Krebserzeugende Arbeitsstoffe
Risikobasierte Grenzwerte
In Deutschland wurden TRK-Werte für krebserzeugende Arbeitsstoffe durch auf dem Erkrankungsrisiko basierende Werte ersetzt. Ein vergleichbares Konzept wurde auch in Österreich bereits erarbeitet.
Ein gleich niedriges Erkrankungsrisiko für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei ihrer beruflichen Tätigkeit krebserzeugenden Stoffen ausgesetzt sind – das ist das Ziel des Konzepts risikobasierter Grenzwerte. Dieses Konzept wurde in einigen europäischen Ländern bereits verwirklicht. In Österreich liegt ein fertiger Entwurf für den Ersatz von TRK-Werten durch risikobasierte Werte in der Schublade. Die Entscheidung, ihn zu realisieren, lässt allerdings noch auf sich warten. Worauf man bei der Umsetzung achten sollte, zeigen die in Deutschland gesammelten Erfahrungen. Von diesen berichtete Dr. Eberhard Nies vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) beim Forum Prävention im Mai 2019 in Wien. Als Mitglied eines Arbeitskreises, der die Ableitungskriterien zur Modellierung von Expositions-Risiko-Beziehungen erstellt hatte, begleitete der Toxikologe die Entwicklung in Deutschland bis zu den jüngsten Änderungen. Ein Erfolgsmodell, davon ist nicht nur Nies überzeugt, sondern auch die österreichische Arbeitsgruppe, die für ihr Konzept das deutsche als Vorbild gewählt hat.
MAK- und TRK-Wert
Bei gefährlichen Arbeitsstoffen kann man zwischen Stoffen mit toxikologischer Wirkschwelle und solchen ohne unterscheiden. Besitzt ein Stoff eine Wirkschwelle, so ist davon auszugehen, dass unterhalb des Schwellenwerts keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen – etwa Krebserkrankungen bei krebserzeugenden Stoffen – auftreten. Ein Beispiel dafür ist das als krebserzeugend eingestufte Formaldehyd. Für dieses gilt eine Maximale Arbeitsplatz-Konzentration (MAK-Wert), in Deutschland als Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) bezeichnet.
Bei der zweiten Gruppe von Stoffen existiert keine toxikologische Wirkschwelle bzw. ist nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft kein Schwellenwert bekannt. „Bei krebserzeugenden Substanzen ohne Wirkschwelle kann – wenn auch mit extrem geringer Wahrscheinlichkeit – theoretisch ein einziges Molekül, das sich an die DNA bindet, eine Kaskade auslösen, die in einen bösartigen Tumor mündet“, erläutert Nies. Für derartige Stoffe wird in Österreich eine Technische Richtkonzentration (TRK-Wert) festgesetzt. TRK-Werte existieren z. B. für Asbest oder Hartholzstaub.
Der Haken an der Sache: TRK-Werte richten sich nach der technischen Machbarkeit und erlauben keinerlei Aussage darüber, ob bzw. wie wahrscheinlich eine gesundheitliche Schädigung auch bei Einhaltung des TRK-Werts eintritt. Für jeden Arbeitsstoff und jede Tätigkeit wird ein aktueller Stand der Technik definiert, der mit zumutbaren technischen und finanziellen Mitteln erreicht werden kann. Zu diesem ermittelt man die Konzentration des jeweiligen Stoffs. Diese Vorgehensweise lässt laut Nies einige Fragen unbeantwortet: „Was bedeutet ‚mit zumutbaren Mitteln‘? Müssen diese Mittel für eine kleine Tischlerei oder für einen großen Konzern zumutbar sein? Der Stand der Technik verbessert sich ja. Wie oft muss man überprüfen, ob der TRK-Wert noch dem aktuellen Stand entspricht?“ In Österreich sind die meisten TRK-Werte seit Langem unverändert, obwohl sich die Produktionstechnologien zum Teil rasant weiterentwickelt haben. Die Abhängigkeit von den zumutbaren technischen und finanziellen Mitteln bewirkt darüber hinaus eine sehr ungerechte und intransparente Verteilung des Risikos. Das heißt, dass Unternehmen und Arbeitnehmer nicht wissen, wie groß die Gefahr einer Krebserkrankung bei bestimmten Tätigkeiten tatsächlich ist und wie wichtig Schutzmaßnahmen sind. Auch die Präventionsarbeit wird dadurch erschwert.
