Alternsgerechtes Arbeiten
„Passende“ Arbeitsplätze für Ältere
Aus dem Programm zur Betrieblichen Gesundheitsförderung hat die EWE/FM Küchen Gesellschaft m.b.H. das Modell der „optimalen Passung Mensch – Arbeitsplatz“ entwickelt. Ziel ist es, Arbeitsplätze so zu gestalten, dass sie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zum Pensionsalter geeignet sind.
Nach zwei Jahren intensiver Arbeit an gesundheitsfördernden Maßnahmen für die Belegschaft bekam die EWE/FM Küchen Gesellschaft m.b.H. aus Wels im Februar 2016 das BGF-Gütesiegel für Betriebliche Gesundheitsförderung verliehen. Die Auszeichnung ist für EWE/FM ein Höhepunkt, aber keinesfalls der Endpunkt einer Entwicklung, deren Ziel in der „optimalen Passung“ von Mensch und Arbeitsplatz besteht. Ein wesentliches Kriterium stellt die Reduktion von als „alterskritisch“ angesehenen Arbeitsbedingungen dar.
Dabei kann das Unternehmen, das heuer sein 50-jähriges Firmenjubiläum feiert, auf reiche Erfahrungen in der Fertigung von Einbauküchen zurückgreifen. In den Küchen ist die Höhe der Arbeitsflächen auf die Körpergröße der benutzenden Person abgestimmt, was Fehlhaltungen und in deren Folge Schmerzen des Bewegungsapparates verhindert. Ergonomisch günstige Arbeitshöhen und die Vermeidung unnatürlicher Bewegungen schützen auch die Arbeiter in der Produktion vor Rücken- und Gelenksproblemen.
Ergonomie ist ein Anliegen
Die Beschäftigung mit Betrieblicher Gesundheitsförderung begann bei EWE/FM auf Initiative von Personalchef Werner Unterfurtner, MSc, im Jahr 2014. Rudolf Forstner, bei EWE/FM für Produktionsorganisation und mittlerweile auch für den Schwerpunkt „alternsgerechtes Arbeiten“ zuständig, erinnert sich: „Die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind eruiert worden, wobei sich bald herausgestellt hat, dass ihnen die Ergonomie des Arbeitsplatzes ein besonderes Anliegen ist. Produktionsleiter Dipl.-Ing. Hermann Huber hat mich damals beauftragt herauszufinden, welche Arbeitsplätze auch für ältere Kollegen geeignet sind. Das war für mich eine große Herausforderung.“
Forstner meisterte sie, indem er sich umfassende Informationen zu alternsgerechtem Arbeiten beschaffte. Eine wahre Fundgrube dafür war die von der AUVA abgehaltene Fortbildungsveranstaltung zu diesem Thema, die im Jänner und Februar 2015 im EWE/FM-Werk Wels stattfand. Dabei lernte er Mitarbeiter der Technischen Universität München kennen, die gerade dabei waren, in Zusammenarbeit mit der AUVA in Wien einen Leitfaden für alternsgerechtes Arbeiten zu erstellen. Forstner machte ihnen ein Angebot: Sie würden für ihre Arbeiten ein Büro im Haus zur Verfügung gestellt bekommen, wenn er im Gegenzug dazu in ihre Forschungen Einblick nehmen dürfe.
Die Münchner willigten ein, und Forstner hatte die Gelegenheit, zahlreiche interessante Gespräche mit ihnen zu führen. Er erhielt von ihnen Unterlagen zum Thema alternsgerechtes Arbeiten und schließlich auch den fertigen Leitfaden. Dieser war eher allgemein gehalten und musste daher an die Gegebenheiten in den EWE/FM-Werken in Wels und Freistadt angepasst werden. „Die sogenannte ‚Leitmerkmal-Methode‘ haben wir unseren Arbeitsmedizinerinnen und -medizinern sowie Arbeitspsychologinnen und -psychologen mit der Frage unterbreitet, wie wir das im Haus verwenden und alternsgerechte Arbeitsplätze definieren können“, so Forstner.
