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Aktuell

Krebs: Die Todesursache Nr. 1 am Arbeitsplatz

Arbeitsbedingte Krebserkrankungen sind in Hochlohnländern einschließlich der EU die häufigste Todesursache am Arbeitsplatz, Tendenz steigend. Neben dem großen menschlichen Leid entstehen dadurch enorme Kosten für Gesellschaft und Wirtschaft. Dabei wären viele Fälle berufsbedingter Krebserkrankungen vermeidbar, doch Wissen und Bewusstsein zu krebserzeugenden Arbeitsstoffen sind oft noch gering. Die AUVA rückt das Thema daher ins Zentrum ihres Präventionsschwerpunktes für 2018 bis 2020.

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In der EU sterben jährlich etwa 102.500 Menschen an arbeitsbedingten Krebserkrankungen, 20-mal mehr als durch tödliche Arbeitsunfälle. In Österreich sind es etwa 20.000 Menschen, die jedes Jahr an Krebs sterben. Gemäß einer Hochrechnung aggregierter EU-Daten sind davon geschätzt 1.820 Todesfälle – also etwa 10 Prozent – auf arbeitsbedingten Krebs zurückzuführen, wobei davon nicht alle Fälle anerkannte Berufskrankheiten sein müssen (vgl. Statistik Austria, 2016 und Takala, 2016). Zum Vergleich: In Österreich starben zuletzt 76 Menschen bei einem Arbeitsunfall im engeren Sinn.

Gesundheitspolitisches Problem

Der relative Anteil der Todesfälle infolge von Krebs und arbeitsbedingtem Krebs nimmt aufgrund der steigenden Lebenserwartung und des allmählichen Rückgangs anderer Todesursachen wie Infektionskrankheiten und Verletzungen zu. Arbeitsbedingte Expositionen verursachen zudem Krebsarten mit einer hohen Sterblichkeitsrate wie z. B. Lungenkrebs. Die Ausbreitung von Krebserkrankungen stellt auch ein gravierendes gesundheitspolitisches Problem dar, und zwar auf der ganzen Welt. Dabei lässt sich beobachten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in niedrig qualifizierten Berufen öfter krebsauslösenden Faktoren ausgesetzt sind als jene in hoch qualifizierten Jobs. Dies trifft auch auf Instandhaltungsarbeiten oder auf in Unteraufträgen vergebene Arbeiten zu (vgl. Takala, 2016).

Neben dem großen menschlichen Leid entstehen durch arbeitsbedingten Krebs auch enorme volkswirtschaftliche Kosten: In Europa werden diese auf mindestens 2,4 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt (vgl. Jongeneel et al., 2016).

Abbildung: Jährliche Arbeitsbedingte Todesfälle
Jährliche Arbeitsbedingte Todesfälle in der EU28 und in anderen Industrieländern Quelle: Takala, J.: Arbeitsbedingte Krebserkrankungen müssen in Europa und weltweit verhindert werden, deutsche Übersetzung des ETUI WP 2015.10, Wien 2016.
Abbildung: Geschätzte Anzahl der Todesfälle pro EU-Land im Jahr 2011
Geschätzte Anzahl der Todesfälle pro EU-Land im Jahr 2011, die auf arbeitsbedingte Krebserkrankungen zurückzuführen sind; basierend auf dem Report von Jukka Takala aus 2015 Quelle: Takala, J.: Arbeitsbedingte Krebserkrankungen müssen in Europa und weltweit verhindert werden, deutsche Übersetzung des ETUI WP 2015.10, Wien 2016.

Asbest weiterhin „Killer Nr. 1“

Insgesamt sind die zehn am häufigsten verwendeten krebserzeugenden Stoffe für 85 Prozent aller Todesfälle verantwortlich. Asbest liegt dabei weiter vorne: Von den 102.500 arbeitsbedingten tödlichen Krebserkrankungen in der EU-28 sind jährlich bis zu 47.000 auf Asbest zurückzuführen. Diese Zahl steigt noch immer an, obwohl Asbest bereits seit 1990 in Österreich und seit 2005 in der gesamten EU verboten ist. Schließlich wurde ab etwa 1950 und bis zu den Verboten flächendeckend Asbest verbaut. Asbest wird also noch über Jahrzehnte im europäischen Arbeitsumfeld präsent sein.

