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Ergonomie

„Viennovation“: Central-Park-Feeling, New Work und Ergonomie

Was haben der New Yorker Central Park und die Wiener Lassallestraße 7b gemeinsam? Ein Bericht und Impressionen der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Ergonomie (ÖAE): auf den Spuren von Ergonomie & Wohlbefinden zum Thema New Work, quer durch eine Naturkulisse in der neu gestalteten SAP-Niederlassung am Praterstern.

Kettlebells auf einem Regal
Verschiedenste Angebote locken während der Arbeitszeit in den gern genutzten Fitnessbereich. © Ulrike Amon-Glassl

Schon beim Betreten des Gebäudes des Software-Unternehmens SAP erfasst den Besucher die Stimmung des „Biophilic Designs“, der Einbindung der Natur in das Büro: die anthrazitfarbene Wand- und Deckengestaltung, die sich durch das gesamte Gebäude zieht, und sternartig gestaltete Filzleuchten an der Decke verbreiten am Empfang ebenso Lounge-Feeling wie eine gemütliche honigfarbene Sitzlandschaft. Was sofort ins Auge sticht, ist die üppige Begrünung, ein einladend in Holz gestalteter Cafeteria-Selbstbedienungsbereich und – eines der zahlreichen Details – Mülleimer, die sich surrend automatisch öffnen, wenn man in ihre Nähe kommt. Ein moderner Kontrast zu herkömmlichen Empfangsbereichen als Auftakt zu zukunftsorientierten Arbeitsumgebungen.

Im Rahmen der vom ÖAE-Mitglied Markus Glassl initiierten ÖAE-Führung durch die SAP-Niederlassung berichteten der Architekt Oliver Kupfner (Innocad Graz) und Robert Diglas (SAP, Interne Projektleitung und Leiter Facility-Management) persönlich über Daten und Fakten zu den Vorbereitungen, zum Ablauf und zu den Hintergründen des Projekts. Die interessierten und durchwegs interdisziplinär vertretenen Mitglieder und Gäste der ÖAE besichtigten dabei das Re-Design aus dem ergonomischen Blickwinkel: Unterschiedliche Disziplinen mit unterschiedlicher Fokussierung gingen den Fragen nach, ob und wie die Gestaltung moderner Arbeitsumgebungen

  • den Menschen in den Mittelpunkt rückt,
  • zu seinem Wohle und/oder zum Wohle des Unternehmens geschieht,
  • sich rechnen kann.
Kreativraum „Mozart“ mit Noten der Papageno-Arie an der Wand
Design-Thinking-Raum, Kreativraum „Mozart“ mit Noten der Papageno-Arie an der Wand (Bild) und farbenprächtigen Sofas, ein in Holz gestalteter Präsentations- und Barbereich in Holzarchitektur u. v. m. sollen der Kreativität freien Raum bieten. © Ulrike Amon-Glassl
verschiedensten Arten von Sitzmöglichkeiten
Die Erholungszentren des offenen Bürobereichs – inspiriert vom New Yorker Central Park – bieten die verschiedensten Arten von Sitzmöglichkeiten. © Ulrike Amon-Glassl
weitere Sitzmöglichkeiten
© Ulrike Amon-Glassl

Ziele & Facts: der Mensch im Mittelpunkt

Im Projekt „Viennovation“ thematisierte SAP gemeinsam mit dem Grazer Architekturbüro Innocad das Thema Arbeitsumgebung in einer digitalisierten Welt. Ziel war es, in die SAP-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren, um deren persönliches Wohlbefinden zu bereichern und letztlich Wachstum und Innovation zu fördern. Ein kommunikativer Ort der Begegnung und der Zusammenarbeit sollte kreiert werden, um in einer offenen Unternehmenskultur die Grundlage für Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Lernen zu schaffen: nicht nur durch die Verbindung über interne Abteilungsgrenzen hinweg, sondern auch unter Einbeziehung von Kundinnen und Kunden bzw. Partnerinnen und Partnern. Im Zuge dessen wurden 2018 die 9.000 Quadratmeter Bürofläche des 20 Jahre alten Gebäudes auf sechs Stockwerken re-designt. Investiert wurden dabei ca. 27.000 Stunden und 8 Millionen Euro. 