Wirtschaftliche Überlegungen
Seitens der EU sei vor dem Umstieg Deutschlands auf risikobasierte Werte keine diesbezügliche Initiative gesetzt worden, was sich bis heute nicht geändert habe, so der Toxikologe: „In der EU neigt man dazu, bei Arbeitsplatzrisiken vom utilitaristischen angelsächsischen Konzept auszugehen: Hat eine Substanz eine hohe ökonomische Bedeutung in der Volkswirtschaft, dann darf man ein höheres Risiko eingehen. Auch wenn eine Substanz eine sehr geringe Verbreitung hat und es nur wenige Exponierte gibt, kann man den Wert höher ansetzen.“
Nies und viele andere deutsche Arbeitsschützerinnen und Arbeitsschützer strebten gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium in Bonn und Berlin dagegen ein gleich niedriges Risiko für die Arbeit mit allen krebserzeugenden Stoffen ohne Wirkschwelle an, unabhängig von der Verbreitung und von finanziellen Überlegungen. Ein mutiges Unterfangen, bei dem man mit Widerstand rechnen musste. Warum es sich trotzdem durchsetzen konnte, begründet der Toxikologe folgendermaßen: „Der Schlüssel zum Erfolg war und ist der sozialpartnerschaftliche Diskurs. Einer der Vizepräsidenten eines großen deutschen Chemie-Unternehmens leitete das entscheidende Vorbereitungsgremium.“ Die Expositions-Risiko-Beziehungen werden allerdings nicht politisch, sondern auf Basis wissenschaftlicher Evidenzen festgelegt.
Im Dezember 2004 wurden mit einer Novelle der deutschen Gefahrstoffverordnung die technischen Richtkonzentrationen, die sich an der technischen Machbarkeit orientieren, abgeschafft. Die Diskussion über die Regulierung krebserzeugender Arbeitsstoffe mündete 2007 in ein risikobasiertes Konzept. Für Stoffe mit toxikologischer Wirkschwelle gelten nach wie vor die den MAK-Werten entsprechenden Arbeitsplatzgrenzwerte; Stoffe ohne Schwellenwert sind nun in einem Ampelmodell erfasst.
Akzeptable und tolerable Werte
Das Ampelmodell sieht eine Unterteilung in einen roten, einen gelben und einen grünen Bereich vor. „Die Vorgabe ist, dass man den roten Bereich möglichst nicht beschreiten sollte, und wenn man im gelben ist, mittelfristig darauf abzielt, in den grünen Bereich zu kommen“, erklärt Nies. Der rote wird vom gelben Bereich durch die sogenannte Toleranzschwelle getrennt. Diese wurde im Dialog der Sozialpartner festgesetzt und gibt mit 4:1.000 ein gesellschaftspolitisch gerade noch tolerierbares zusätzliches Krebsrisiko an. Auch die zwischen gelbem und grünem Bereich liegende Akzeptanzschwelle ist das Ergebnis eines politischen Prozesses – ebenso wie die Entscheidung, die Einführung einer Akzeptanzschwelle von 4:100.000, die bereits für 2018 geplant war, schrittweise vorzunehmen. Daher gilt in Deutschland nach wie vor eine Akzeptanzschwelle von 4:10.000. Diese werde von vielen Unternehmen als MAK-Wert betrachtet, so Nies, tatsächlich gebe es allerdings auch im grünen Bereich ein – gesellschaftlich akzeptiertes – Restrisiko.
Bei den Werten für Toleranz- und Akzeptanzschwelle handelt es sich um ein zusätzliches Krebserkrankungsrisiko, das zum Hintergrundrisiko in der Allgemeinbevölkerung dazugezählt werden muss. Nies nennt ein Beispiel: „Man muss damit rechnen, dass in einem Kollektiv von 1.000 Menschen rund 400 (Anm. d. Red. 400:1.000) aufgrund von genetischen Faktoren, Rauchen, Ernährung, Viren und anderen Umwelteinflüssen an einer beliebigen Krebsart erkranken. Bei einer Toleranzschwelle von 4:1.000 kämen vier Menschen dazu, die durch den Umgang mit einem krebserzeugenden Arbeitsstoff einen Tumor bekommen – das heißt, dass insgesamt 404 Personen Krebs entwickeln.“ Über Todesfälle würden diese Zahlen jedoch keine Auskunft geben.
