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Statistik

Wann ist ein Unfall schwer? Eine Antwort aus Sicht der Statistik

Wann ist ein Unfall schwer? Allein die Faktoren Ausfallzeit oder allfällige Höhe einer Rente heranzuziehen, erwies sich in der Vergangenheit oft als nicht aussagefähig genug. Daher wurde vor mittlerweile drei Jahren die „Diagnosenschwere“ als neue Klassifikation eingeführt. Doch diese allein liefert nicht immer ein treffsicheres Bild. Hier hat die AUVA-Statistik nun nachgeschärft.

Unfall zwischen Auto und Fahrradfahrer
fotolia / arborpulchra

Wie jeden ersten Donnerstag im Monat fuhr das Müllfahrzeug seine Route durchs Dorf. Markus stand auf dem Trittbrett, sein Kollege wollte gerade links zufahren, als die hinter dem Müllwagen fahrende Pkw-Lenkerin ihren Überholvorgang begann, der in einem Auffahrunfall zu enden drohte. Markus sprang – bei fast 25 km/h laut Unfallmeldung – und landete nicht sanft, sondern brach sich beim Sturz den Arm. Dieser Bruch war so folgenschwer, dass Markus sowohl eine vorläufige Versehrtenrente als auch ein Rehabilitationsaufenthalt in Tobelbad gewährt wurden.

Ein Fall wie dieser ist selbstverständlich als schwerer Unfall einzuordnen – das Unfallopfer wurde berentet, es gab einen langen Ausfall. Allein: diese beiden Kriterien anzusehen, hat irgendwann nicht mehr ausgereicht. Deshalb erstellte die Abteilung Statistik in Zusammenarbeit mit einem Unfallchirurgen und der medizinischen Direktion der AUVA vor mittlerweile drei Jahren eine ganz neue Klassifikation – die sogenannte „Diagnosenschwere“.

1.230 Kombinationen geclustert

Alle 1.230 sinnvollen Kombinationen von Verletzungsarten und Körperregionen (beide nach der European Statistics of Accidents at Work-Methodology 2011 [ESAW-Methodologie]) wurden in die drei Gruppen „leicht“ (835 Kombinationen), „mittel“ (199 Kombinationen) und „schwer“ (196 Kombinationen) geclustert. Die jeweils schwerste der gemeldeten Verletzungen nach einem Arbeits- oder Schülerunfall bestimmte ab diesem Zeitpunkt die Diagnosenschwere (vgl. Tab. 2) – und dieses neue Attribut wurde auch rückwirkend in allen zur Verfügung stehenden Unfallsätzen ergänzt.

Tabelle: Bisherige Aufteilung der Arbeitsunfälle nach Diagnosenschwere
Tab. 1: Bisherige Aufteilung der Arbeitsunfälle nach Diagnosenschwere

Bezogen auf die Arbeitsunfälle ohne Wegunfälle ergab diese Einteilung in den letzten Jahren (vgl. Tab 1) rund 80 Prozent leichte Unfälle, circa 12 Prozent mittlere und 8 bis 9 Prozent schwere. Der jeweilige Anteil der mittleren und schwereren Diagnosen ist ganz leicht gegenüber dem Anteil der leichteren gestiegen. Tödlich verlaufene Arbeitsunfälle wurden selbstverständlich immer als schwer eingestuft, hier gab es aber in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Rückgang.

Die Einteilung hat sich weitgehend bewährt und die neue Variable „Diagnosenschwere“ wurde relativ häufig nachgefragt. Als nächstes wurde der Anteil der schweren Arbeitsunfälle innerhalb einer Firma als ein sinnvolles Kriterium zur gezielten Unfallprävention – vor allem in großen Firmen – erachtet und fand damit Eingang in die Auswahl der Betriebe zur sogenannten „Schwerpunktbetriebsbetreuung“ durch die fachkundigen Organe der AUVA.

Bei den Beratungen vor Ort stellte sich allerdings manchmal heraus, dass einzelne Arbeitsunfälle anscheinend nicht wirklich in die allgemeine Schablone passten. Sei es, dass die Arbeit weit schneller wieder aufgenommen wurde, als es die gemeldete Verletzung vermuten hätte lassen, sei es, dass der Ausfall des Unfallopfers weit länger dauerte als angenommen – es fanden sich Belege, wo die „Diagnosenschwere“ eventuell nicht passte. Und mit der Erklärung, das seien eben Einzelfälle, die anders als alle vergleichbaren gelagert seien, wollte man sich nicht länger zufrieden geben.

Tabelle: Diagnosenschwere – Übersicht
Tab. 2: Diagnosenschwere – Übersicht

Krankenstandsdauer als Kriterium?

Wie aber die systematischen Ausreißer finden? Zu allen Arbeitsunfällen Erwerbstätiger werden der AUVA jährlich von den Gebiets- und Betriebskrankenkassen die zugehörigen Ausfallstage zur Verfügung gestellt. Damit gibt es ein Kriterium, anhand dessen sich die nach rein medizinischen Gesichtspunkten getroffene Einteilung überprüfen lässt.

