Arbeitsunfälle
Arbeitsunfallstatistik – ein Überblick von 1980 bis heute
Die letzten vier Jahrzehnte waren in der Wirtschaft durch steten Wandel geprägt. Gleichzeitig stieg das Bewusstsein für Arbeitssicherheit: Neue gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Beschäftigten wurden eingeführt, Anstrengungen in der Prävention intensiviert – mit Erfolg: Die Rate der Arbeitsunfälle konnte in den letzten vierzig Jahren um deutlich mehr als die Hälfte reduziert werden.
Wenn du in den 80er-Jahren ein Lehrling warst, ist es zurückblickend kaum zu glauben, dass du so lange überleben konntest! Bei der Arbeit trugen wir nur manchmal einen Helm und eher selten Ohrenstöpsel. Wir tranken Bier, allerdings nicht zu viel am Vormittag. Unsere Entschädigung gaben wir für Dauerwellen und nicht für Sicherheitsschuhe aus. Wir saßen in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags und freuten uns, wenn uns wer mitnahm. Regale waren angemalt in strahlenden Farben voller Blei und Cadmium. Wir haben uns geschnitten, brachen Knochen und Zähne, und niemand wurde deswegen verklagt. Es waren eben Unfälle.“
Kommt Ihnen der Text bekannt vor? Er kursiert seit Jahren im Internet – allerdings listet er in seiner ursprünglichen Fassung Erinnerungen an die überstandene Kindheit derselben Generation auf. Doch auch im obigen Zusammenhang war früher ganz sicher nicht alles besser. Ein Blick auf die Arbeitsunfallzahlen der letzten 40 Jahre zeigt die erfreuliche Entwicklung in Österreich (siehe Abbildung 1).
Meilensteine der Prävention
Das erste Arbeitnehmerschutzgesetz trat 1973 in Kraft – seit damals gibt es Vorschriften zum Arbeitnehmerschutz, der bis dahin ein eher kleiner Bereich des Gewerberechts gewesen war. Seit 1981 gilt das Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz, seit 1984 die Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung. Anfang der Neunziger begann die AUVA mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit, 1993 kam das Arbeitsinspektionsgesetz dazu.
Viele einzelne wirkungsvolle Maßnahmen folgten – von der Bauarbeiterschutzverordnung, der Arbeitsmittel- und Grenzwerteverordnung bis hin zur Elektroschutzverordnung wurde und wird in jedem Bereich versucht, Arbeitnehmerinnen und -nehmer vor Gefahren zu schützen. Europaweit wurden Themen vorgegeben, die die AUVA in ihren Kampagnen aufgriff. Die deutlich höheren Unfallraten bei den Jüngeren sollten gesenkt werden (Gib8!) und die damals häufigste Unfallursache „Sturz und Fall“ sollte zurückgedrängt werden (Baba und Fall Ned!).
1995 wurde Österreich EU-Mitglied. Im selben Jahr wurde auch begonnen, Sicherheitsfachkräfte sowie Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner für alle Betriebe fundiert auszubilden. Drei Jahre später trat die Arbeitsstättenverordnung in Kraft und seit 20 Jahren werden auch die Klein- und Mittelbetriebe großteils von AUVAsicher präventiv betreut. Ob Präventionsmaßnahmen im Einzelnen erfolgreich waren, lässt sich grundsätzlich eher schwer feststellen, das Bewusstsein für Arbeitssicherheit ist auf jeden Fall gestiegen. Fest steht allerdings, dass die Unfallrate, bezogen auf 1.000 Versicherte, über alle Branchen und alle erwerbstätigen Versicherten in Österreich von 54,9 im Jahr 1980 auf nur noch 21,6 im Jahr 2018 gesunken ist.
Entwicklung Arbeitsunfälle, Unfallraten
Österreichs Wirtschaft hat sich in den letzten 40 Jahren stark verändert. Mit fast 400.000 Versicherten war die Gruppe der Metaller 1980 der größte Industriezweig des Landes, im Handel arbeiteten ca. 365.000 unselbständig Erwerbstätige, im Bauwesen 240.000. Die höchsten Unfallraten gab es ebenda – pro Jahr erlitten über 150 von tausend Bauarbeitern einen Arbeitsunfall. Die Unfallrate bei den Metallern betrug damals 120 auf 1.000, bei der Be- und Verarbeitung von Holz stand man ebenfalls bei knapp über 100. Während allerdings die Beschäftigtenzahlen im Bausektor relativ konstant blieben, verschoben sie sich bei den Metallern drastisch nach unten und im Handel sehr deutlich nach oben. 400.000 Schlossern, Drehern und Fräsern im Jahr 1980 stehen heute nicht einmal mehr 250.000 gegenüber, die Zahl der Verkäuferinnen und Verkäufer ist hingegen auf fast 550.000 gestiegen. Nahezu verdoppelt hat sich der Versichertenstand in der Beherbergung und Gastronomie, um ein Drittel verringert in der Be- und Verarbeitung von Holz (siehe Abbildung 2).