Exposition und Risiko
Bei der Berechnung der Belastung geht man laut Nies von einem kumulativen Risiko aus: „Es geht um die Lebenszeitbelastung, um Konzentration mal Zeit, daher ist als Berechnungszeitraum auch eine Zeitspanne von 40 Arbeitsjahren gewählt worden.“ Vergleichen könne man das mit der Wahrscheinlichkeit, durch Sonnenbrände, die man im Lauf des Lebens angesammelt hat, Hautkrebs zu bekommen. Das Konzept beruht auf der vereinfachenden Annahme, dass jemand fünf Tage pro Woche acht Stunden täglich einer gleichbleibenden Belastung durch einen bestimmten krebserzeugenden Stoff ausgesetzt ist – und das 40 Jahre lang.
Aus den verfügbaren spezifischen Daten wird für jeden einzelnen krebserzeugenden Stoff eine Expositions-Risiko-Beziehung abgeleitet. Diese gibt den Zusammenhang zwischen der Stoffkonzentration und der statistischen Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Krebserkrankung an. Man erhält damit eine stoffspezifische Toleranz- und eine Akzeptanzkonzentration. Bei einem stark krebserzeugenden Arbeitsstoff reicht eine niedrigere Konzentration aus, um den Wert von 4:1.000 bzw. von 4:10.000 zu erreichen. Daher darf dieser Stoff nur in einer vergleichsweise geringen Konzentration in der Luft am Arbeitsplatz enthalten sein.
Woher weiß man aber, wie stark krebserzeugend ein Stoff ist? Die – mit Einführung des risikobasierten Konzepts in Deutschland abgeschafften – TRK-Werte geben keine Auskunft darüber. Ebenso wenig wie die in der EU geltende Einstufung, so Nies. Diese würde nur angeben, ob ein Stoff beim Menschen oder bei Tieren krebserzeugend bzw. krebsverdächtig sei. Eine derartige rein qualitative Unterscheidung sagt nichts über die Höhe des Risikos aus.
Technische Regeln für Gefahrstoffe
Die Aufgabe, für jeden krebserzeugenden Arbeitsstoff eine Toleranz- und eine Akzeptanzkonzentration zu ermitteln und, falls erforderlich, zu ändern, wurde dem deutschen Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) übertragen. „Im AGS sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Bundes- und Länderbehörden, Wissenschaft und Unfallversicherungsträger vertreten. Die Entscheidungen werden fast immer im Konsens getroffen“, charakterisiert Nies das Gremium. Es stellt die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) auf und passt sie an den jeweiligen Stand der sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen, hygienischen und arbeitswissenschaftlichen Anforderungen an.
Der AGS erarbeitete das Risikobezogene Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen (TRGS 910). Die Arbeit des Ausschusses zur Ermittlung der Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen bestand vor allem in der Auswertung bereits veröffentlichter Studien. „Die Werte rechneten wir anhand von Literaturdaten aus. Bevorzugt wurden Daten vom Menschen aus epidemiologischen Studien. Wenn diese nicht geeignet oder vorhanden waren, griffen wir auf Daten aus Tierversuchen zurück“, erläutert der Toxikologe. Die Mitglieder des AGS waren auf eine streng wissenschaftliche und nachvollziehbare Vorgehensweise bedacht. Experten nahmen jede Studie kritisch unter die Lupe, bevor die Daten in die Berechnung einbezogen wurden. „Wir haben genau begründet, wie wir auf die Kurven für die Expositions-Risiko-Beziehungen gekommen sind, welche Daten wir verwendet und welche wir verworfen haben. Das ist alles transparent und muss auch revidiert werden können“, so Nies.
Problematische Stoffe
Zum seriösen Vorgehen gehört auch, dass man eingesteht, wenn aufgrund der Datenlage kein den vorgegebenen Qualitätskriterien entsprechendes Ergebnis erzielt werden kann. Das war bei Holzstaub der Fall, führt Nies ein Beispiel an: „Bei Hartholzstaub weiß man sehr genau, dass er Nasenkrebs verursacht, aber wir konnten das Risiko nicht quantifizieren. In diesem Fall kann man sich am neuen EU-Grenzwert in der Höhe von 2 mg/m³ orientieren.“
Ein bisher noch ungelöstes Problem stellt die kombinierte Exposition gegenüber mehreren krebserzeugenden Stoffen dar, was in der Praxis häufig vorkommt. So können etwa Beschäftigte auf Straßenbaustellen gleichzeitig unterschiedlichen krebserzeugenden bzw. -verdächtigen Stoffen ausgesetzt sein, wozu auch bestimmte Stäube gehören. Derzeit werden die Stoffe noch unabhängig voneinander bewertet.
