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Gesundheitskompetenz

Eine gesundheitskompetente Organisation: Die Sozialversicherung macht sich auf den Weg!

„Gesundheitskompetenz“ ist ein wesentlicher sozialpolitischer und volkswirtschaftlicher Ansatz: Höhere Gesundheitskompetenz steigert einerseits die persönliche Gesundheit, führt andererseits aber auch zu geringeren Kosten für das gesamte Gesundheitssystem. Höhere Gesundheitskompetenz kann auch zum Abbau sozialer Gegensätze beitragen. Und letztlich steigert eine hohe Gesundheitskompetenz die Produktivität der Wirtschaft, weil gesunde Beschäftigte geringere Fehlzeiten aufweisen. Viele Gründe für die österreichische Sozialversicherung, sich dieses Themas intensiver anzunehmen.

Nahaufnahme eines Stethoskops
Fotolia/ weyo

Gesundheitskompetenz ist eine wichtige Gesundheitsdeterminante. Im Unterschied zu anderen Gesundheitsdeterminanten wie Alter oder Geschlecht bietet sie den Vorteil, dass wir sie beeinflussen können – sowohl wir als Sozialversicherung als auch wir als jede Versicherte und jeder Versicherter. Warum ist die Gesundheitskompetenz der Versicherten für die Sozialversicherung wichtig?

  • Begrenzte Gesundheitskompetenz wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus und ist mit hohen Kosten im Gesundheitssystem verbunden.
  • Begrenzte Gesundheitskompetenz folgt einem sozialen Gefälle und kann bestehende Ungleichheiten verstärken.
  • Gesundheitskompetenz zu erwerben ist ein lebenslanger Prozess, der unterstützt werden kann (WHO, 2016).

Ausgangslage

Eine vergleichende Studie zur Gesundheitskompetenz in acht EU-Mitgliedsländern zeigte 2012 für die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung (56,4 Prozent) eine mangelhafte Gesundheitskompetenz und brachte Österreich den siebenten Platz unter acht Ländern ein (HLS-EU 2012). Zur gleichen Zeit fand ein breiter und intensiver Prozess zur Formulierung von Rahmen-Gesundheitszielen für Österreich statt. Er ermöglichte es, die Stärkung der Gesundheitskompetenz als Ziel zu verankern (BMG 2014). Die Bundesgesundheitskommission beschloss 2014 die Einrichtung der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK), die die Etablierung von Gesundheitskompetenz in Österreich unterstützen, ein gemeinsames Verständnis entwickeln, Wissen verbreiten und Innovation ermöglichen soll (BMG 2015). Die ÖPGK verwendet die vom HLS-EU Consortium entwickelte Definition von Gesundheitskompetenz und bietet zudem folgende „Definition – einfach & kompakt“ an: „Um die Gesundheit zu stärken und Krankheiten vorzubeugen und zu bewältigen, brauchen wir auch Informationen. Gesundheitskompetente Menschen sind meist in der Lage, Informationen

  • zu finden,
  • zu verstehen,
  • zu beurteilen und
  • anzuwenden.

Gesundheitskompetenz trägt wesentlich dazu bei, Lebensqualität und Gesundheit zu erhalten und zu verbessern.“ (ÖPGK 2016)

Informationen anzuwenden bedeutet, informierte Entscheidungen zu treffen. Wie leicht oder schwer sich Versicherte im Gesundheitssystem zurechtfinden und Gesundheitsinformationen finden, verstehen, beurteilen und im Sinne der Entscheidungsfindung anwenden können, ist nicht nur von individuellen Fähigkeiten und von der Motivation der oder des Einzelnen abhängig. Gesundheitskompetenz wird maßgeblich von der Komplexität und den Anforderungen des Systems beeinflusst.

Abbildung: relationales Konzept von Gesundheitskompetenz nach Ruth Parker
Abb. 1: Das relationale Konzept von Gesundheitskompetenz nach Ruth Parker (2009), eigene Darstellung Sozialversicherung

Die Sozialversicherung setzt auf beiden Seiten an

Auf der Seite des Systems strebt die Sozialversicherung an, den Versicherten den Zugang zu, das Verständnis von sowie die Bewertung und die Anwendung von Gesundheitsinformationen zu erleichtern. Sie reduziert Barrieren, welche die Orientierung im Gesundheits- und Sozialversicherungssystem erschweren, und macht eigene Produkte und Dienstleistungen einfacher verständlich und nutzbar.