Gesunde Arbeitsplätze
Die ursprüngliche Problemstellung, ab wann jemand alt sei und daher einen „altersgerechten“ Arbeitsplatz brauche, war inzwischen verworfen worden; stattdessen strebte man gesunde, „alterNsgerechte“ Arbeitsplätze an, die so beschaffen sein sollten, dass die Beschäftigten auch mit über 60 Jahren noch schmerzfrei dort arbeiten können. Der Fokus lag und liegt darauf, die Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. „Wir kriegen nichts nach“, liefert Forstner die Begründung dafür, „und das Pensionsalter wird radikal steigen.“
In Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. Michael Wichtl, bei der AUVA für die Zertifizierung von Personen und SGM-Systemen zuständig, wurden bei EWE/FM Ergonomiebeauftragte ausgebildet, insgesamt neun an den beiden Standorten Wels und Freistadt. Sie begannen, anhand des Leitfadens jeden einzelnen Arbeitsplatz zu analysieren, je einen pro Monat. Dafür zogen sie Daten dafür heran, welche Tätigkeiten am jeweiligen Arbeitsplatz durchgeführt und welche, wie viele und wie schwere Teile pro Tag manipuliert wurden. Die Ergonomiebeauftragten beobachteten, welche Haltung die Arbeiter beim Heben, Tragen, Schieben oder Ziehen einnahmen und ob sie dabei unnatürliche Bewegungen machten. Danach eruierte man in Gesprächen die subjektiv empfundenen Belastungen.
Aus den Erfahrungen, die bei dieser Evaluierung gesammelt wurden, entwickelte EWE/FM für die standardisierte Erfassung aller relevanten Daten das Formular „Optimale Passung Mensch – Arbeitsplatz“, das seit Frühjahr 2016 in Verwendung ist. Jeder Arbeitsplatz wird anhand von fünf Kategorien bewertet: körperliche Anforderungen der Arbeit, Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsumgebungsbelastung, Arbeitsorganisation und Leistungsanforderung. Die Einstufung erfolgt nach dem Ampelschema; Rot steht für „alterskritisch“, Gelb für „verbesserungsfähig“ und Grün für „unkritisch“.
Alterskritisch, verbesserungsfähig oder unkritisch
Von den bisher untersuchten Arbeitsplätzen lagen 10 bis 15 Prozent im grünen Bereich, 60 bis 70 Prozent im gelben, die übrigen im roten. Lautet das Ergebnis „verbesserungsfähig“ oder „alterskritisch“, wird unter Einbeziehung der betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter und ihrer Vorgesetzten überlegt, welche Maßnahmen, die innerhalb eines gewissen budgetären Rahmens liegen müssen, die Bedingungen verbessern können. „Es gibt ein großes Mittelfeld, in dem es relativ einfach ist, den Arbeitsplatz so umzugestalten, dass er die Bewertung ‚unkritisch‘ bekommt“, erklärt Forstner.
Manchmal sind die Mängel sehr rasch zu beheben; etwa, wenn in der Kategorie „Arbeitsumgebungsbelastung“ die Beleuchtungsstärke weniger als 400 Lux beträgt und man nur das Leuchtmittel austauschen muss, damit der optimale Bereich ab 800 Lux erreicht wird. Da das Sehvermögen mit den Jahren nachlässt, kann zu wenig Licht insbesondere bei älteren Menschen, die Hindernisse eher übersehen, zum Sturz führen. Auch Lärmbelastung lässt sich meist einfach verringern.
Liegt ein Arbeitsplatz der Kategorie „körperliche Anforderungen der Arbeit“ im gelben bzw. im roten Bereich, kann durch die Anschaffung von Hebe-, Trage- oder Zughilfen eine signifikante Arbeitserleichterung erzielt werden. Ein Arbeitsablauf beinhaltete früher beispielsweise, dass fertige Küchenelemente vom Förderband auf einen Wagen geladen, zu einem Lagerplatz geführt, dort abgeladen und später zu einem weiteren Lagerplatz gebracht wurden. Mittlerweile dient ein großer Kommissionierwagen als mobiler Lagerplatz, wodurch das nochmalige Umladen entfällt. Die schweren Korpuselemente dürfen nur mehr zu zweit gehoben werden.
Durch diese Neuerung fiel die Einstufung als Schwerstarbeitsplatz – und damit die Schwerarbeiterzulage – weg. Zu Unmut bei den Betroffenen habe das aber nicht geführt, meint Forstner: „Wir konnten den Kollegen plausibel erklären, dass sie sich dafür ersparen, in zehn Jahren Beschwerden zu bekommen.“ Alternsgerecht bedeutet in diesem Fall, dass die körperlichen Belastungen auch für Jüngere reduziert werden, damit es erst gar nicht zu irreparablen Gesundheitsschäden kommt. Möchte ein älterer Beschäftigter, der an einem (noch) nicht alternsgerechten Arbeitsplatz tätig ist, an diesem bleiben, entscheidet die Betriebsärztin, ob er sich dafür eignet oder nicht.