Wie man für das gemeinsame Auftreten insbesondere jener krebserzeugenden Arbeitsstoffe geeignete Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen finden kann, die auf die DNA desselben Organs wirken, ist aktuell Gegenstand der Diskussion innerhalb des AGS. Seit der Einführung des risikobasierten Konzepts finden laufend Überprüfungen der festgesetzten Toleranz- und Akzeptanzkonzentrationen unter Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse statt. „Ursprünglich wurde nicht berücksichtigt, dass man die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur vor Krebs schützen muss, sondern auch vor nicht-krebsartigen Effekten, z. B. vor Reizwirkungen oder Nierenschäden. Um auch solche Gesundheitseffekte zu verhindern, wurden einige Toleranzkonzentrationen, etwa für Trichlorethen oder Epichlorhydrin, abgesenkt“, erklärt Nies.
Konsequenzen für Unternehmen
Das bedeutet aber nicht, dass alle Toleranzwerte niedriger sind als die früheren TRK-Werte. Der Aufwand, der sich für die Betriebe durch die neue Regelung ergab, war weniger hoch, als von vielen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern befürchtet. Unterschiede bestanden je nach Branche und Betriebsgröße. Schließlich würde der AGS auch sozioökonomische Faktoren berücksichtigen, betont Nies: „Wenn sich ein Wert von einem Unternehmen nicht einhalten lässt, kann es sich an den AGS oder die Aufsichtsbehörde wenden, um Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen zu erwirken.“
Welche Auswirkungen hat nun das risikobasierte Konzept in der Praxis auf Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber? Sie sind verpflichtet zu ermitteln, welchem Risikobereich die Expositionen zuzuordnen sind. Je nach Bereich müssen bestimmte Schutzmaßnahmen – von der Substitution über technische und organisatorische Maßnahmen bis zur Verwendung von persönlichen Schutzmaßnahmen, wie etwa Atemschutz – sowie administrative Maßnahmen getroffen werden. Diese werden in einem Maßnahmenplan festgehalten. Bei länger andauernder Überschreitung der Toleranzkonzentration sind die zuständigen Aufsichtsbehörden zu informieren. In Deutschland üben sowohl die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter als auch die gesetzlichen Unfallversicherungen eine Kontrollfunktion aus. In der Übergangsphase unterstützen diese insbesondere jene Unternehmen, die vom roten in den gelben Bereich kommen müssen. Betroffen sind vor allem metallverarbeitende Betriebe.
Österreichische Aktivitäten
Dass Metalle zu den Stoffen gehören, bei denen der Umstieg auf ein risikobasiertes Konzept Probleme bereiten könnte, hat man auch in der österreichischen Arbeitsgruppe erkannt – bei einer Umstellung sollten Metalle daher vorerst ausgeklammert werden, um leichter Unterstützung von Arbeitgeberseite zu erhalten. Bisher erfolglos, wie Dr. Andrea Kernmayer, Leiterin der Abteilung 4 Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie der Sektion VII Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat, bedauert.
Diese Abteilung gründete 2016 die Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines risikobasierten Grenzwertekonzepts; auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die AUVA und die Österreichische Gesellschaft für Arbeitsmedizin waren vertreten. „Unser Ziel war und ist es, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht krank werden“, fasst Kernmayer zusammen.
Dieses Ziel könne man mit den geltenden TRK-Werten nicht erreichten, ist die Arbeitsmedizinerin überzeugt: „Viele TRK-Werte stammen aus den 1980er- und 1990er-Jahren, das heißt, sie beziehen sich auf die damalige technische Machbarkeit. Über die Gefährlichkeit eines Arbeitsstoffs sagen sie überhaupt nichts aus. Auch wenn der TRK-Wert eingehalten wird, hat man zum Teil ein sehr hohes Risiko.“ Einige TRK-Werte weisen eine Risikowahrscheinlichkeit von 2:10 auf – demnach erkranken von zehn Personen, die ihr Arbeitsleben lang gegenüber dem Stoff exponiert sind, durchschnittlich zwei an Krebs.