Zu Beginn wurde ein externes Change-Management eingerichtet, welches durch Mitarbeiter-Workshops und -Umfragen den konkreten Bedarf der Beschäftigten erhob. Weiters analysierte man detailliert Besprechungen und deren Teilnehmeranzahl, um die optimale Anzahl und Größe der benötigten Meetingräume zu ermitteln.

Hat sich der Gesamtaufwand denn auch gelohnt? Man erfährt: Ja, denn eine Umfrage bei den circa 480 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der SAP-Niederlassung nach dem Re-Design zeigte eine Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit von 70 Prozent auf 85 Prozent durch die Neugestaltung.

Neu: die offene Bürogestaltung

Die einheitlich und zweckdienlich gestalteten Zellenbüros für je zwei bis vier Beschäftigte wichen einer offenen Bürogestaltung mit Arbeits- und mannigfaltigen Erholungsbereichen. Die Geschoßhöhe beträgt seit dem Umbau 2,8 m: Die Installationen wurden dafür – bis auf den Kundenbereich im Erd- und Dachgeschoß – nicht verkleidet, um die volle Raumhöhe auszunützen. Blickte man früher in niedrige Gänge und Büros in nüchternem Weiß und Grau, findet man seit dem Re-Design weite, offene Flächen mit zahlreichen Einrichtungsarten und Funktionalitäten sowie eine naturnahe, waldartige Farbgestaltung inmitten üppig grünender Pflanzenoasen.

Der Erholungs-Kommunikations-Kollaborationsbereich

In der Mitte der Fläche liegen parkartige Erholungszonen mit anthrazitfarbenen Decken und Teppichböden in verschiedenen Florhöhen und Grüntönen – inspiriert vom New Yorker Central Park, der von den Stadtteilen Upper East Side und Upper West Side eingefasst ist. Hier können die Beschäftigten über geschwungene grüne Gehwege zu verschiedenen Plätzen und Wasserbecken gelangen. Der Eindruck, „outdoor“ zu sein, wird mancherorts suggeriert. Zum Verweilen und zu Arbeitspausen laden unterschiedliche Arten von Sitzmöglichkeiten ein, vom Lehnstuhl über Schaukelstuhl, Bank und Hocker bis hin zu schaukelnden Hängesitzen. Rund 3.000 Pflanzen – die höchste Grünpflanzen-Dichte aller SAP-Niederlassungen weltweit – sollen für eine optimale Luftbefeuchtung sorgen. Für die Belüftung musste allerdings die bestehende Anlage – in modernisierter Form – weiterverwendet werden. Die Belüftung wird jetzt über CO2-Sensoren dezentral gesteuert. Beim Eingang finden sich zudem pro Geschoß ein zentraler Cafeteria-Bereich sowie eine Ruhe-Pausenzone und ein aktiver Pausenbereich, z. B. mit Tischfußball-Tisch.

Der Bürobereich

Zu beiden Seiten wird der Erholungs-Kommunikations- und Kollaborationsbereich flankiert von Arbeitsbereichen mit weißer Deckenfarbe und heller, hochwertiger Büroausstattung. Sich farblich ändernde Glaswände, an Lederriemen von der Decke hängend, deuten die Trennung zwischen Büro- und Erholungsbereich an. Die Bürotische sind höhenverstellbar und können auch im Stehen benützt werden. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen über einen fixen Arbeitsplatz, nur in den Bereichen Sales und Consulting ist Desk-Sharing eingeführt. Durchschnittlich sind circa 61 Prozent der Arbeitsplätze täglich besetzt. Künftige Expansionen sind bereits im Konzept mitgedacht, und alle Arbeitsplätze sind gleichartig gestaltet – auch jene des Top-Managements, das ebenfalls im Großraumbüro angesiedelt ist. Der „niederschwellige“ Zugang zur Führung formt nun eine neue Unternehmenskultur.

