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Arbeitsunfälle & Arbeitszeit

12 Stunden sind lang...

Seit 1. September letzten Jahres gilt die Novelle zum AZG, die die Umsetzung eines 12-Stunden-Arbeitstages erleichtert. Die Statistikabteilung der AUVA hat analysiert, ob und wie sich die gesetzlichen Änderungen auf die Zahl und Schwere der Arbeitsunfälle ausgewirkt haben.

Abbildung 1: Altersaufteilung der Arbeitsunfälle
Abb. 1: Altersaufteilung der Arbeitsunfälle im engeren Sinn Juli 2018 bis März 2019; gültig aus Unfallmeldungen erfasste Fälle AUVA

Seit 6 Uhr morgens war Marco in der Tischlerei, eigentlich wäre er nach der Arbeit gerne noch laufen gegangen. Ob er nicht heute noch zu den Müllers fahren könne, fragte ihn sein Chef, da war es schon 15.15 Uhr. Die hätten doch mehr als vier Monate auf ihre neue Küche gewartet, nur der Geschirrspüler sei noch einzubauen. Dass sich das als besonders mühsam und zeitaufwendig erweisen sollte, hatte der Chef wohl nicht vermutet. Ist eh schon egal, dachte Marco, als ihm Herr Müller um 5 Uhr zeigte, wo die Sockelblende zu lang sei. 

Marco holte seine Stichsäge, setzte an und hörte das Gekreische der beiden Müllerkinder, die offensichtlich gerade fangen spielten. „Nicht in die Küche“, schrie der Ältere, der Jüngere hörte nicht auf ihn und stürmte herein. Marco rutschte mit der Säge ab und schnitt sich in den linken Zeigefinger. Das hätte noch weit schlimmer kommen können, sagte er sich am Weg ins Krankenhaus. 

Generell keine signifikanten Unterschiede

Seit September 2018 darf bis zu 12 Stunden pro Tag gearbeitet werden. Seit Juli 2018 verarbeitet die AUVA sowohl die Unfall- als auch die Arbeitsbeginnzeit aus den Unfallmeldungen. Ebenfalls seit Jahresmitte wird erfasst, ob jemand Schichtarbeit geleistet hat. Leider sind nicht in allen Fällen Unfallmeldungen – bzw. korrekt ausgefüllte Unfallmeldungen – vorhanden, daher beziehen sich die folgenden Zahlen auf die Teilmenge der Arbeitsunfälle, für die die korrekten Informationen zur Verfügung standen. Es fehlen von den rund 55.000 in den Monaten Juli 2018 bis März 2019 bisher anerkannten Arbeitsunfällen bei circa 18.000 die Zeitangaben, und es können daher zum jetzigen Zeitpunkt nur circa 37.000 Arbeitsunfälle (ohne Wegunfälle) nach vergangenen Arbeitsstunden ausgewertet werden. Wie die zeitliche Lagerung dieser Unfälle aussieht, zeigt Tabelle 1. 

Die mit Abstand meisten Arbeitsunfälle ereignen sich in der vierten Arbeitsstunde, gefolgt von der dritten. Hauptzeit für die Mittagspause dürfte die sechste Stunde nach Arbeitsbeginn sein, die Unfallgefahr beim Essen ist deutlich reduziert. Nach diesem Einschnitt gibt es in der siebenten und vor allem in der achten Arbeitsstunde schon wieder deutlich mehr Unfälle. Eine Änderung, die mit 1. September 2018 eingesetzt hätte, lässt sich mit den bisher vorliegenden Daten nicht feststellen. Es scheint fast so, als wären gerade in den Sommermonaten die Anteile der Arbeitsunfälle in den späteren Stunden sogar etwas höher gewesen.