Unzureichende Verbesserungen
Fügt man die heimischen TRK-Werte in das deutsche risikobasierte System ein, so liegen viele von ihnen im roten Bereich, etwa Dieselpartikel, Acrylnitril oder Benzol. In den gelben Bereich fallen z. B. Acrylamid oder Vinylchlorid. Und überhaupt nur ein einziger TRK-Wert – der für Trichlorethen – ist im grünen Bereich angesiedelt. Derzeit geplante Verbesserungen seien bei Weitem nicht ausreichend, stellt Kernmayer fest: „Der TRK-Wert für Chrom(VI) wird in Österreich mit der kommenden EU-Richtlinie gesenkt, aber auch der neue TRK-Wert liegt noch im roten Bereich.“ Seitens der EU erwartet die Arbeitsmedizinerin keinen Vorstoß in Richtung risikobasierter Grenzwerte, da das Erzielen eines Konsenses darüber aussichtslos erscheint. Schon eine Verschärfung bei einzelnen Stoffen wurde bisher oft von jeweils unterschiedlichen Staaten blockiert. „Eine Änderung des bestehenden Systems der TRK-Werte in risikobasierte Grenzwerte muss auf breiter Ebene diskutiert und auch akzeptiert werden, letztendlich ist es jedoch eine politische Entscheidung“, so Kernmayer. Österreich sei ein Land mit vielen Klein- und Mittelbetrieben, die befürchten würden, von den Kosten für den Umstieg besonders betroffen zu sein, das mache es so schwierig. Die Hoffnung, dass sich Österreich an Deutschland ein Beispiel nimmt, hat die Arbeitsmedizinerin trotzdem nicht aufgegeben. Immerhin gebe es auch aufseiten der Wirtschaft Fürsprecher für ein risikobasiertes Konzept. Mit dem Plan einer schrittweisen Umstellung soll den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern die Angst vor der Einführung eines risikobasierten Konzepts genommen werden.
Vom Alarm zum Ziel
Sollte das von der Arbeitsgruppe erstellte Modell kommen, wird es in Österreich die gleichen Werte für die Akzeptanzschwelle, die bei uns „Zielwert“ heißen soll, und für die Toleranzschwelle geben wie in Deutschland. Die Toleranzschwelle soll hierzulande den Namen „Alarmwert“ erhalten, um zu signalisieren, dass bei einer Überschreitung sofort etwas getan werden muss. Natürlich ist auch ein schriftlicher Maßnahmenplan vorgesehen. Vor der Konzeption des österreichischen Entwurfs hat sich die Arbeitsgruppe auch die anderen in der EU bereits umgesetzten risikobasierten Konzepte für krebserzeugende Arbeitsstoffe angesehen. Etwa das sehr ähnliche ältere niederländische Modell. Auch in Polen wurde bereits ein ähnliches Konzept realisiert, das nicht zwei Grenzwerte, sondern einen Grenzwert aufweist. In Frankreich wurden verschiedene Risikoniveaus ausgewiesen. Diese Staaten sind laut Kernmayer auf dem richtigen Weg: „Bei risikobasierten Grenzwerten ist das Risiko für unterschiedliche Stoffe vergleichbar, das macht es gerecht und transparent. Wir sollten diesen Schritt auch setzen.“
FAQ zu krebserzeugenden Arbeitsstoffen: Die AUVA antwortet!
Im Rahmen des AUVA-Präventionsschwerpunktes „Gib Acht, Krebsgefahr!“ beantworten AUVA-Expertinnen und Experten in jeder Ausgabe von SICHERE ARBEIT bis Ende 2020 häufig gestellte Leserfragen zum Thema krebserzeugende Arbeitsstoffe.
Haben auch Sie Fragen? Dann senden Sie uns diese an FAQkrebsgefahr@auva.at!
Wie muss das „Verzeichnis der ArbeitnehmerInnen“ (= ein Verzeichnis aller exponierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) geführt werden? An wen ist das Verzeichnis zu übermitteln?
Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit eindeutig krebserzeugenden oder krebsverdächtigen, erbgutverändernden, fortpflanzungsgefährdenden oder biologischen Arbeitsstoffen der Gruppe 3 oder 4 arbeiten, dann müssen diese Personen vom Arbeitgeber in einem Verzeichnis erfasst sein (§ 47 Abs 3 ASchG). Das Verzeichnis muss für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer folgende Angaben enthalten:
- Name, Geburtsdatum, Geschlecht,
- Bezeichnung der Arbeitsstoffe,
- Art der Gefährdung,
- Art und Dauer der Tätigkeit,
- Datum und Ergebnis von Messungen im Arbeitsbereich, soweit vorhanden,
- Angaben zur Exposition und
- Unfälle und Zwischenfälle im Zusammenhang mit diesen Arbeitsstoffen.