Da die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in globalen Teams arbeiten, ist der Arbeitstag sehr fragmentiert und die meiste Zeit wird am Arbeitsplatz gearbeitet. Für Besprechungen stehen verschieden große Besprechungsräume zur Verfügung, für Telefonate eigens dafür vorgesehene geräumige Kabinen. Jede und jeder Beschäftigte hat einen eigenen Stauraum zur Verfügung. Dieser bleibt jedoch größtenteils ungenutzt, da die Prozesse fast ausschließlich elektronisch ablaufen. Bei der Führung erfuhren die Besucher, dass die Lärmbelästigung zwar durch den Umbau erheblich zurückgegangen ist (so gibt es pro Geschoß nur mehr zwei Multifunktionsdrucker), jedoch immer noch ein optimierungswürdiges Thema darstellt.

Auch bei der Beleuchtung und Belichtung stoßen Großraumbüros an ihre Grenzen. Zwar gibt es für die neu installierte LED-Beleuchtung pro Tischgruppe mit vier Arbeitsplätzen zwei Sensoren, die die Lichtschalter ersetzen: einen Bewegungsmelder und einen Helligkeitssensor. So wird das Licht bei Bedarf eingeschaltet und die Helligkeit entsprechend den ergonomischen Anforderungen geregelt. Dennoch benötigt der eine oder andere Arbeitsplatz einmal mehr und einmal weniger …

Zweckdienliche Räumlichkeiten mit Erlebnischarakter

Im ersten Geschoß tummeln sich Trainerinnen und Trainer sowie zahlreiche Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer zwischen einer Vielzahl topmoderner Kunden-Schulungsräume, einladenden Relax- und Kommunikationsbereichen und der zentralen Cafeteria-Area. Für erfrischende Getränke, Kaffee, Obst und Kekse ist hier stets gesorgt. Inmitten der Pflanzenwände und -inseln herrscht eine ruhige und erholsame Atmosphäre mit Kommunikations- und Rückzugsbereichen. Auch hier kann man wieder zwischen den verschiedensten Sitzgelegenheiten wählen.

Auch an den Nachwuchs und seine „Behüter“ wurde beim speziell dafür eingerichteten Eltern-Kind-Büro gedacht, einem hellen, sehr geräumigen und luftig gestalteten Zimmer: mit Arbeitsplatz für die „Großen“, Spielbereich für die „Kleinen“ und einem Hundekörbchen eigens für den mitgebrachten Vierbeiner. Durch eine Glasfront lässt es sich sowohl gut nach außen kommunizieren, sodass Elternteile mit Kind nicht isoliert werden, wie auch umgekehrt von draußen nach drinnen. So wird eine möglichst störungsfreie und kommunikationsförderliche Arbeitsatmosphäre geschaffen. 

Futuristisch glänzende Glasscheiben als Raumteiler
Futuristisch glänzende Glasscheiben dienen als Raumteiler © Ulrike Amon-Glassl
geräumige Kabinenkonstruktionen zum Telefonieren
Speziell eingerichtete und geräumige Kabinenkonstruktionen laden zum Telefonieren ein © Ulrike Amon-Glassl

Das Dachgeschoß im achten Stock beherbergt den Kreativ- und Veranstaltungsbereich. Es besticht mit seiner architektonischen Leichtigkeit, seiner Helligkeit und mit funktionsorientiert gestalteten Meetingräumen. Der Kreativität wird hier mannigfaltig Raum geboten, um gemeinsam mit Kundinnen und Kunden sowie SAP-Partnerinnen und -Partnern innovative Lösungsansätze zu entwickeln. Unterschiedlich ausgestattete Nischen und Räumlichkeiten stehen zur Wahl: vom speziell eingerichteten Design-Thinking-Raum mit meeresblauem hohem Teppichflor, diversen Arbeitsmitteln und Weitblick über die Skyline Wiens über Meeting Points mit patriotischem Österreich-Bezug (z. B. nach Komponisten benannte und mit Noten verzierte Räume, Tische und Wände mit Dachschindeldesign wie am Stephansdom …) bis hin zum hölzernen Barbereich mit arenaartiger Stufenanordnung für Video- und Filmpräsentationen. Wohin man seinen Blick auch wendet – keine Ecke wurde dem Zufall überlassen, überall lässt sich eine spezielle Atmosphäre erspüren, die den kreativen Geist anzuregen vermag. Beim Betreten der Dachterrasse eröffnet sich dem Betrachter ein Weitblick über die Stadt Wien. In luftiger Höhe laden Tische und Bänke zum Verweilen ein: Himmel, Luft und üppiges Grün bilden an sonnigen Tagen eine wunderbare Kulisse zum Durchatmen. Der Wind, der um die Gebäudeecke rauscht, lässt den Kopf freiwerden und macht Platz für neue Ideen …