Abbildung: häufigste Karzinogene und arbeitsbedingte Expositionen in Großbritannien
Die häufigsten Karzinogene und arbeitsbedingte Expositionen in Großbritannien Quelle: ETUI – European Trade Union Institute: Infographic Stop cancer at work.

Krebs durch Arbeit ist vermeidbar

Die gute Nachricht nach all diesen „bad news“: Viele Fälle berufsbedingter Krebserkrankungen sind vermeidbar. Schließlich sieht das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (§ 7 „Grundsätze der Gefahrenverhütung“ und § 43 „Maßnahmen zur Gefahrenverhütung“) eine klare Rangfolge von Schutzmaßnahmen (STOP-Prinzip) vor, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor der Exposition schützen. Oberstes Gebot ist dabei die Substitution. Für eindeutig krebserzeugende Stoffe besteht eine Ersatzpflicht, wenn ein gleichwertiges Arbeitsergebnis mit nicht oder weniger gefährlichen Arbeitsstoffen erzielt werden kann.

Viele zunächst krebsverdächtige Stoffe stellen sich letztendlich als eindeutig krebserzeugend heraus, daher ist auch bei krebsverdächtigen Stoffen stets deren Ersatz anzustreben. Ist ein Ersatz nicht möglich, haben technische und organisatorische Maßnahmen Vorrang vor der Verwendung Persönlicher Schutzausrüstung. Besonders wichtig sind darüber hinaus eine praxisgerechte Unterweisung und die strikte Einhaltung von Hygienevorschriften. Arbeitsstoffe gelangen über verunreinigte Hände oft ganz unbemerkt ins Essen und Trinken oder werden beim (gesundheitsschädlichen) Rauchen aufgenommen. Auch der Arbeitskleidung können krebserzeugende Arbeitsstoffe anhaften und damit in den Körper gelangen. Die Arbeitskleidung sollte sofort gewechselt werden, wenn sie beschmutzt ist, stets getrennt von der Straßenkleidung aufbewahrt und keinesfalls mit nach Hause zur Reinigung genommen werden.

Wissen als Lebensretter

Diese Grundsätze der Gefahrenverhütung können jedoch nur dann richtig angewendet werden, wenn das Wissen und das Bewusstsein zu krebserzeugenden Arbeitsstoffen und zum sicheren Umgang damit gegeben sind. Oft liegt darin schon das Problem, erklärt Chemikerin Dr. Silvia Springer von der AUVA: „Im Gegensatz zu zugekauften chemischen Produkten, bei denen der Inverkehrbringer verpflichtet ist, auf der Verpackung über die gefährlichen Eigenschaften des Produktes zu informieren, entstehen viele krebserzeugende Arbeitsstoffe erst während des Arbeitsprozesses oder werden dabei freigesetzt. Diese sind nicht gekennzeichnet und somit auch nicht sofort als krebserzeugend erkennbar. Um beurteilen zu können, ob und in welcher Menge krebserzeugende Stoffe entstehen, sind genaue Kenntnisse über das Arbeitsverfahren notwendig. Also zum Beispiel, welche Produkte werden eingesetzt, bei welchen Verarbeitungstemperaturen, wie ist ihr Dampfdruck etc.“

Formaldehyd-Lösung
Zugekaufte chemische Produkte, wie diese Formaldehyd-Lösung, müssen eine entsprechende Kennzeichnung tragen, wenn sie krebserzeugend sind. Richard Reichhart

„Gib Acht, Krebsgefahr!“ – AUVA schafft Bewusstsein

Um Wissen und Bewusstsein zu krebserzeugenden Arbeitsstoffen zu erhöhen, widmet die AUVA ihren Präventionsschwerpunkt 2018–2020 diesem Thema.

DI Georg Effenberger, Leiter der AUVA-Präventionsabteilung, dazu: „Im Sinne unseres gesetzlichen Auftrages zur Vorbeugung von Berufskrankheiten machen wir unter dem Motto ‚Gib Acht, Krebsgefahr!‘ auf die Problematik krebserzeugender Arbeitsstoffe aufmerksam. Im Rahmen des Präventionsschwerpunktes werden AUVA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter Betriebe dabei unterstützen, Wege des sicheren Umgangs mit krebserzeugenden Stoffen und Produkten zu finden, um so berufsbedingte Krebserkrankungen zu verhindern. Das Forum Prävention von 4. bis 7. Juni 2018 in Innsbruck wird die Auftaktveranstaltung für unseren Schwerpunkt sein.“