Organisatorische Veränderungen
Die Transformation eines „kritischen“ oder eines „verbesserungsfähigen“ in einen „unkritischen“ Arbeitsplatz erfordert einerseits von den betroffenen Arbeiterinnen und Arbeitern eine Umgewöhnung, andererseits vom Betrieb organisatorische Veränderungen – und mitunter auch größere Investitionen. So schlagen beispielsweise der neu angeschaffte Manipulator, ein um 90 Grad schwenkbarer Kran mit hoher Spannweite, mit dem große Platten gehoben werden können, und die beiden Schwertransportwägen für Lasten von bis zu 1.200 kg mit rund 30.000 Euro zu Buche.
Manchmal stoßen die Bemühungen um einen alternsgerechten Arbeitsplatz an ihre Grenzen, etwa bei von Maschinen vorgegebenen taktgebundenen Abläufen. Hat eine einzelne Person in einer Gruppe Probleme mit dem Arbeitstempo, dann ist es keine Option, die Maschine langsamer laufen zu lassen. In solchen Fällen wird der jeweilige Mitarbeiter stunden- oder auch tageweise an einen anderen Arbeitsplatz versetzt, da für einen kürzeren Zeitraum auch ein subjektiv als hoch angesehenes Tempo aufrechterhalten werden kann. Zuerst sind die Betroffenen oft nicht sonderlich erfreut über den Wechsel zu einer ungewohnten Arbeit. Ältere Personen, deren letzte Lernerfahrungen schon Jahrzehnte zurückliegen, zeigen sich neuen Tätigkeiten gegenüber meist weniger aufgeschlossen. Bisher hätten sich aber alle mit einem stunden-, tageweisen oder auch dauerhaften Umstieg anfreunden können, so Forstner – insbesondere, wenn der Gruppendruck dadurch weggefallen sei. Auch dem Betrieb bringt die Jobrotation Vorteile: Beherrschen die Beschäftigten unterschiedliche Arbeitsabläufe, so gibt es im Krankheitsfall weniger Probleme, da der als Ersatz einspringende Kollege nicht extra eingeschult werden muss.
Ein anderes Beispiel, bei dem sich Tätigkeitenwechsel als das Mittel der Wahl herausgestellt hat, ist der Versand. Vor der Umstellung holte ein Ladeverantwortlicher die Küchenelemente, zwei Mitarbeiter luden sie auf den Lastwagen. Jetzt werden alle zwei bis drei Stunden die Rollen gewechselt, es gibt Rodeln und auch hier die Anweisung, nur zu zweit zu heben. Trotzdem sind die Versand-Arbeitsplätze wegen des schweren Hebens und Tragens nach dem heutigen Stand nicht für Ältere geeignet – eine Tatsache, die bei EWE/FM auf etwa 3 Prozent aller Arbeitsplätze zutrifft. Bis Jahresende plant der Betrieb, bei 99 Prozent der als „rot“ eingestuften Arbeitsplätze von der Bewertung „kritisch“ – und damit nicht alternsgerecht – wegzukommen.
Hindernisse beseitigen
Der Großteil der „gelben“ Arbeitsplätze soll noch heuer in „grüne“ umgewandelt werden; darüber hinaus sind weitere Maßnahmen geplant, die der allgemeinen betrieblichen Gesundheitsförderung dienen. So wurden etwa die Böden saniert, da kleine „Hindernisse“ wie Löcher oder alte Schrauben – insbesondere von Personen mit Gleitsichtbrille – schwer zu erkennen waren; der neue Belag mit einer gröberen Körnung ist rutschsicherer. Mitarbeiter mit geringerer Körpergröße bekamen Podeste, damit die Bearbeitungshöhe auch für sie passt. Die Anschaffung eines neuen Montagebands reduziert die Belastung durch Heben, Strecken und gebeugte Tätigkeiten.
Nicht nur die Ergonomie, auch die Arbeitszeitgestaltung ist ein wesentlicher Faktor für Wohlbefinden und Gesundheit am Arbeitsplatz. Gemeinsam mit Mag. Robert Brandstätter, Arbeitspsychologe der AUVA Linz, erarbeitete EWE/FM eine neue Pauseneinteilung, bei der sowohl die Zeitpunkte als auch die Längen der Pausen besser auf die Bedürfnisse der Beschäftigten abgestimmt sind. Außerdem ist das System der Ablösen effizienter geworden, erklärt Forstner: „Wer an einer Maschine arbeitet, die man nicht einfach abschalten kann, ruft jetzt bei Bedarf – z. B. wenn er auf die Toilette muss – einfach die Ablöse an.