„Goodies“ & Employer Branding

Gern genutzt und sehr geschätzt von den Beschäftigten sind die Fahrradabstellmöglichkeiten und Duschen im Erdgeschoß. Tischfußballtische – auf gut Wienerisch „Wuzler“ –, Billardtische und sogar ein Flipperautomat runden das Angebot zur aktiv gestalteten Arbeitspause ab. Der ebenerdige Fitnessbereich bietet auf 230 Quadratmetern Raum für Regeneration und Förderung der mentalen und physischen Gesundheit der Beschäftigten: Ruhebereiche, Kletterwand, gut frequentierte Cardio- und Kraft-Trainingsgeräte und der äußerst beliebte Tischtennis-Tisch. Ein Masseur kommt alle zwei Wochen. Bunte Thera-Bänder an der Sprossenwand, glänzende Kettlebells (Kugelhanteln) in knalligen Farben, lange, dicke Schwungseile zum Training der Oberkörpermuskulatur, Springschnüre etc. laden zur Betätigung ein. Dievom Fitnessbereich aus begehbare Lounge-Zone im Außenbereich zum Verweilen und Kommunizieren ist selbstverständlich rauchfrei – im Sinne der Fitness.

Für ein „gutes Bauchgefühl“ sorgt letztendlich noch ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Speisen- und Getränkeangebot in der modernen Cafeteria. Die rund 200 Sitzplätze, die auch Besuchern anderer Unternehmen offenstehen, sind stark frequentiert. Auch hier eröffnen unterschiedliche Sitz- und Tischgruppierungen Wahlmöglichkeiten zur Kommunikation oder zum „Unter-sich-Bleiben“.

Vor allem bei der jüngeren Generation findet das New-Work-Konzept großen Anklang: Vielfalt in der Gestaltung und Simulation von Naturnähe zur Eröffnung neuer Möglichkeiten in Sachen Kreativität und Bewegung am Arbeitsplatz ist gefragt wie noch nie. Welche Chance, die Innen- sowie Außenwirkung von Unternehmen dadurch enorm zu verbessern (Stichwort Employer Branding)! Die Steigerung der Gesundheitskompetenz sowie die Anwendung ergonomischer Erkenntnisse sind laut Forschung unabdingbar für den Unternehmenserfolg. Vielerorts bemerkt man das Vorhandensein dieser Faktoren jedoch nicht, wie selbstverständlich wirken sie im Verborgenen. Die Arbeit präventionskundiger Spezialistinnen und Spezialisten aus Ergonomie, Arbeitspsychologie, Arbeitsmedizin, Sport- und Arbeitswissenschaften, Arbeitssicherheit u. v. m. sichert somit den Unternehmenserfolg. Dieser kann und soll – wie sich an diesem Beispiel zeigt – durch entsprechende (architektonische) Gestaltung gut unterstützt werden. Es rechnet sich in Zeiten des raschen Wandels, auf diese Weise vermehrt in seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu investieren und damit seine Unternehmensattraktivität zu erhöhen. Gute Gestaltung macht sich also bezahlt!

QUELLEN:

Zusammenfassung

Bei der Neugestaltung der Wiener Niederlassung des Softwarekonzerns SAP wurde großer Wert auf eine menschengerechte, arbeitnehmerfreundliche Gestaltung gelegt, die auch dem Unternehmen Nutzen bringt.


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