Wir sind davon ausgegangen, dass je nach Schwere auch der nach dem Unfall entstandene Krankenstand unterschiedlich lang sein muss. In die Evaluation wurden die Arbeitsunfälle der letzten drei Jahre einbezogen, im ersten Schritt eingeschränkt auf nicht tödlich verlaufene meldepflichtige.

Der Medianwert der Krankenstandsdauer lag bei dieser Filterung bei den leichten Diagnosen bei 10 Ausfallstagen, bei den mittleren bei 29 und bei den schweren bei 35. Das heißt, dass die Hälfte der 102.452 „leichteren“ Opfer von Arbeitsunfällen, die aber zumindest 4 Ausfallstage verursacht haben, nach spätestens 10 Tagen wieder einsatzfähig waren, die andere Hälfte über 10 Tage im Krankenstand verbrachte. 45 verschiedene Diagnosen davon fallen sozusagen ins „oberste Viertel“ und führten auch in Anbetracht der Klassifikation als „leicht“ übermäßig häufig zu stationären Aufenthalten. Konkret heißt das, dass daher nun Kieferfrakturen, Verrenkungen des Sprunggelenks oder Bänderrisse hinaufgestuft werden.

Abbildung: Beispiel Auf- und Abstufung aus Diagnosenschwere mittel zu leicht und schwer
Abb. 1: Beispiel Auf- und Abstufung aus Diagnosenschwere mittel zu leicht und schwer

Bei den mittelschweren Diagnosen verfolgten wir einen ähnlichen Ansatz, logischerweise ergab sich, dass wir hier sowohl Fälle nach unten als auch nach oben umstufen müssen. Für 22 Diagnosen ergab sich, dass sie im Allgemeinen doch zu deutlich weniger Ausfall als der Rest führen, hier seien stellvertretend Kreislauf- oder Hörprobleme angeführt. Die Krankenstandsdauern nach diesen Diagnosen durften die unteren 75 Prozent der Ausfallszeiten der bisher als leicht klassifizierten Unfälle auch nicht überschreiten – sodass in Zukunft eine homogenere Verteilung entsteht.

Umstufungen notwendig

23 andere Kombinationen aus Verletzungsart und Körperteil wiederum sind nach der Evaluierung nicht mehr als mittel, sondern als schwer einzustufen. Auch diese zeichnen sich durch einen sehr hohen Anteil an folgenden stationären Aufenthalten und Medianwerten bei den Krankenstandsdauern, die teilweise weit über 100 liegen, aus. Hier ist natürlich auch die Anzahl der Fälle mit zu bedenken. Insbesondere wenn diese Aussage für über 40 Arbeitsunfälle zutrifft, herrscht dringender Änderungsbedarf bei der Einteilung.

Abbildung: aktuelle Verteilung Krankenstandsdauern - Diagnosenschwere
Abb. 2: aktuelle Verteilung Krankenstandsdauern - Diagnosenschwere

Abbildung 1 veranschaulicht die Auf- und Abstufung von Diagnosen aus der mittleren Diagnosenschwere. In die grünen Flächen fallen 50 Prozent der Patientinnen und Patienten mit den jeweiligen Diagnosen, die schwarze Linie innerhalb der grünen Boxen stellt den jeweiligen Median dar.

Fersenbeinbrüche (= geschlossene Frakturen der Ferse) beanspruchen weit mehr Krankenstandstage als die meisten Verletzungen der mittleren Diagnosenschwere und werden daher aufgestuft. Geschlossene Rippenfrakturen bleiben in der mittleren Diagnosenschwere, während die Verrenkungen der Halswirbelsäule eindeutig weniger Krankenstandstage verursachen und somit in Zukunft als leicht bewertet werden.

Abbildung: zukünftige Verteilung Krankenstandsdauern - Diagnosenschwere
Abb. 3: zukünftige Verteilung Krankenstandsdauern - Diagnosenschwere

Bei den schweren Diagnosen wiederum werden wir nach derselben Methodik 45 hinkünftig doch als mittel betrachten, die meisten der gemeldeten Augenverätzungen haben glücklicherweise keine drastischen Folgen, genau wie der Bruch eines einzelnen Fingers.

Durch die neue Einteilung ergibt sich ein klarer Unterschied der Krankenstandsdauern zwischen den Diagnosenschweren (vgl. Abb. 2 und 3).

Abbildung: Übersicht Änderungen bei der Klassifikation
Abb. 4: Übersicht Änderungen bei der Klassifikation

Die Abteilung Statistik der AUVA wird diese Änderungen (vgl. auch Abb. 4) rückwirkend auf alle Unfalldaten anwenden. Auch wenn das bedeutet, dass sich hier in einzelnen Auswertungen kleine Unterschiede ergeben könnten, sollten wir sie nochmals durchführen. Darüber hinaus planen wir – insbesondere wegen der Änderungen bei sehr kleinen Fallzahlen –, auch die Evaluierung zu wiederholen. Auf die Auswahl der schwerpunktmäßig zu betreuenden großen Betriebe wird sich unsere neue, verbesserte Klassifikation in Zukunft ebenfalls auswirken, wir hoffen, damit ab 2018 noch treffsicherer zu werden.

Zusammenfassung

Die Autorinnen berichten, mit welchen Methoden und Klassifikationen Unfallfolgen von der AUVA-Statistik als leicht, mittel oder schwer eingestuft werden.


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