Im Rahmen der Initiative werden Betriebsberatungen, Informationsmaterialien und Software-Tools zur Sensibilisierung und Wissensvermittlung eingesetzt. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollen so in die Lage versetzt werden, fundierte, für ihr Unternehmen angepasste Maßnahmen zu setzen. „Egal, ob Formaldehyd im Gesundheitswesen, Asbest, Schweißrauch und Holzstaub am Bau, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe beim Rauchfangkehren oder Benzol im Benzin von Motorsägen – krebserzeugende Produkte und Stoffe werden in vielen unterschiedlichen Branchen eingesetzt bzw. entstehen während Arbeitsprozessen. Für die dort tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können vorbeugende Maßnahmen und praxisgerechte Unterweisungen zum sicheren Umgang mit krebserzeugenden Arbeitsstoffen im wahrsten Sinne des Wortes ‚lebenswichtig‘ sein“, weiß Effenberger.

Gebündelte Kräfte

Die AUVA knüpft mit ihrem Präventionsschwerpunkt an die Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – Gefährliche Substanzen erkennen und handhaben“ der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz EU-OSHA an (www.healthy-workplaces.eu). Ebenso wie die im Rahmen der niederländischen Ratspräsidentschaft beschlossene „Roadmap on Carcinogens“ (https://roadmaponcarcinogens.eu/) fokussiert die AUVA in ihrer Initiative auf jene gefährlichen Arbeitsstoffe, die krebserzeugend sind. Der AUVA-Präventionsschwerpunkt ist Teil der Österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzstrategie 2013–2020 (ÖAS), die unter anderem ein koordiniertes Vorgehen der relevanten nationalen Akteure gewährleisten soll. Auch die Arbeitsinspektion führt 2017–2018 einen österreichweiten Beratungs- und Kontrollschwerpunkt „Kanzerogene Arbeitsstoffe“ durch (www.arbeitsinspektion.gv.at/inspektorat/Arbeitsstoffe/Schwerpunktthema_Kanzerogene_Arbeitsstoffe). Ziel ist es, Betriebe durch Aufklärung und Information für das Thema zu sensibilisieren und dadurch gleichzeitig eine höhere Gesetzeskonformität zu erreichen.

Die SICHERE ARBEIT wird während des Präventionsschwerpunktes laufend Fachartikel zu verschiedenen Aspekten des Themas krebserzeugende Arbeitsstoffe bringen. Alle hier angeführten Informationen, Aktivitäten und Materialien und noch mehr sind auf der Schwerpunkt-Webseite www.auva.at/krebsgefahr stets aktuell zu finden.

Quellen:

  • Carey, R., Driscoll, T. R., Peters, S. M., Glass, D. C., Reid, A., Benke, G., und Fritschi, L., 2014: „Estimated prevalence of exposure to occupational carcinogens in Australia (2011–2012)“, Occupational and Environmental Medicine, 71, S. 55–62.
  • Jongeneel, W. P., Eysink, P. E. D., Theodori, D., Hamberg-van Reenen, H. H. und Verhoeven, J. K.: Work related cancer in the European Union: Size, impact and options for further prevention, RIVM Letter report 2016-0010.
  • Nenonen, N., Hämäläinen, P., Takala, J., Saarela, K. L., Lim, S. L., Lim, G. K., Manickam, K. und Yong, E.: Global estimates of occupational accidents and fatal work-related diseases in 2014, Singapore, Workplace Safety & Health Institute, 2014.
  • Statistik Austria (Hrsg.): Krebserkrankungen in Österreich, Wien 2016.
  • Statistik Austria (Hrsg.): Jahrbuch der Gesundheitsstatistik 2015, Wien 2017.
  • Takala, J.: Arbeitsbedingte Krebserkrankungen müssen in Europa und weltweit verhindert werden, deutsche Übersetzung des ETUI WP 2015.10, Wien 2016.

INFOBOX: Was ist Krebs?