Um die Sozialversicherung im Allgemeinen sowie ihre eigenen stationären und ambulanten Einrichtungen im Speziellen bei der Entwicklung zu gesundheitskompetenten Organisationen zu unterstützen, wurde eine Methodenbox entwickelt. Zielgruppe der Methodenbox sind alle Entscheidungsträgerinnen und -träger, Leiterinnen und Leiter von eigenen Einrichtungen, Ärztliche Leiterinnen und Leiter, Organisations- und Personalentwicklerinnen und -entwickler sowie Expertinnen und Experten für Public Health und/oder Qualitätssicherung. Die Methodenbox liefert Beispiele guter Praxis und Anregungen für Maßnahmen in verschiedenen Handlungsfeldern (siehe Abb. 2).

Bei der Entwicklung in Richtung gesundheitskompetente Organisation wird schrittweise vorgegangen. Am Beginn stehen die Bildung eines Gesundheitskompetenz-Teams und eine Analyse der Stärken und Schwächen der Organisation. Nach der Identifikation von Verbesserungspotenzialen und der Priorisierung von Handlungsfeldern können mithilfe der Methodenbox erste Umsetzungsmaßnahmen ausgewählt werden. Die Methodenbox liefert unter anderem Lernziele für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und beschreibt unterschiedliche Schulungsformate. Zudem werden Qualitätskriterien und Checklisten für die schriftliche Kommunikation mit Versicherten, für einfach nutzbare Webinhalte, qualitätsvolle Gesundheits-Apps und audiovisuelles Informationsmaterial zur Verfügung gestellt.

„Effektive Kommunikation“ stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor der Leistungserbringung dar. Es werden Strategien (z. B. Teach Back) und Kampagnen (z. B. Ask me 3) vorgestellt, die entscheidend zu einer gelungenen Kommunikation beitragen. Die Methodenbox liefert zudem Tipps zu Leitsystemen in Gebäuden und zeigt anhand von Beispielen auf, wie die Sozialversicherung Versicherte bei der Orientierung im Gesundheits- und Sozialversicherungssystem unterstützen kann. Außerdem erfährt man, wie Versicherte im Rahmen von Nutzertestungen in die Entwicklung von Informationsmaterialien oder im Rahmen von Walking Interviews in die Weiterentwicklung des Leitsystems einer Einrichtung einbezogen werden können. Ebenso werden Möglichkeiten für die Einbeziehung von Versicherten im Rahmen von Projekten dargestellt. Die Methodenbox zeigt zudem auf, wie das Feedback von Versicherten zur organisationalen Gesundheitskompetenz im Rahmen von Versichertenbefragungen eingeholt werden kann. Ein Vorreiter unter den Sozialversicherungsträgern ist die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau (VAEB), die bereits ihre stationären Gesundheitseinrichtungen in Bad Schallerbach, Bad Hofgastein und Graz sowie ihre Gesundheitsbetreuungszentren in Graz und Villach in Richtung von gesundheitskompetenten Organisationen entwickelt, vor allem durch Maßnahmen zur Steigerung der effektiven Kommunikation. Aber auch im Bereich der verständlichen und qualitätsvollen Informationsmaterialien werden bereits Maßnahmen gesetzt. Diese gehen über bereits bekannte Initiativen der „Leichten Sprache“ oder „Einfachen Sprache“ hinaus – Details entnehmen Sie bitte der Methodenbox.

Abbildung: Gesundheitskompetenz-Methodenbox
Abb. 2: Gesundheitskompetenz-Methodenbox, eigene Darstellung Sozialversicherung

Auf der Seite der individuellen Motivation und Fähigkeit der Versicherten, ihr Informationsmanagement zu Gesundheitsfragen auch selbst in die Hand zu nehmen, bietet die Sozialversicherung Gesundheitskompetenz-Coaching an. Dazu wurde im Herbst 2015 ein Pilotversuch durchgeführt, an dem sich folgende Versicherungsträger beteiligten:

  • Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau
  • Allgemeine Unfallversicherungsanstalt
  • Wiener Gebietskrankenkasse
  • OÖ Gebietskrankenkasse

Gesundheitskompetenz-Coachings in der Sozialversicherung sollen vor allem im Rahmen stationärer Aufenthalte in eigenen Einrichtungen (Kur, Reha etc.) zur Anwendung kommen. Grundsätzlich bestehen sie aus zwei jeweils eineinhalb-stündigen Gruppencoaching-Terminen, durchgeführt von speziell geschulten SV-Mitarbeiterinnen bzw. SV-Mitarbeitern. Das Coaching wird mittels eines Folders begleitet. In diesen Folder werden unter anderem die persönlichen Gesundheitskompetenz-Ziele der Teilnehmenden eingetragen.