Die im Rahmen des BGF-Programms bzw. des Schwerpunkts alternsgerechtes Arbeiten gesetzten Maßnahmen haben bereits Wirkung gezeigt. Die Anzahl der Krankenstände, die auf Probleme mit dem Stützapparat zurückzuführen sind, sowie die Zahl der Krankenstandstage insgesamt sind gesunken. Arbeitsunfälle gebe es bei EWE/FM generell sehr wenige und nur leichte, etwa wenn jemand stolpert oder wo dagegenstößt, stellt Forstner fest, in dessen Aufgabenbereich auch die Sicherheit der beiden Standorte fällt. Der relativ hohe Altersschnitt an den EWE/FM-Standorten spielt seit der Umsetzung des Programms zu alternsgerechtem Arbeiten keine große Rolle mehr. Es sei gelungen, die Belastung für ältere Beschäftigte so gering zu halten, dass sie nicht in ein anderes Unternehmen wechseln oder sich frühzeitig in die Pension verabschieden, betont Forstner: „Das Wissen bleibt im Haus, das hat die Ergonomiegruppe mit zu verantworten.“
Das Management steht dahinter
In dieser Gruppe arbeiten neben Forstner Fachleute aus dem Bereich Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie, Sicherheitsfachkräfte und der Betriebsrat eng zusammen. Forstner sieht es als essenziell an, dass auch das Management dahintersteht: „Sonst gibt es keine Chance, etwas umzusetzen. Geschäftsführer Christian Rösler hat erkannt, welche positiven Veränderungen die Maßnahmen gebracht haben, und ist jetzt selbst beim Auditieren dabei.“ Die treibenden Kräfte, die Ressourcen zur Verfügung gestellt hätten, seien von Anfang an Produktions- und Personalleitung gewesen.
Dass die Maßnahmen bei der gesamten Belegschaft eine so hohe Akzeptanz gefunden haben, führt Forstner auf die gute, durch Offenheit und Vertrauen gekennzeichnete Kommunikation zurück. Das BGF-Projekt wurde mittels Aushangs angekündigt, dann folgten Info-Sitzungen mit Abteilungs- und Teamleitern, die anschließend direkt an die Arbeitsplätze gingen, um die Informationen weiterzugeben. Die gleiche Vorgehensweise wurde beim Schwerpunkt alternsgerechtes Arbeiten gewählt. Jetzt versammelt Dipl.-Ing. Hermann Huber, Leiter von Technik und Produktion, die Mitarbeitenden beider Standorte alle sechs Wochen zu einer Informationsrunde.
Eine positive Kommunikationskultur ist auch für den Wissenstransfer am Arbeitsplatz essenziell. Zahlreiche Angestellte sind bereits von der internen Jobrotation betroffen oder werden es in Zukunft sein; da erweisen sich konkrete Tipps von demjenigen, der einen Arbeitsablauf schon unzählige Male wiederholt hat, als hilfreich. In solchen Fällen kann es schon einmal vorkommen, dass ein jüngerer einem älteren Kollegen etwas zeigt. Derzeit wird eine neue Produktionslinie eingeführt, für die zuerst Spezialisten angelernt werden, die ihr Wissen dann weitergeben. Für alle Arbeitsplätze, die bereits im Hinblick auf die „optimale Passung Mensch – Arbeitsplatz“ bewertet wurden, ist heuer auch eine psychologische Evaluierung vorgesehen. Die Ergonomie-Teams in Wels und Freistadt planen, gemeinsam mit den Führungskräften weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei als „rot“ oder „gelb“ eingestuften Arbeitsplätzen zu setzen, was voraussichtlich noch zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen wird.
Auch außerhalb der Arbeitszeit werden begleitende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung durchgeführt. Dazu zählen unter anderem sportliche Aktivitäten wie Wandern, Rücken- und Wassergymnastik. Gemeinsames Kochen steht ebenfalls auf dem Programm. An diesen kostenlosen Angeboten nehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlicher Altersgruppen teil. Forstner hofft, dass sich in Zukunft noch mehr Kollegen für derartige Aktivitäten interessieren werden. Ihm selbst ist die Begeisterung für Neues anzumerken: „Bei uns gibt es viele Aufgaben zu erledigen und immer wieder innovative Sachen, da wird nichts zur Routine.“
Zusammenfassung
Bei EWE/FM Küchen hat sich der Schwerpunkt alternsgerechtes Arbeiten aus der Betrieblichen Gesundheitsförderung entwickelt. So wurde eine Ergonomiegruppe gegründet, der auch Führungskräfte angehören. Jeder Arbeitsplatz wird mithilfe eines Leitfadens bewertet und, wenn nötig, mittels entsprechender Maßnahmen alternsgerecht gestaltet.