Es gibt viele Arten und viele Ursachen von Krebs. Krebs ist ein Sammelbegriff für die Gruppe der bösartigen Tumorerkrankungen. Ihr gemeinsames Merkmal ist das unkontrollierte Wachstum von Tumorzellen, die gesundes Gewebe verdrängen oder zerstören können. Viele Faktoren tragen zum persönlichen Risiko einer Krebserkrankung bei. Dazu zählen familiäre oder genetische Faktoren, Lebensstil (z. B. Rauchen) und Umweltfaktoren (z. B. Luft- oder Wasserverschmutzung). Belastungen durch krebserzeugende Arbeitsstoffe (z. B. chemische Produkte) und bestimmte Bedingungen am Arbeitsplatz (z. B. Strahlung) schaffen oder erhöhen das persönliche Risiko, an Krebs zu erkranken, bzw. tragen zu einem früheren Ausbruch der Erkrankung bei. Die unterschiedlichen Risikofaktoren können sich gegenseitig verstärken.

Was sind krebserzeugende Arbeitsstoffe?

Als krebserzeugend werden Stoffe und Gemische bezeichnet, die beim Menschen durch Einatmen, Verschlucken oder Aufnahme über die Haut Krebs erzeugen oder die Krebsentstehung fördern können. Das können zugekaufte Produkte bzw. Chemikalien sein, wie Formalin (Formaldehydlösung), das zum Einlegen von Gewebeteilen in der Pathologie verwendet wird. Diese Produkte müssen vom Hersteller gekennzeichnet sein. Es können aber auch Stoffe sein, die erst während des Arbeitsprozesses entstehen oder freigesetzt werden, etwa Holzstaub oder Schweißrauch. Solche entstehenden Stoffe sind natürlich nicht gekennzeichnet und daher schwieriger zu erkennen. Krebserzeugende Arbeitsstoffe können zudem in eindeutig krebserzeugende und krebsverdächtige Arbeitsstoffe unterteilt werden.

Als eindeutig krebserzeugend gelten jene Stoffe, die erfahrungsgemäß beim Menschen oder im Tierversuch zu Krebserkrankungen führen. Als krebsverdächtig gelten jene Stoffe, die z. B. im Tierversuch Anhaltspunkte für eine krebserzeugende Wirkung aufweisen. Eine Liste der krebserzeugenden Arbeitsstoffe findet sich im Anhang III der Grenzwerteverordnung.

Wie erkennt man arbeitsbedingten Krebs?

Es gibt keinen sichtbaren Unterschied zwischen dem Krankheitsbild von beruflich bedingten Krebserkrankungen und jenem von Krebserkrankungen, denen andere Ursachen zugrunde liegen. Es ist daher schwierig, eine genaue Anzahl arbeitsbedingter Krebsfälle zu erheben, auch weil die Krankheit oft erst Jahrzehnte nach einer Exposition ausbricht und diagnostiziert wird; zum Teil sind die Betroffenen bereits in Pension.

Ist arbeitsbedingter Krebs automatisch eine anerkannte Berufskrankheit?

Nein, denn die Berufskrankheit ist kein medizinischer, sondern ein sozialpolitischer Begriff. Als Berufskrankheit dürfen Unfallversicherungsträger nur jene arbeitsbedingten Krankheiten anerkennen, die in der vom Gesetzgeber festgeschriebenen Berufskrankheitenliste des ASVG erfasst sind. In Einzelfällen kann es auch noch über die sogenannte Generalklausel zu einer Anerkennung kommen. Hierfür gelten allerdings noch strengere Voraussetzungen. Derzeit sind 53 Krankheiten in der Liste aufgeführt, unter anderem auch einige Krebserkrankungen. Grundvoraussetzungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit sind jedenfalls die Meldung des Verdachts auf eine solche beim Unfallversicherungsträger und der eindeutige kausale Zusammenhang der Krankheit mit der Arbeitstätigkeit.

In bestimmten Fällen kann dieser Zusammenhang einfacher hergestellt werden: beispielsweise beim Mesotheliom, einer Krebserkrankung, die vor allem bei Menschen auftritt, die mit Asbest Kontakt hatten. Bei anderen, häufig in der Allgemeinbevölkerung vorkommenden Krebserkrankungen ist es schwieriger, wie etwa bei einem langjährigen Raucher, der Lungenkrebs bekommt.

Zusammenfassung

Der Artikel zeigt auf, warum die AUVA ihren nächsten Präventionsschwerpunkt auf krebserzeugende Arbeitsstoffe ausgerichtet hat und welche Aktivitäten im Rahmen dieses Schwerpunktes in den kommenden 18 Monaten gesetzt werden.


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