Ein ähnliches Bild zeigt sich naheliegenderweise auch bei der Berufswahl von Lehrlingen in den letzten zwanzig Jahren: „In der Sparte ‚Gewerbe und Handwerk‘ (1997: 57 %, 2017: 42 % aller Lehrlinge) war ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. In der Industrie hat es seit Ende der 90er-Jahre wieder eine leichte (allerdings nur anteilsmäßige) Zunahme an Lehrlingen gegeben (1997: 11 %, 2017: 14 %). Anteilsmäßige Zugewinne an Lehrlingen erzielten in den letzten 20 Jahren vor allem die ‚Sonstigen Lehrberechtigten‘, dazu zählen etwa die öffentliche Verwaltung, Apotheken, Rechtsanwaltskanzleien etc., sowie die überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen.“ (leicht gekürzt aus „Lehrlingsausbildung im Überblick 2018, Strukturdaten, Trends und Perspektiven“. Dornmayr, Nowak, ibw-Forschungsbericht Nr. 193)
„Wo gehobelt wird, fliegen Späne“ – diese Redensart ist nicht nur wenig tröstlich für jeden einzelnen Betroffenen, darüber hinaus scheint sie auch nicht für alle Branchen im gleichen Ausmaß zu gelten.
Ein direkter Zusammenhang besteht zwischen Hochkonjunktur und der Absolutzahl an Arbeitsunfällen. Betrachtet man jedoch die Unfallraten – die im Grunde genommen die einzig sinnvollen Vergleichszahlen sind – so haben sich diese nicht einheitlich entwickelt. Von den großen Gruppen hat sich die Holzindustrie am langsamsten und am wenigsten verbessert. Hier gab es immer wieder Jahre, in denen de facto keine Reduktion der Unfallraten stattfand. Weiß man darüber hinaus, wie überproportional hoch auch der Anteil an schweren und tödlichen Arbeitsunfällen ist, bzw. dass bei den unselbständig Erwerbstätigen die oft genug ebenfalls bei forstwirtschaftlichen Arbeiten verunfallenden Landwirte nicht berücksichtigt sind, ist auch die Halbierung nicht uneingeschränkt positiv zu bewerten.
Ein anderes Phänomen gilt es im Bau- und Metallsektor immer mit zu berücksichtigen: Der Trend, in Spitzenzeiten überlassene Arbeitskräfte einzusetzen, wirkt sich auf die Unfallzahlen der Branche zwar positiv aus, andererseits sind mittlerweile über 100.000 Versicherte in einem sogenannten „Leiharbeitsverhältnis“ tätig. Von den zur Jahrtausendwende katastrophalen Unfallraten (über 200 auf 1.000) ist man heute weit entfernt, mit fast 60 über alle derartigen Arbeitsverhältnisse ist sie nun etwa gleich hoch wie im Bauwesen – obwohl keineswegs alle Beschäftiger Baufirmen sind, bzw. ein Fünftel der Arbeitsunfälle dieser Gruppe auf den Bausektor entfällt.
Die enorme Verbesserung im Metallsektor ist trotzdem evident – hier ist die Senkung zwischen 1980 und 2018 am deutlichsten erkennbar. Am stärksten war der Trend nach unten in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Mit 32 Arbeitsunfällen je 1.000 unselbständig Erwerbstätige liegt die Rate heute nur mehr knapp über dem allgemeinen Durchschnitt von 28. Wie viele Schwerindustriearbeitsplätze darin noch enthalten sind, müsste man allerdings genauer ansehen.
Interessant ist die Entwicklung im Bereich „Beherbergung und Gastronomie“ – von 1980 bis Mitte der Neunziger stieg der Versichertenstand gar nicht so stark an, die Unfallrate verschlechterte sich zwischenzeitlich, um erst 1995 wieder das Level von 1980 zu erreichen. Seit 1995 gibt es eine langsame Verbesserung, sodass die Rate heute mit der im Handel vergleichbar ist, der dazwischen allerdings gar keine Auffälligkeiten in der Entwicklung zeigte. Generell liegen in diesen beiden Wachstumsbranchen die Unfallraten ein wenig unter dem Durchschnitt.
Gesamt oder auch nach den einzelnen Sektoren ist die Wertschöpfung pro Erwerbstätigen seit 1980 stark gestiegen. De facto produzieren also weniger Personen mehr an Gütern, die Relation zur Zahl der Arbeitsunfälle, aber auch zu den Unfallraten ist umgekehrt proportional (vgl. Abb. 5). Auch die Beiträge der einzelnen Branchen zum Bruttoinlandsprodukt differieren beträchtlich – stellvertretend seien hier noch einmal zwei bereits genannte Sektoren herausgegriffen. So ist im Bauwesen die erwähnte Gegenläufigkeit weniger deutlich, da hier die Wirtschaftsleistung teilweise sogar im Vergleich zu den jeweiligen Vorperioden gesunken ist. Der konstante Anstieg im Tourismus wiederum steht einer nicht durchgehend sinkenden Unfallrate gegenüber (vgl. Abb. 6).
Führt man eine Regressionsanalyse über die Entwicklung der Arbeitsunfälle mit der erklärenden Variable Bruttoinlandsprodukt durch, kann jedenfalls keine signifikante Abhängigkeit erkannt werden.
Dass sich die Unfallzahlen generell positiv entwickelt haben, ist nicht „von selbst“ passiert. Selbstverständlich gilt immer noch: „Jeder Unfall ist ein Unfall zu viel.“ Und ohne weitere Bemühungen zur Prävention werden die Kurven der Arbeitsunfälle und der Unfallraten ganz sicher nicht weiter nach unten zeigen.
Zusammenfassung
Die Autorin analysiert die heimische Statistik der Arbeitsunfälle über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten.