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Berufskrankheiten

Vom Lärm zur Schwerhörigkeit

Durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit ist in Österreich die bei weitem häufigste anerkannte Berufskrankheit. Neben Krankheiten, Vererbung, Schädeltraumata, Vergiftungen oder dem natürlichen Alterungsprozess zählt übermäßige Lärmbelastung zu den Hauptverursachern von Schwerhörigkeit. Dieser Beitrag gibt einen Überblick zum Stand der Forschung über die Auswirkungen von Lärmbelastung auf unser Gehör, über therapeutische Maßnahmen bei Schwerhörigkeit sowie präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Lärmbelastung.

Arbeiter mit Gehörschutz
Fotolia/auremar

Bei Lärmbelastung wird zwischen berufsbedingtem Lärm, z. B. Maschinengeräuschen, und Freizeitlärm, z. B. Musikkonsum, unterschieden. Während in der „westlichen Welt“ berufsbedingter Lärm in den letzten Jahrzehnten aufgrund von Lärmschutzbestimmungen kontinuierlich abnehmende Wirkung entfaltet (Lie et al., 2016), scheint die Belastung durch Freizeitlärm tendenziell zuzunehmen (Henderson et al., 2011). Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung kontinuierlich an, wodurch die Altersschwerhörigkeit an Bedeutung gewinnt.

Was ist Schwerhörigkeit?

Das grundlegende Messverfahren zur Diagnose von Schwerhörigkeit ist das sogenannte Audiogramm, bei dem die Hörschwelle für Töne mit verschiedenen, für das Sprachverstehen wichtigen Frequenzen gemessen wird. Eine mittlere Erhöhung der Hörschwelle um mehr als ca. 20–30 dB wird als Schwerhörigkeit klassifiziert. Der allergrößte Teil der lärmbedingten Hörschäden betrifft das Innenohr. Bei höherer Schallbelastung über längere Zeiträume degenerieren die sogenannten Haarzellen, die für die Umwandlung der akustischen Schwingungen in elektrische Aktionspotenziale des Hörnervs und damit für die Weiterleitung an das Hörzentrum verantwortlich sind.

Eine großflächig mittels Audiometrie durchgeführte aktuelle Studie aus den USA (Hoffman et al., 2016) zeigt, dass rund 14 Prozent der Bevölkerung von Schwerhörigkeit betroffen sind. Während das Alter der wichtigste Faktor für Schwerhörigkeit war (Personen mit ca. 65 Jahren ca. 40-mal häufiger betroffen als Personen mit ca. 25 Jahren), hatten auch das Geschlecht (Männer ca. zweimal so häufig betroffen wie Frauen) sowie starke berufsbedingte Lärmbelastung über mehr als fünf Jahre einen signifikanten Effekt. Interessanterweise zeigten Hoffman et al. (2016) eine statistisch signifikante Abnahme der allgemeinen Häufigkeit von Schwerhörigkeit um etwa 2 Prozent im Vergleich zum rund zehn Jahre früheren Untersuchungszeitraum.

Viele Faktoren maßgeblich

Während der kausale Zusammenhang zwischen Lärm und Schwerhörigkeit aus derartigen statistischen Erhebungen nicht abgeleitet werden kann, deuten diese (und andere) Daten auf eine allgemeine Reduktion der Lärmschwerhörigkeit hin. Auch scheint die seit einigen Jahren angekündigte Katastrophe durch exzessives Musikhören mit tragbaren Musikabspielgeräten oder in Clubs und Konzerten in der jüngeren Generation ausgeblieben zu sein. Dies könnte auf verstärkten Einsatz von Gehörschutz im Beruf und bei Konzerten sowie auf eine reduzierte Raucherquote und zunehmende Therapie von Bluthochdruck zurückzuführen sein. All diese Ergebnisse aus der Studie Hoffmann et al. (2016) sind kompatibel mit einer aktuellen Metaanalyse der Literatur (Lie et al., 2016).

Andererseits gibt es Hinweise, dass bei jungen Menschen (Alter: 12–19) die Häufigkeit von Schwerhörigkeit im Zeitraum 1994 bis 2006 zunahm (Shargorodsky et al., 2010), was im Zusammenhang mit der dramatischen Zunahme der Verwendung von tragbaren Musikabspielgeräten stehen könnte (Henderson et al., 2011). Und es gibt zunehmende Evidenz für sogenannte „versteckte“ Schwerhörigkeit, die mittels Audiometrie nicht diagnostiziert werden kann, aber zu reduzierter Sprachverständlichkeit in praktisch relevanten Hörsituationen mit Störschall führt (Plack et al., 2014). Es wird vermutet, dass diese „versteckte“ Schwerhörigkeit mit dem erst unlängst im Tierversuch entdeckten lärmverursachten Ausfall von speziellen Hörnervenfasern zusammenhängt (Kujawa and Liberman, 2009). Es ist also möglich, dass insbesondere Jugendliche aufgrund exzessiver Schallexposition noch wenig erfasste Hörschäden akkumulieren, die sich erst später im Leben negativ auf die Sprachverständlichkeit auswirken (Kujawa and Liberman, 2006).

Interessanterweise hängt die schädliche Wirkung von Lärm auf den einzelnen Menschen von einer Reihe von individuellen Faktoren ab, wie der genetischen Anlage, dem Zigarettenkonsum, der Medikamenteneinnahme oder der allgemeinen Sauerstoffversorgung des Körpers (Hong et al., 2013;  Kujawa and Liberman, 2006; Pyykkö et al., 2007).

Präventive Maßnahmen

Wie kann man sich vor der realen Gefahr der Schwerhörigkeit durch Lärm schützen? Der beste Schutz liegt in der Vermeidung der Exposition zu lauten Schallquellen wie z. B. Maschinen, Schusswaffen oder sehr laut gehörter Musik. Falls dies nicht möglich oder erwünscht ist, so kann die Gefahr durch Lärm mittels Verwendung von handelsüblichem Gehörschutz (z. B. Ohrstöpsel, angepasster Gehörschutz oder Kapselgehörschutz) erheblich reduziert werden. Wichtig sind dabei die Auswahl der passenden Eigenschaften (Dämmung, Größe etc.) und die richtige Anwendung (siehe dazu die Abbildungen 1-3). Der am Ohr ankommende Schalldruck darf dabei über längere Zeiträume ca. 80–85 dB(A) nicht überschreiten. So wirksam Gehörschutz zur Reduktion des am Ohr ankommenden Lärms ist, so gefährlich kann er allerdings sein, wenn er im Straßenverkehr von Fußgängern oder Radfahrern verwendet wird – dabei besteht das Risiko des Überhörens von Gefahren oder Warnsignalen (Turner et al., 1996; Schwebel et al. 2012; Goldenbeld et al., 2012).

Falls man aber bereits von lärmverursachter Innenohrschwerhörigkeit in einem Maß betroffen ist, dass man Schwierigkeiten in der täglichen Sprachkommunikation hat, bleibt nur die Verwendung von Hörgeräten. Aufgrund der bei Innenohrschäden auftretenden komplexen Veränderungen in der Verarbeitung von Schall können jedoch Hörgeräte die normale Hörwahrnehmung nur begrenzt wiederherstellen. In den meisten Fällen ermöglichen gut eingestellte moderne Hörgeräte aber eine deutliche Verbesserung der sprachlichen Kommunikation. Dabei ist oftmals Geduld notwendig, da sich das Gehirn erst an die veränderten Eingangsreize adaptieren muss. In Fällen von hochgradigem Hörverlust oder Taubheit sind oftmals Cochleaimplantate die bessere oder sogar einzige Wahl. Cochleaimplantate sind Hörprothesen, die unter Umgehung des Außen- und Mittelohres den Hörnerv direkt elektrisch anregen und eine Grundsprachverständlichkeit ermöglichen.

Um es aber gar nicht erst so weit kommen zu lassen, sollten Menschen ihre Ohren stets vor unnötiger Belastung schützen, ob am Arbeitsplatz, in der Freizeit beim Clubbing oder beim Silvesterfeuerwerk. Man wird sie noch lange benötigen. Bedenken sollte man immer, dass auch moderater dauerhafter Lärm, z. B. Verkehrslärm im Schlafzimmer, wenn auch zu schwach ist, um Schwerhörigkeit auszulösen, so doch das psychische Wohlbefinden, die Konzentrationsfähigkeit und sogar Körperwerte, wie z. B. den Blutdruck, negativ beeinflussen kann.

Neben der Lärmvermeidung gilt der Gehörschutz als wichtigste Präventionsmaßnahme gegen Lärmschwerhörigkeit. Wichtig ist dabei jedoch die richtige Verwendung, denn ein schlecht eingesetzter Gehörschutzstöpsel verliert sehr stark an Wirksamkeit. Hier eine Kurzanleitung, wie handelsübliche Schaumstoffstöpsel richtig eingesetzt werden.