Der Pilotversuch wurde von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität Linz mit positivem Ergebnis evaluiert. Das Coaching hat folgenden inhaltlichen Aufbau: Zur Sensibilisierung für das Thema Gesundheitskompetenz wird – in Anlehnung an die Fragestellungen des europäischen Health Literacy Survey – der individuelle Schwierigkeitsgrad in Standardsituationen des Umgangs mit Gesundheitsinformationen thematisiert. Zur Motivation und Unterstützung sollen sehr straff gehaltene nützliche Tipps für das Therapeuten-Patienten-Gespräch und für Internet-Recherchen zu Gesundheitsfragen die Klientinnen/Klienten zum Nachdenken und Ausprobieren anregen. Kleine persönliche Ziele für das Therapeuten-Patienten-Gespräch und für Internet-Recherchen sollen die Anwendung der Gesundheitskompetenz-Tipps fördern. Zum Abschluss für die Klientinnen/Klienten und als Kurz-Evaluation des Coachings werden die Erfahrungen der Klientinnen/Klienten mit der Erreichung ihrer Ziele dokumentiert.

Abbildung: Gesundheitskompetenz-Coaching
Abb. 3: Gesundheitskompetenz-Coaching, eigene Darstellung Sozialversicherung

Literatur

  • Bundesministerium für Gesundheit [BMG] (Hg.) (2014). Rahmen-Gesundheitsziel 3. Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken. Bericht der Arbeitsgruppe. Verfügbar unter: www.gesundheitsziele-oesterreich.at/wp-content/uploads/2014/10/RGZ3_Bericht_201404142.pdf
  • Bundesministerium für Gesundheit [BMG] (Hg.) (2015). Empfehlungen zur Einrichtung der „Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz“ (ÖPGK). Verfügbar unter: www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/5/7/0/CH1473/CMS1423210822655/plattform_gesundheitskompetenz.pdf
  • Health Literacy Survey European Union [HLS-EU] Consortium (2012). Comparative report on health literacy in eight EU member states. The European Health Literacy Projeckt 2009-2012. Verfügbar unter: http://lbihpr.lbg.ac.at.w8.netz-werk.com/sites/files/lbihpr/attachments/neu_rev_hls-eu_report_2015_05_13_lit.pdf
  • Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz [ÖPGK] (2016). Was ist Gesundheitskompetenz? Einfach und kompakt. Verfügbar unter: http://oepgk.at/die-oepgk/einfach-und-kompakt/
  • Parker, R. (2009). Measuring Health Literacy: What? So What? Now What? In: L.M. Hernandez, Measures of Health Literacy: Workshop Summary, 91–98.
  • World Health Organization [WHO] (2016). Gesundheitskompetenz. Die Fakten. Die Originalausgabe in Englisch wurde 2013 vom WHO-Regionalbüro für Europa unter dem Titel „Health Literacy. The Solid Facts“ herausgegeben. Verfügbar unter: www.hauptverband.at/cdscontent/load?contentid=10008.628301&version=1456215959

Weiterführende Informationen

Besuchen Sie die Website www.hauptverband.at/gesundheitskompetenz.

Hier finden Sie unter anderem:

  • das Infovideo Gesundheitskompetenz
  • die WHO-Publikation „Gesundheitskompetenz – Die Fakten“
  • die Methodenbox zur gesundheitskompetenten Sozialversicherung
  • die Broschüre „Kompetent als Patientin und Patient“
  • weitere spannende Informationen zum Thema Gesundheitskompetenz

Beim Thema Gesundheitskompetenz setzt die Sozialversicherung auf eine breite und abgestimmte Zusammenarbeit der Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen und in relevanten Politikbereichen. Sie ist Teil der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK). Die Vertreter sind hier Stefan Spitzbart (Hauptverband), Werner Bencic (OÖGKK), Jürgen Soffried (VAEB/IfGP) und Leopold Steinbauer (SVAGW). Alle Informationen rund um die ÖPGK finden Sie hier: www.oepgk.at

Für alle weiteren Fragen stehen Ihnen gerne auch die Autoren zur Verfügung!

Zusammenfassung

Die österreichische Sozialversicherung hat eine Reihe von Maßnahmen und Informationen entwickelt, um die „Gesundheitskompetenz“ der Versicherten zu stärken.


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