugrenzen: Als „verdächtige Transaktion“ wird gemäß Begriffsbestimmungen jede Transaktion mit regulierten Arbeitsstoffen bezeichnet, bei der nach Berücksichtigung aller relevanten Umstände der begründete Verdacht besteht, dass der betreffende Stoff/das betreffende Gemisch für die unrechtmäßige Herstellung von Explosivstoffen verwendet werden soll.
Das könnte in der Praxis Folgendes heißen: Machen Sie keine Verdachtsmeldung, machen Sie sich unter Umständen strafbar, machen Sie aber eine Verdachtsmeldung als z. B. Händler, sind Sie mit Sicherheit aufgrund der dann nachfolgenden polizeilichen Recherche Ihren Kunden los: Hier muss also mit viel Fingerspitzengefühl und Augenmaß vorgegangen werden!
Abschlussbemerkung
Wer glaubt, durch eine Reihe von bürokratischen Hürden und Regelungen, die den Zugang zu ausgangskritischen Substanzen hinsichtlich Sprengstoffexplosivität sicher erschweren mögen, aber bei Weitem nicht verunmöglichen, diejenigen, die aus persönlicher Verblendung aus z. B. religiösen und kulturellen Belangen Sprengstoffanschläge verüben, von ihrem Vorhaben mittels Verordnung abhalten zu können, wird langfristig eines Besseren belehrt werden. Da gewerbliche Verwender von dieser Verordnung nicht betroffen sind und die Gründung von z. B. galvanischen Unternehmen und ähnlichen Gewerken, die die in der Verordnung reglementierten Stoffe in größerer Menge notwendigerweise betriebsbedingt benötigen, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sicher nicht erschwert werden, kann natürlich auch auf diesem Weg, scheinbar sogar durch wertschöpfende Unternehmensgründungen, ein Beschaffungsvorgang stattfinden. Dies kann, um unverdächtig zu bleiben bzw. zu erscheinen, über Jahre als versteckter Beilauf in den jeweiligen Beschaffungsvorgängen erfolgen. Somit kommen zu den gefürchteten Schläferzellen noch Terror-Schläfer-Unternehmen dazu!
Im Übrigen handelt es sich bei Fanatikern, Eiferern, kurzum Terroristen nicht nur um geistig einfach gestrickte Personen. Gerade bei den Drahtziehern kann es sich um hochintelligente, gebildete Akademiker handeln, die sich der direkten Verfolgung sogar durch diplomatische Beziehungen und Deckung entziehen können.
Somit handelt es sich bei dieser Verordnung, so sie überhaupt exakt von den „Rechtsunterworfenen“ verstanden und dann auch umgesetzt wird, eher um eine Erschwernis für die Wirtschaft denn um ein wirksames Mittel, die Beschaffung von Sprengstoffen für Anschläge zu verhindern.
Hier hätte und hat die Abgabe an sogenannte „identifizierte Verwender/Nutzer“, wie sie zum Beispiel in der Luftfahrt beim Transport gefährlicher Güter schon Standard ist, wesentlich mehr gebracht. Wem aber der Heldentod ewigen Ruhm einbringt, den wird auch der Tod, persönliche Ehre, Moral oder der Entzug wirtschaftlichen Vermögens nicht davon abbringen, tödlichen Unfug zu betreiben!
Zusammenfassung
Die EU-Verordnung Nr. 2019/1148 vom 20. Juni 2019 über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe war ursprünglich als Maßnahme der Terrorbekämpfung geplant und ist auch nicht für gewerbliche Anwender vorgesehen. Trotzdem stellen die mit 1. Februar erlassenen Vorschriften viele Betriebe vor neue Herausforderungen.