Gehörschutzstöpsel
1. Gehörschutzstöpsel vor dem Einsetzen mit den Fingern möglichst dünn und knickfrei rollen und zum Einsetzen zusammengedrückt halten. Grafikstudio Hutter
Einsetzen eines Gehörschutzes
2. Das Ohr mit der anderen Hand über den Kopf nach oben und nach hinten ziehen. Grafikstudio Hutter
Gehörschutz im Ohrkanal
3. Den Stöpsel tief in den Ohrkanal einsetzen und mindestens fünf Sekunden andrücken, damit er sich im Ohrkanal ausdehnen und anpassen kann. Der Stöpsel sitzt richtig im Ohr, wenn er bei frontaler Betrachtung des Gesichts im Spiegel nicht zu sehen ist. Grafikstudio Hutter

Literatur

  • Goldenbeld C., Houtenbos M., Ehlers E., De Waard D. (2012). The use and risk of portable electronic devices while cycling among different age groups. J Safety Res. 43, 1–8.
  • Henderson E., Testa M., Hartnick C. (2011). Prevalence of noise-induced hearing-threshold shifts und hearing loss among US youths. Pediatrics 127, e39–46.
  • Hoffman H., Dobie R., Losonczy K., Themann C., Flamme G. (2016). Declining Prevalence of Hearing Loss in US Adults Aged 20 to 69 Years. JAMA Otolaryngology – Head & Neck Surgery, epub Dec. 15th.
  • Hong O., Kerr M., Poling G., Dhar S. (2013). Understanding and preventing noise-induced hearing loss. Dis Mon. 59, 110–118.
  • Kujawa S., Liberman M. (2006). Acceleration of age-related hearing loss by early noise exposure: Evidence of a misspent youth. Journal of Neuroscience 26, 2115–2123.
  • Kujawa S., Liberman M. (2009). Adding insult to injury: Cochlear nerve degeneration after „temporary“ noise-induced hearing loss. Journal of Neuroscience 29, 14077–14085.
  • Lie A., Skogstad M., Johannessen H., Tynes T., Mehlum I., Nordby K.C., Engdahl B., Tambs K. (2016). Occupational noise exposure and hearing: a systematic review. Int Arch Occup Environ Health 89, 351–372.
  • Plack C., Barker D., Prendergast G. (2014). Perceptual consequences of „hidden“ hearing loss. Trends Hear. 9, 1–11.
  • Pyykkö I., Toppila E., Zou J., Kentala E. (2007). Individual susceptibility to noise-induced hearing loss. Audiol Med. 5, 41–53.
  • Schwebel D., Stavrinos D., Byington K., Davis T., O’Neal E., de Jong D. (2012). Distraction and pedestrian safety: how talking on the phone, texting, and listening to music impact crossing the street. Accid Anal Preven. 45, 266–271.
  • Shargorodsky J., Curhan S., Curhan G., Eavey, R. (2010). Change in prevalence of hearing loss in US adolescents. JAMA Otolaryngology – Head & Neck Surgery 304, 772–778.
  • Turner M., Fernandez J., Nelson K. (1996). The effect of music amplitude on the reaction to unexpected visual events. J Gen Psychol. 123, 51–62.

Internationaler Tag gegen Lärm

Am Mittwoch, 26. April 2017, ist der „Internationale Tag gegen Lärm“. Hier zwei Tipps zu Veranstaltungen bzw. Aktionen anlässlich dieses Tages:

Veranstaltung „Ohne Lärm ganz Ohr sein!“

Das Institut für Schallforschung lädt in Kooperation mit der AUVA zu diesem Aktionstag für die gesamte Familie. Mehr als 20 Stationen bieten Information, Spiel und Spaß zum Thema Schall und Lärm. Expertinnen und Experten stehen zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung.
Wann: Mi, 26. April 2017, von 9.30 bis 17.30 Uhr
Wo: Institut für Schallforschung, Wohllebengasse 12–14, 1040 Wien
Eintritt frei!
www.kfs.oeaw.ac.at/tgl17

Videowettbewerb „Acoustic Fingerprint“

Das Umwelt-Bildungs-Zentrum Steiermark ruft Jugendliche von 10 bis 18 Jahren dazu auf, ihren „akustischen Fingerabdruck“, also ein Video über einen einzigartigen, akustischen Platz in der Steiermark, einzusenden. Die besten Videos werden auf der Website veröffentlicht. Außerdem winken tolle Preise, wie zum Beispiel Noise Cancelling Kopfhörer.
Wann: Start am „Tag gegen Lärm“, 26. April 2017, Einsendeschluss: Anfang Juni 2017
www.ubz-stmk.at/laerm > Projekte > Tag gegen Lärm 2017

Zusammenfassung

Lärmschwerhörigkeit ist in Österreich die häufigste Berufskrankheit. Das Thema Lärmbelastung und Gehör wird zunehmend besser erforscht, womit sich auch neue Ansätze in der Prävention ergeben.


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