Ein interessantes Bild zeigt sich, wenn man das Alter der Verunfallten ansieht: Generell sind junge männliche Arbeitnehmer – vor allem die unter-25-Jährigen, aber auch noch die Altersgruppe bis 35 – deutlich mehr gefährdet als die älteren. Der Prozentanteil der 45- bis 55-Jährigen, die etwa in der zehnten Arbeitsstunde verunfallen, ist allerdings der höchste, wenn man die Aufteilung innerhalb der Altersgruppen betrachtet (vgl. Abb. 1).

Nächste Frage: Gibt es Unterschiede nach Branchen?

Mit 593 Arbeitsunfällen in der zehnten Arbeitsstunde im Betrachtungszeitraum liegt das Bauwesen deutlich an der Spitze bei „späteren“ Schadensfällen. In der gesamten Produktion (= Herstellung von Waren) passierten schon deutlich weniger als die Hälfte Arbeitsunfälle (250) im selben Zeitraum. Die höchsten Werte in der zehnten Stunde erreichten die Herstellung von Metallerzeugnissen, die Herstellung von Holzwaren, der Maschinenbau und die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln. 

Abbildung 2: Stundenaufteilung der Arbeitsunfälle
Abb. 2: Stundenaufteilung der Arbeitsunfälle im engeren Sinn Juli 2018 bis März 2019 gültig aus Unfallmeldungen erfasste Fälle „Metall-Elektro“ AUVA

Leider sind die Angaben, ob Schichtarbeit geleistet wurde oder nicht, im Beobachtungszeitraum noch zu selten vorhanden, um festzustellen, inwiefern etwa ein Arbeitsbeginn am Nachmittag oder Abend bzw. die Tatsache, dass Schichtarbeit geleistet wird, auf das Unfallgeschehen, sich auf das Unfallaufkommen auswirkt.

Unfallschwere nimmt mit längerer Arbeitsdauer zu

Greifen wir mit dem Metallsektor dennoch einen Bereich heraus, von dem man annehmen kann, dass die sogenannten „Nine-to-five-Jobs“ nicht überwiegend sind (siehe Abb. 2): 0,8 Prozent der als Arbeitsunfälle (ohne Wegunfälle!) gemeldeten Schadensfälle passieren vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn. 

Oft ist die Abgrenzung nicht ganz einfach: Es kann sein, dass der Mitarbeiter einen sehr langen Weg zum eigentlichen Arbeitsplatz hat und dass die Grenze zum „Firmeneingang“ sehr variabel gesehen wird. Andererseits ist es genauso möglich, dass es sich um angeordnete Übergaben handelt und dass die vor dem „offiziellen“ Schichtwechsel zu erfolgen haben. 

Tabelle 1:  Zeitliche Lagerung der Arbeitsunfälle
Tab 1: Zeitliche Lagerung der Arbeitsunfälle im engeren Sinn Juli 2018 bis März 2019 gültig aus Unfallmeldungen erfasste Fälle

Wir sehen auf jeden Fall relativ hohe Anteile an Arbeitsunfällen in den siebten bis neunten Arbeitsstunden (vgl. Abb. 2), in der siebten und achten auch deutlich höhere als in anderen Wirtschaftszweigen.

Seit einiger Zeit werden die Arbeitsunfälle je nach Diagnose vonseiten der AUVA als leicht, mittel oder schwer klassifiziert. Der Anteil der schweren Arbeitsunfälle ist bei den in die Untersuchung einbezogenen Schadensfällen in der zehnten Arbeitsstunde am höchsten, der Anteil der „mittelschweren“ ebenfalls. Somit ist es leider so, dass die Unfallfolgen,  je länger jemand vor und bis zum Unfallzeitpunkt gearbeitet hat,  schwerer sind. 26 der betrachteten Arbeitsunfälle endeten tödlich, einer davon ereignete sich in der zehnten und zwei davon in der elften Arbeitsstunde. 

Zusammenfassung

Die Statistikabteilung der AUVA hat erste Auswertungen vorgenommen, um der Frage nachzugehen, ob sich der gesetzlich mögliche 12-Stunden-Tag auf die Entwicklung der Arbeitsunfälle auswirkt


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