Das Verzeichnis ist bis zum Ende der Exposition aufzubewahren und danach an den zuständigen Träger der Unfallversicherung zu übermitteln.
Auf der Website der Arbeitsinspektion finden sich weitere Informationen sowie ein Beispiel für die Gestaltung des Verzeichnisses der ArbeitnehmerInnen unter: https://www.arbeitsinspektion.gv.at/inspektorat/Arbeitsstoffe/gesundheitgefaehrdende/Krebserzeugende_Arbeitsstoffe
Wenn ich bemerke, dass bereits länger krebserzeugende Stoffe im Betrieb verwendet werden, kann ich das auch nachträglich an die Arbeitsinspektion melden?
Laut eigener Auskunft der Arbeitsinspektion ist das nachträgliche Melden besser als gar keine Meldung. Wichtig ist jedenfalls das Wissen im Betrieb, dass krebserzeugende Arbeitsstoffe verwendet werden und welche gesetzlichen Regelungen dazu bestehen.
Nähere Informationen dazu auf der Website der Arbeitsinspektion unter: https://www.arbeitsinspektion.gv.at/inspektorat/Arbeitsstoffe/gesundheitgefaehrdende/Krebserzeugende_Arbeitsstoffe
Was ist bei der Beschäftigung von jugendlichen Lehrlingen in Bezug auf krebserzeugende Arbeitsstoffe zu beachten?
Jugendliche Lehrlinge (also Jugendliche, die sich in einem Ausbildungsverhältnis befinden) dürfen Arbeiten mit krebserzeugenden Arbeitsstoffen ausschließlich unter Aufsicht durchführen. Allerdings nur, wenn die Durchführung dieser Arbeiten für die Vermittlung der wesentlichen Fertigkeiten und Kenntnisse nach den Ausbildungsvorschriften unbedingt erforderlich ist.
Aufsicht im Sinne der KJBG-Verordnung ist die Überwachung durch eine geeignete fachkundige Person, die jederzeit unverzüglich zum Eingreifen bereitstehen muss.
Was ist bei der Beschäftigung von jugendlichen Praktikanten in Bezug auf krebserzeugende Arbeitsstoffe zu beachten?
Als jugendliche Praktikanten gelten Personen bis zur Vollendung des
18. Lebensjahres, die sich nicht in einem Ausbildungsverhältnis befinden. Arbeiten mit krebserzeugenden bzw. auch mit gefährlichen Arbeitsstoffen sind für jugendliche Praktikanten daher verboten. Ausnahme: Die gefährlichen Arbeitsstoffe können nur in so geringem Ausmaß zur Einwirkung gelangen, dass nach arbeitsmedizinischen Erfahrungen eine Schädigung der Gesundheit nicht zu erwarten ist, oder die Stoffe werden so verwendet (beispielsweise in einer Apparatur), dass ein Entweichen in den Arbeitsraum während des normalen Arbeitsvorganges nicht möglich ist. Um festzustellen, ob dies gewährleistet werden kann, ist eine Evaluierung nötig.
Die Sammlung aller Fragen und Antworten zu krebserzeugenden Arbeitsstoffen können Sie auf der Webseite zum AUVA-Präventionsschwerpunkt nachlesen: www.auva.at/krebsgefahr, Menüpunkt „Häufig gestellte Fragen (FAQ)“
Zusammenfassung
Krebserzeugende Arbeitsstoffe mit toxikologischer Wirkschwelle, unter der nicht mit einer Erkrankung zu rechnen ist, werden in Österreich über den MAK-Wert geregelt. Für Stoffe ohne bekannte Wirkschwelle gelten TRK-Werte, die sich nach dem Stand der Technik richten, der mit zumutbaren technischen Mitteln erreicht werden kann. Im Gegensatz dazu orientiert sich das risikobasierte Konzept an einer stoffübergreifenden Grenzlinie, die ein Erkrankungsrisiko unabhängig von Stoff und Tätigkeit angibt. Für jeden Stoff ohne Wirkschwelle wird eine diesem Risiko entsprechende Konzentration berechnet. Das deutsche Konzept unterscheidet drei Risikobereiche. Ein vergleichbares Modell wurde auch in Österreich entwickelt, bisher aber noch nicht umgesetzt.